Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Clemens IX.
bezeichnen pflegten: er ging darin sogar ungewöhnlich weit:
in seinem ersten Monat hat er über 600000 Sc. ver-
schenkt. Aber dieß kam weder seinen Landsleuten zu Gute,
noch selbst seinen Nepoten, denen man sogar Vorstellungen
über diese Vernachlässigung ihrer Interessen machte 1), son-
dern es ward unter die Cardinäle, unter die vorwaltenden
Mitglieder der Curie überhaupt vertheilt. Schon wollte
man glauben, es seyen Stipulationen des Conclave dabei
im Spiele, doch findet sich davon keine deutliche Spur.

Es entspricht auch dieß vielmehr der allgemeinen
Entwickelung, wie sie sich während dieser Epoche fast in
dem gesammten übrigen Europa vollzog.

Es hat keine Zeit gegeben welche der Aristokratie gün-
stiger gewesen wäre, als die Mitte des siebzehnten Jahr-
hunderts: wo über den ganzen Umfang der spanischen Mo-
narchie hin die Gewalt wieder in die Hände des höchsten
Adels gerieth, dem sie frühere Könige entzogen hatten;
wo die englische Verfassung unter den gefährlichsten Käm-
pfen den aristokratischen Charakter ausbildete, den sie bis
in unsere Zeiten behalten; die französischen Parlamente sich
überredeten, eine ähnliche Rolle spielen zu können wie
das englische; in allen deutschen Territorien der Adel ein
entschiedenes Uebergewicht bekam, ein und das andere aus-
genommen, in welchem ein tapferer Fürst unabhängige Be-
strebungen durchfocht; wo die Stände in Schweden nach
einer unzuläßigen Beschränkung der höchsten Gewalt trach-

1) considerandogli che con tanta profusione d'oro e d'ar-
gento una lunga catena per la poverta della loro casa lavora-
vano (Quirini).

Clemens IX.
bezeichnen pflegten: er ging darin ſogar ungewoͤhnlich weit:
in ſeinem erſten Monat hat er uͤber 600000 Sc. ver-
ſchenkt. Aber dieß kam weder ſeinen Landsleuten zu Gute,
noch ſelbſt ſeinen Nepoten, denen man ſogar Vorſtellungen
uͤber dieſe Vernachlaͤſſigung ihrer Intereſſen machte 1), ſon-
dern es ward unter die Cardinaͤle, unter die vorwaltenden
Mitglieder der Curie uͤberhaupt vertheilt. Schon wollte
man glauben, es ſeyen Stipulationen des Conclave dabei
im Spiele, doch findet ſich davon keine deutliche Spur.

Es entſpricht auch dieß vielmehr der allgemeinen
Entwickelung, wie ſie ſich waͤhrend dieſer Epoche faſt in
dem geſammten uͤbrigen Europa vollzog.

Es hat keine Zeit gegeben welche der Ariſtokratie guͤn-
ſtiger geweſen waͤre, als die Mitte des ſiebzehnten Jahr-
hunderts: wo uͤber den ganzen Umfang der ſpaniſchen Mo-
narchie hin die Gewalt wieder in die Haͤnde des hoͤchſten
Adels gerieth, dem ſie fruͤhere Koͤnige entzogen hatten;
wo die engliſche Verfaſſung unter den gefaͤhrlichſten Kaͤm-
pfen den ariſtokratiſchen Charakter ausbildete, den ſie bis
in unſere Zeiten behalten; die franzoͤſiſchen Parlamente ſich
uͤberredeten, eine aͤhnliche Rolle ſpielen zu koͤnnen wie
das engliſche; in allen deutſchen Territorien der Adel ein
entſchiedenes Uebergewicht bekam, ein und das andere aus-
genommen, in welchem ein tapferer Fuͤrſt unabhaͤngige Be-
ſtrebungen durchfocht; wo die Staͤnde in Schweden nach
einer unzulaͤßigen Beſchraͤnkung der hoͤchſten Gewalt trach-

