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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Grundlegung einer neuen Verfassung.
zu Grunde, eine ernste Ehrenfestigkeit; der alte Fürst hatte
auch als Verjagter, als Hülfesuchender eine persönliche
Haltung, welche die Majestät nicht sinken läßt. In dem-
selben Styl waren seine Vergnügungen: wie wenn er
einst in Nürnberg alle Kinder aus der Stadt, auch die
kleinsten, die eben erst gehen gelernt, in den Stadtgraben
kommen ließ: da weidete er seine Augen an dem aufwach-
senden Geschlecht, dem die Zukunft beschieden war; dann
ließ er Lebkuchen bringen und vertheilen: da dachten die
Kinder Zeit ihres Lebens des alten Herrn, den sie noch
gesehen. Den vertrautern Fürsten gab er zuweilen ein Ge-
lag auf dem Schloß. So abgemessen sonst seine Mäßig-
keit war, so prächtig mußte es dann dabei hergehen; bis
in die tiefe Nacht, wo er überhaupt erst recht zu leben
begann, behielt er seine Gäste bei sich; auch seine gewohnte
Schweigsamkeit hörte auf; er fieng an, von seinen vergange-
nen Jahren zu erzählen: seltsame Ereignisse, züchtige Scherze
und weise Reden führte er ein; unter den Fürsten, die alle
um vieles jünger waren, erschien er wie ein Patriarch.

Den Ständen leuchtete wohl ein, daß bei dieser Ge-
sinnung, diesem abgeschlossenen, unerschütterlichen Wesen
kein Unterhandeln noch Bedingen etwas erreichen konnte.
Wollten sie zu ihrem Ziele kommen, so mußten sie sich an
den jungen König wenden, der zwar für jetzt keine Macht
besaß, aber doch in Kurzem dazu gelangen mußte. Indem
er von den Niederlanden kam und nach Östreich eilte, um
dieß den Ungern abzugewinnen, wozu er denn die Hülfe
des Reiches schlechterdings bedurfte, legten sie ihm ihr Be-
gehren vor und machten es zur Bedingung ihrer Bewilli-

Ranke d. Gesch. I. 7

Grundlegung einer neuen Verfaſſung.
zu Grunde, eine ernſte Ehrenfeſtigkeit; der alte Fürſt hatte
auch als Verjagter, als Hülfeſuchender eine perſönliche
Haltung, welche die Majeſtät nicht ſinken läßt. In dem-
ſelben Styl waren ſeine Vergnügungen: wie wenn er
einſt in Nürnberg alle Kinder aus der Stadt, auch die
kleinſten, die eben erſt gehen gelernt, in den Stadtgraben
kommen ließ: da weidete er ſeine Augen an dem aufwach-
ſenden Geſchlecht, dem die Zukunft beſchieden war; dann
ließ er Lebkuchen bringen und vertheilen: da dachten die
Kinder Zeit ihres Lebens des alten Herrn, den ſie noch
geſehen. Den vertrautern Fürſten gab er zuweilen ein Ge-
lag auf dem Schloß. So abgemeſſen ſonſt ſeine Mäßig-
keit war, ſo prächtig mußte es dann dabei hergehen; bis
in die tiefe Nacht, wo er überhaupt erſt recht zu leben
begann, behielt er ſeine Gäſte bei ſich; auch ſeine gewohnte
Schweigſamkeit hörte auf; er fieng an, von ſeinen vergange-
nen Jahren zu erzählen: ſeltſame Ereigniſſe, züchtige Scherze
und weiſe Reden führte er ein; unter den Fürſten, die alle
um vieles jünger waren, erſchien er wie ein Patriarch.

Den Ständen leuchtete wohl ein, daß bei dieſer Ge-
ſinnung, dieſem abgeſchloſſenen, unerſchütterlichen Weſen
kein Unterhandeln noch Bedingen etwas erreichen konnte.
Wollten ſie zu ihrem Ziele kommen, ſo mußten ſie ſich an
den jungen König wenden, der zwar für jetzt keine Macht
beſaß, aber doch in Kurzem dazu gelangen mußte. Indem
er von den Niederlanden kam und nach Öſtreich eilte, um
dieß den Ungern abzugewinnen, wozu er denn die Hülfe
des Reiches ſchlechterdings bedurfte, legten ſie ihm ihr Be-
gehren vor und machten es zur Bedingung ihrer Bewilli-

Ranke d. Geſch. I. 7
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[97/0115] Grundlegung einer neuen Verfaſſung. zu Grunde, eine ernſte Ehrenfeſtigkeit; der alte Fürſt hatte auch als Verjagter, als Hülfeſuchender eine perſönliche Haltung, welche die Majeſtät nicht ſinken läßt. In dem- ſelben Styl waren ſeine Vergnügungen: wie wenn er einſt in Nürnberg alle Kinder aus der Stadt, auch die kleinſten, die eben erſt gehen gelernt, in den Stadtgraben kommen ließ: da weidete er ſeine Augen an dem aufwach- ſenden Geſchlecht, dem die Zukunft beſchieden war; dann ließ er Lebkuchen bringen und vertheilen: da dachten die Kinder Zeit ihres Lebens des alten Herrn, den ſie noch geſehen. Den vertrautern Fürſten gab er zuweilen ein Ge- lag auf dem Schloß. So abgemeſſen ſonſt ſeine Mäßig- keit war, ſo prächtig mußte es dann dabei hergehen; bis in die tiefe Nacht, wo er überhaupt erſt recht zu leben begann, behielt er ſeine Gäſte bei ſich; auch ſeine gewohnte Schweigſamkeit hörte auf; er fieng an, von ſeinen vergange- nen Jahren zu erzählen: ſeltſame Ereigniſſe, züchtige Scherze und weiſe Reden führte er ein; unter den Fürſten, die alle um vieles jünger waren, erſchien er wie ein Patriarch. Den Ständen leuchtete wohl ein, daß bei dieſer Ge- ſinnung, dieſem abgeſchloſſenen, unerſchütterlichen Weſen kein Unterhandeln noch Bedingen etwas erreichen konnte. Wollten ſie zu ihrem Ziele kommen, ſo mußten ſie ſich an den jungen König wenden, der zwar für jetzt keine Macht beſaß, aber doch in Kurzem dazu gelangen mußte. Indem er von den Niederlanden kam und nach Öſtreich eilte, um dieß den Ungern abzugewinnen, wozu er denn die Hülfe des Reiches ſchlechterdings bedurfte, legten ſie ihm ihr Be- gehren vor und machten es zur Bedingung ihrer Bewilli- Ranke d. Geſch. I. 7

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/115>, abgerufen am 21.11.2024.