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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836.

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Vierter Abschnitt.
Sixtus V.


I. Zur Kritik der Biographen dieses Papstes, Leti
und Tempesti
.
Vita di Sisto V pontefice Romano scritta dal signor Geltio
Rogeri all' instanza di Gregorio Leti. Losanna
1669,
2 B.; später unter minder seltsamen Titeln in 3 B.

Bei weitem mehr durch populäre Schriften, welche sich allge-
meinen Eingang verschaffen, als durch bedeutendere historische Werke,
die sich auch oft allzu lange erwarten lassen, pflegt der Ruf eines
Mannes, die Ansicht einer Begebenheit festgestellt zu werden. Das
Publicum fragt nicht eigentlich, ob die Dinge die man ihm vorträgt
wirklich gegründet sind; es ist zufrieden, wenn ihm die Erinnerung,
wie sie sich in dem Gespräche ausdrückt, eben so mannigfaltig, viel-
farbig, aber ein wenig zusammengenommen und eben darum noch
pikanter gedruckt vorgelegt wird.

Ein Buch dieser Art ist die Biographie Sixtus V. von Leti.
Vielleicht die wirksamste von allen Arbeiten dieses Vielschreibers;
es hat das Andenken an Papst Sixtus bestimmt, wie dieß seitdem die
allgemeine Meinung der Welt beherrscht.

Bei dem ersten Versuche des Studiums geräth man mit solchen
Büchern in die größte Verlegenheit. Eine gewisse Wahrheit ist ih-
nen nicht abzusprechen, man dürfte sie nicht unberücksichtigt lassen,
doch sieht man auch gleich, daß ihnen nicht weit zu trauen ist: wo
aber die Grenze liegt, läßt sich im Allgemeinen nicht bestimmen.

Zu einem sichern Urtheil vermag man doch erst dann zu kom-
men, wenn man die Quellen seines Autors findet, und sich die Art
und Weise vergegenwärtigt wie er sie benutzt hat.

Bei fortgehendem Studium stößt man nun auch auf die Quel-
len aus denen unser Leti schöpfte; -- wir können uns der Nothwen-
digkeit nicht entziehen seine Darstellung mit denselben zu vergleichen.

1. An der gesammten Geschichte Sixtus V. ist nichts famoser
als der Weg auf dem er zum Papstthume gelangt seyn soll, sein
Betragen in dem Conclave. Wer weiß nicht, wie der gebückte an
seinem Stab daherschleichende Cardinal, nachdem er Papst geworden,
sich plötzlich mannhaft erhob, den Stab von sich warf, und diejeni-
gen mit dem Gebrauche seiner Macht bedrohte denen er sie durch
Täuschung abgewonnen. Diese Erzählung Letis hat in der ganzen
Welt Eingang gefunden. Wir fragen, wo er sie her nahm.


Vierter Abſchnitt.
Sixtus V.


I. Zur Kritik der Biographen dieſes Papſtes, Leti
und Tempeſti
.
Vita di Sisto V pontefice Romano scritta dal signor Geltio
Rogeri all’ instanza di Gregorio Leti. Losanna
1669,
2 B.; ſpaͤter unter minder ſeltſamen Titeln in 3 B.

Bei weitem mehr durch populaͤre Schriften, welche ſich allge-
meinen Eingang verſchaffen, als durch bedeutendere hiſtoriſche Werke,
die ſich auch oft allzu lange erwarten laſſen, pflegt der Ruf eines
Mannes, die Anſicht einer Begebenheit feſtgeſtellt zu werden. Das
Publicum fragt nicht eigentlich, ob die Dinge die man ihm vortraͤgt
wirklich gegruͤndet ſind; es iſt zufrieden, wenn ihm die Erinnerung,
wie ſie ſich in dem Geſpraͤche ausdruͤckt, eben ſo mannigfaltig, viel-
farbig, aber ein wenig zuſammengenommen und eben darum noch
pikanter gedruckt vorgelegt wird.

Ein Buch dieſer Art iſt die Biographie Sixtus V. von Leti.
Vielleicht die wirkſamſte von allen Arbeiten dieſes Vielſchreibers;
es hat das Andenken an Papſt Sixtus beſtimmt, wie dieß ſeitdem die
allgemeine Meinung der Welt beherrſcht.

Bei dem erſten Verſuche des Studiums geraͤth man mit ſolchen
Buͤchern in die groͤßte Verlegenheit. Eine gewiſſe Wahrheit iſt ih-
nen nicht abzuſprechen, man duͤrfte ſie nicht unberuͤckſichtigt laſſen,
doch ſieht man auch gleich, daß ihnen nicht weit zu trauen iſt: wo
aber die Grenze liegt, laͤßt ſich im Allgemeinen nicht beſtimmen.

