Wanken zu den Doctrinen kirchlicher Orthodoxie und Un- terordnung; was denselben irgend zuwiderlief, eigentlicher Unglaube, jansenistische Begriffe, Tendenzen der Reform, alles fiel bei ihnen in dieselbe Verdammniß.
Zuerst wurden sie auf dem Gebiete der Meinung, der Literatur angegriffen. Es ist wohl nicht zu leugnen, daß sie der Menge und Kraft der auf sie eindringenden Feinde mehr ein starres Festhalten an den einmal ergriffenen Leh- ren, indirecten Einfluß auf die Großen, Verdammungssucht entgegensetzten als die echten Waffen des Geistes. Man kann es kaum begreifen, daß weder sie selber noch auch andere mit ihnen verbündete Gläubige ein einziges ori- ginales und wirksames Buch zur Vertheidigung hervor- brachten, während die Arbeiten ihrer Gegner die Welt überschwemmten und die öffentliche Ueberzeugung feststellten.
Nachdem sie aber einmal auf diesem Felde der Lehre, der Wissenschaft, des Geistes, überwunden waren, konnten sie sich auch nicht mehr lange in Besitz der Gewalt halten.
In der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts kamen im Widerstreit jener beiden Tendenzen fast in allen ka- tholischen Staaten reformirende Minister ans Ruder: in Frankreich Choiseul 1), in Spanien Wall, Squillace, in Neapel Tanucci, in Portugal Carvalho: alles Männer
1) Im Anhang zu den Memoiren der Mad. du Hausset findet sich ein Aufsatz: de la destruction des Jesuites en France, worin der Widerwille Choiseuls gegen die Jesuiten daher geleitet wird, daß der General ihm einst in Rom zu erkennen gegeben, daß er wisse was in Paris bei einem Souper gesprochen worden war. Das ist aber eine Geschichte, die sich auf mancherlei Art wiederholt, und schwerlich viel auf sich hat. Die Sachen liegen etwas tiefer.
BuchVIII.Spaͤtere Epochen.
Wanken zu den Doctrinen kirchlicher Orthodoxie und Un- terordnung; was denſelben irgend zuwiderlief, eigentlicher Unglaube, janſeniſtiſche Begriffe, Tendenzen der Reform, alles fiel bei ihnen in dieſelbe Verdammniß.
Zuerſt wurden ſie auf dem Gebiete der Meinung, der Literatur angegriffen. Es iſt wohl nicht zu leugnen, daß ſie der Menge und Kraft der auf ſie eindringenden Feinde mehr ein ſtarres Feſthalten an den einmal ergriffenen Leh- ren, indirecten Einfluß auf die Großen, Verdammungsſucht entgegenſetzten als die echten Waffen des Geiſtes. Man kann es kaum begreifen, daß weder ſie ſelber noch auch andere mit ihnen verbuͤndete Glaͤubige ein einziges ori- ginales und wirkſames Buch zur Vertheidigung hervor- brachten, waͤhrend die Arbeiten ihrer Gegner die Welt uͤberſchwemmten und die oͤffentliche Ueberzeugung feſtſtellten.
Nachdem ſie aber einmal auf dieſem Felde der Lehre, der Wiſſenſchaft, des Geiſtes, uͤberwunden waren, konnten ſie ſich auch nicht mehr lange in Beſitz der Gewalt halten.
In der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts kamen im Widerſtreit jener beiden Tendenzen faſt in allen ka- tholiſchen Staaten reformirende Miniſter ans Ruder: in Frankreich Choiſeul 1), in Spanien Wall, Squillace, in Neapel Tanucci, in Portugal Carvalho: alles Maͤnner
1) Im Anhang zu den Memoiren der Mad. du Hauſſet findet ſich ein Aufſatz: de la destruction des Jésuites en France, worin der Widerwille Choiſeuls gegen die Jeſuiten daher geleitet wird, daß der General ihm einſt in Rom zu erkennen gegeben, daß er wiſſe was in Paris bei einem Souper geſprochen worden war. Das iſt aber eine Geſchichte, die ſich auf mancherlei Art wiederholt, und ſchwerlich viel auf ſich hat. Die Sachen liegen etwas tiefer.
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Buch VIII. Spaͤtere Epochen.
Wanken zu den Doctrinen kirchlicher Orthodoxie und Un-
terordnung; was denſelben irgend zuwiderlief, eigentlicher
Unglaube, janſeniſtiſche Begriffe, Tendenzen der Reform,
alles fiel bei ihnen in dieſelbe Verdammniß.
Zuerſt wurden ſie auf dem Gebiete der Meinung, der
Literatur angegriffen. Es iſt wohl nicht zu leugnen, daß
ſie der Menge und Kraft der auf ſie eindringenden Feinde
mehr ein ſtarres Feſthalten an den einmal ergriffenen Leh-
ren, indirecten Einfluß auf die Großen, Verdammungsſucht
entgegenſetzten als die echten Waffen des Geiſtes. Man
kann es kaum begreifen, daß weder ſie ſelber noch auch
andere mit ihnen verbuͤndete Glaͤubige ein einziges ori-
ginales und wirkſames Buch zur Vertheidigung hervor-
brachten, waͤhrend die Arbeiten ihrer Gegner die Welt
uͤberſchwemmten und die oͤffentliche Ueberzeugung feſtſtellten.
Nachdem ſie aber einmal auf dieſem Felde der Lehre,
der Wiſſenſchaft, des Geiſtes, uͤberwunden waren, konnten
ſie ſich auch nicht mehr lange in Beſitz der Gewalt halten.
In der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts kamen
im Widerſtreit jener beiden Tendenzen faſt in allen ka-
tholiſchen Staaten reformirende Miniſter ans Ruder: in
Frankreich Choiſeul 1), in Spanien Wall, Squillace, in
Neapel Tanucci, in Portugal Carvalho: alles Maͤnner
1) Im Anhang zu den Memoiren der Mad. du Hauſſet findet
ſich ein Aufſatz: de la destruction des Jésuites en France, worin
der Widerwille Choiſeuls gegen die Jeſuiten daher geleitet wird,
daß der General ihm einſt in Rom zu erkennen gegeben, daß er
wiſſe was in Paris bei einem Souper geſprochen worden war. Das
iſt aber eine Geſchichte, die ſich auf mancherlei Art wiederholt, und
ſchwerlich viel auf ſich hat. Die Sachen liegen etwas tiefer.
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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836/202>, abgerufen am 16.02.2025.
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