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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836.

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Buch VIII. Die Päpste um d. Mitte d. 17. Jahrh.
artig, aber auch ausgelassen, heftig, recht mit Absicht un-
weiblich, keinesweges liebenswürdig, unkindlich selbst, und
zwar nicht allein gegen ihre Mutter: auch das heilige An-
denken ihres Vaters schont sie nicht, um eine beißende Ant-
wort zu geben: es ist zuweilen als wüßte sie nicht was
sie sagt 1). So hoch sie auch gestellt ist, so können doch
die Rückwirkungen eines solchen Betragens nicht ausblei-
ben: um so weniger fühlt sie sich dann zufrieden, heimisch
oder glücklich.

Da geschieht nun, daß dieser Geist der Nichtbefriedi-
gung sich vor allem auf die religiösen Dinge wirft: wo-
mit es folgendergestalt zuging.

In ihren Erinnerungen verweilt die Königin mit be-
sonderer Vorliebe bei ihrem Lehrer Dr. Johann Matthiä,
dessen einfache, reine, milde Seele sie vom ersten Augenblick
an fesselte: der ihr erster Vertrauter wurde: auch in allen
kleinen Angelegenheiten 2). Unmittelbar nachdem sich ge-
zeigt, daß von den bestehenden Kirchengesellschaften keine
die andere überwältigen werde, regte sich hie und da in
wohlgesinnten Gemüthern die Tendenz sie zu vereinigen.
Auch Matthiä hegte diesen Wunsch: er gab ein Buch her-
aus, in welchem er eine Vereinigung der beiden protestan-
tischen Kirchen in Anregung brachte. Die Königin nun
war sehr seiner Meinung: sie faßte den Gedanken eine theo-

1) Von ihrem Gespräch mit ihrer Mutter bei Chanut III,
365, Mai 1654, läßt sich nicht anders urtheilen.
2) tres capable, sagt sie in ihrer Autobiographie p. 51, de
bien instruire un enfant tel que j'etois, ayant une honnetete,
une discretion et une douceur qui le faisoient aimer et estimer.

Buch VIII. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 17. Jahrh.
artig, aber auch ausgelaſſen, heftig, recht mit Abſicht un-
weiblich, keinesweges liebenswuͤrdig, unkindlich ſelbſt, und
zwar nicht allein gegen ihre Mutter: auch das heilige An-
denken ihres Vaters ſchont ſie nicht, um eine beißende Ant-
wort zu geben: es iſt zuweilen als wuͤßte ſie nicht was
ſie ſagt 1). So hoch ſie auch geſtellt iſt, ſo koͤnnen doch
die Ruͤckwirkungen eines ſolchen Betragens nicht ausblei-
ben: um ſo weniger fuͤhlt ſie ſich dann zufrieden, heimiſch
oder gluͤcklich.

Da geſchieht nun, daß dieſer Geiſt der Nichtbefriedi-
gung ſich vor allem auf die religioͤſen Dinge wirft: wo-
mit es folgendergeſtalt zuging.

In ihren Erinnerungen verweilt die Koͤnigin mit be-
ſonderer Vorliebe bei ihrem Lehrer Dr. Johann Matthiaͤ,
deſſen einfache, reine, milde Seele ſie vom erſten Augenblick
an feſſelte: der ihr erſter Vertrauter wurde: auch in allen
kleinen Angelegenheiten 2). Unmittelbar nachdem ſich ge-
zeigt, daß von den beſtehenden Kirchengeſellſchaften keine
die andere uͤberwaͤltigen werde, regte ſich hie und da in
wohlgeſinnten Gemuͤthern die Tendenz ſie zu vereinigen.
Auch Matthiaͤ hegte dieſen Wunſch: er gab ein Buch her-
aus, in welchem er eine Vereinigung der beiden proteſtan-
tiſchen Kirchen in Anregung brachte. Die Koͤnigin nun
war ſehr ſeiner Meinung: ſie faßte den Gedanken eine theo-

1) Von ihrem Geſpraͤch mit ihrer Mutter bei Chanut III,
365, Mai 1654, laͤßt ſich nicht anders urtheilen.
2) très capable, ſagt ſie in ihrer Autobiographie p. 51, de
bien instruire un enfant tel que j’étois, ayant une honnêteté,
une discrétion et une douceur qui le faisoient aimer et estimer.
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[86/0098] Buch VIII. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 17. Jahrh. artig, aber auch ausgelaſſen, heftig, recht mit Abſicht un- weiblich, keinesweges liebenswuͤrdig, unkindlich ſelbſt, und zwar nicht allein gegen ihre Mutter: auch das heilige An- denken ihres Vaters ſchont ſie nicht, um eine beißende Ant- wort zu geben: es iſt zuweilen als wuͤßte ſie nicht was ſie ſagt 1). So hoch ſie auch geſtellt iſt, ſo koͤnnen doch die Ruͤckwirkungen eines ſolchen Betragens nicht ausblei- ben: um ſo weniger fuͤhlt ſie ſich dann zufrieden, heimiſch oder gluͤcklich. Da geſchieht nun, daß dieſer Geiſt der Nichtbefriedi- gung ſich vor allem auf die religioͤſen Dinge wirft: wo- mit es folgendergeſtalt zuging. In ihren Erinnerungen verweilt die Koͤnigin mit be- ſonderer Vorliebe bei ihrem Lehrer Dr. Johann Matthiaͤ, deſſen einfache, reine, milde Seele ſie vom erſten Augenblick an feſſelte: der ihr erſter Vertrauter wurde: auch in allen kleinen Angelegenheiten 2). Unmittelbar nachdem ſich ge- zeigt, daß von den beſtehenden Kirchengeſellſchaften keine die andere uͤberwaͤltigen werde, regte ſich hie und da in wohlgeſinnten Gemuͤthern die Tendenz ſie zu vereinigen. Auch Matthiaͤ hegte dieſen Wunſch: er gab ein Buch her- aus, in welchem er eine Vereinigung der beiden proteſtan- tiſchen Kirchen in Anregung brachte. Die Koͤnigin nun war ſehr ſeiner Meinung: ſie faßte den Gedanken eine theo- 1) Von ihrem Geſpraͤch mit ihrer Mutter bei Chanut III, 365, Mai 1654, laͤßt ſich nicht anders urtheilen. 2) très capable, ſagt ſie in ihrer Autobiographie p. 51, de bien instruire un enfant tel que j’étois, ayant une honnêteté, une discrétion et une douceur qui le faisoient aimer et estimer.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836/98>, abgerufen am 23.11.2024.