Zu einem ſichern Urtheil vermag man doch erſt dann zu kom-
men, wenn man die Quellen ſeines Autors findet, und ſich die Art
und Weiſe vergegenwaͤrtigt wie er ſie benutzt hat.

Bei fortgehendem Studium ſtoͤßt man nun auch auf die Quel-
len aus denen unſer Leti ſchoͤpfte; — wir koͤnnen uns der Nothwen-
digkeit nicht entziehen ſeine Darſtellung mit denſelben zu vergleichen.

1. An der geſammten Geſchichte Sixtus V. iſt nichts famoſer
als der Weg auf dem er zum Papſtthume gelangt ſeyn ſoll, ſein
Betragen in dem Conclave. Wer weiß nicht, wie der gebuͤckte an
ſeinem Stab daherſchleichende Cardinal, nachdem er Papſt geworden,
ſich ploͤtzlich mannhaft erhob, den Stab von ſich warf, und diejeni-
gen mit dem Gebrauche ſeiner Macht bedrohte denen er ſie durch
Taͤuſchung abgewonnen. Dieſe Erzaͤhlung Letis hat in der ganzen
Welt Eingang gefunden. Wir fragen, wo er ſie her nahm.


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[317/0329] Vierter Abſchnitt. Sixtus V. I. Zur Kritik der Biographen dieſes Papſtes, Leti und Tempeſti. Vita di Sisto V pontefice Romano scritta dal signor Geltio Rogeri all’ instanza di Gregorio Leti. Losanna 1669, 2 B.; ſpaͤter unter minder ſeltſamen Titeln in 3 B. Bei weitem mehr durch populaͤre Schriften, welche ſich allge- meinen Eingang verſchaffen, als durch bedeutendere hiſtoriſche Werke, die ſich auch oft allzu lange erwarten laſſen, pflegt der Ruf eines Mannes, die Anſicht einer Begebenheit feſtgeſtellt zu werden. Das Publicum fragt nicht eigentlich, ob die Dinge die man ihm vortraͤgt wirklich gegruͤndet ſind; es iſt zufrieden, wenn ihm die Erinnerung, wie ſie ſich in dem Geſpraͤche ausdruͤckt, eben ſo mannigfaltig, viel- farbig, aber ein wenig zuſammengenommen und eben darum noch pikanter gedruckt vorgelegt wird. Ein Buch dieſer Art iſt die Biographie Sixtus V. von Leti. Vielleicht die wirkſamſte von allen Arbeiten dieſes Vielſchreibers; es hat das Andenken an Papſt Sixtus beſtimmt, wie dieß ſeitdem die allgemeine Meinung der Welt beherrſcht. Bei dem erſten Verſuche des Studiums geraͤth man mit ſolchen Buͤchern in die groͤßte Verlegenheit. Eine gewiſſe Wahrheit iſt ih- nen nicht abzuſprechen, man duͤrfte ſie nicht unberuͤckſichtigt laſſen, doch ſieht man auch gleich, daß ihnen nicht weit zu trauen iſt: wo aber die Grenze liegt, laͤßt ſich im Allgemeinen nicht beſtimmen. Zu einem ſichern Urtheil vermag man doch erſt dann zu kom- men, wenn man die Quellen ſeines Autors findet, und ſich die Art und Weiſe vergegenwaͤrtigt wie er ſie benutzt hat. Bei fortgehendem Studium ſtoͤßt man nun auch auf die Quel- len aus denen unſer Leti ſchoͤpfte; — wir koͤnnen uns der Nothwen- digkeit nicht entziehen ſeine Darſtellung mit denſelben zu vergleichen. 1. An der geſammten Geſchichte Sixtus V. iſt nichts famoſer als der Weg auf dem er zum Papſtthume gelangt ſeyn ſoll, ſein Betragen in dem Conclave. Wer weiß nicht, wie der gebuͤckte an ſeinem Stab daherſchleichende Cardinal, nachdem er Papſt geworden, ſich ploͤtzlich mannhaft erhob, den Stab von ſich warf, und diejeni- gen mit dem Gebrauche ſeiner Macht bedrohte denen er ſie durch Taͤuſchung abgewonnen. Dieſe Erzaͤhlung Letis hat in der ganzen Welt Eingang gefunden. Wir fragen, wo er ſie her nahm.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836/329>, abgerufen am 22.11.2024.