1) considerandogli che con tanta profusione d’oro e d’ar-
gento una lunga catena per la povertà della loro casa lavora-
vano (Quirini).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0071" n="59"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Clemens</hi><hi rendition="#aq">IX.</hi></fw><lb/>
bezeichnen pflegten: er ging darin &#x017F;ogar ungewo&#x0364;hnlich weit:<lb/>
in &#x017F;einem er&#x017F;ten Monat hat er u&#x0364;ber 600000 Sc. ver-<lb/>
&#x017F;chenkt. Aber dieß kam weder &#x017F;einen Landsleuten zu Gute,<lb/>
noch &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;einen Nepoten, denen man &#x017F;ogar Vor&#x017F;tellungen<lb/>
u&#x0364;ber die&#x017F;e Vernachla&#x0364;&#x017F;&#x017F;igung ihrer Intere&#x017F;&#x017F;en machte <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">considerandogli che con tanta profusione d&#x2019;oro e d&#x2019;ar-<lb/>
gento una lunga catena per la povertà della loro casa lavora-<lb/>
vano (Quirini).</hi></note>, &#x017F;on-<lb/>
dern es ward unter die Cardina&#x0364;le, unter die vorwaltenden<lb/>
Mitglieder der Curie u&#x0364;berhaupt vertheilt. Schon wollte<lb/>
man glauben, es &#x017F;eyen Stipulationen des Conclave dabei<lb/>
im Spiele, doch findet &#x017F;ich davon keine deutliche Spur.</p><lb/>
          <p>Es ent&#x017F;pricht auch dieß vielmehr der allgemeinen<lb/>
Entwickelung, wie &#x017F;ie &#x017F;ich wa&#x0364;hrend die&#x017F;er Epoche fa&#x017F;t in<lb/>
dem ge&#x017F;ammten u&#x0364;brigen Europa vollzog.</p><lb/>
          <p>Es hat keine Zeit gegeben welche der Ari&#x017F;tokratie gu&#x0364;n-<lb/>
&#x017F;tiger gewe&#x017F;en wa&#x0364;re, als die Mitte des &#x017F;iebzehnten Jahr-<lb/>
hunderts: wo u&#x0364;ber den ganzen Umfang der &#x017F;pani&#x017F;chen Mo-<lb/>
narchie hin die Gewalt wieder in die Ha&#x0364;nde des ho&#x0364;ch&#x017F;ten<lb/>
Adels gerieth, dem &#x017F;ie fru&#x0364;here Ko&#x0364;nige entzogen hatten;<lb/>
wo die engli&#x017F;che Verfa&#x017F;&#x017F;ung unter den gefa&#x0364;hrlich&#x017F;ten Ka&#x0364;m-<lb/>
pfen den ari&#x017F;tokrati&#x017F;chen Charakter ausbildete, den &#x017F;ie bis<lb/>
in un&#x017F;ere Zeiten behalten; die franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Parlamente &#x017F;ich<lb/>
u&#x0364;berredeten, eine a&#x0364;hnliche Rolle &#x017F;pielen zu ko&#x0364;nnen wie<lb/>
das engli&#x017F;che; in allen deut&#x017F;chen Territorien der Adel ein<lb/>
ent&#x017F;chiedenes Uebergewicht bekam, ein und das andere aus-<lb/>
genommen, in welchem ein tapferer Fu&#x0364;r&#x017F;t unabha&#x0364;ngige Be-<lb/>
&#x017F;trebungen durchfocht; wo die Sta&#x0364;nde in Schweden nach<lb/>
einer unzula&#x0364;ßigen Be&#x017F;chra&#x0364;nkung der ho&#x0364;ch&#x017F;ten Gewalt trach-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[59/0071] Clemens IX. bezeichnen pflegten: er ging darin ſogar ungewoͤhnlich weit: in ſeinem erſten Monat hat er uͤber 600000 Sc. ver- ſchenkt. Aber dieß kam weder ſeinen Landsleuten zu Gute, noch ſelbſt ſeinen Nepoten, denen man ſogar Vorſtellungen uͤber dieſe Vernachlaͤſſigung ihrer Intereſſen machte 1), ſon- dern es ward unter die Cardinaͤle, unter die vorwaltenden Mitglieder der Curie uͤberhaupt vertheilt. Schon wollte man glauben, es ſeyen Stipulationen des Conclave dabei im Spiele, doch findet ſich davon keine deutliche Spur. Es entſpricht auch dieß vielmehr der allgemeinen Entwickelung, wie ſie ſich waͤhrend dieſer Epoche faſt in dem geſammten uͤbrigen Europa vollzog. Es hat keine Zeit gegeben welche der Ariſtokratie guͤn- ſtiger geweſen waͤre, als die Mitte des ſiebzehnten Jahr- hunderts: wo uͤber den ganzen Umfang der ſpaniſchen Mo- narchie hin die Gewalt wieder in die Haͤnde des hoͤchſten Adels gerieth, dem ſie fruͤhere Koͤnige entzogen hatten; wo die engliſche Verfaſſung unter den gefaͤhrlichſten Kaͤm- pfen den ariſtokratiſchen Charakter ausbildete, den ſie bis in unſere Zeiten behalten; die franzoͤſiſchen Parlamente ſich uͤberredeten, eine aͤhnliche Rolle ſpielen zu koͤnnen wie das engliſche; in allen deutſchen Territorien der Adel ein entſchiedenes Uebergewicht bekam, ein und das andere aus- genommen, in welchem ein tapferer Fuͤrſt unabhaͤngige Be- ſtrebungen durchfocht; wo die Staͤnde in Schweden nach einer unzulaͤßigen Beſchraͤnkung der hoͤchſten Gewalt trach- 1) considerandogli che con tanta profusione d’oro e d’ar- gento una lunga catena per la povertà della loro casa lavora- vano (Quirini).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836/71
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836/71>, abgerufen am 27.11.2024.