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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Erstes Buch.
das dort um ihn verdient: ihm habe man nicht gehorchen
wollen: darum müsse man jetzt den Storch als König dul-
den, wie jene Frösche in der Fabel. Zu seinen eigenen
Angelegenheiten verhielt er sich fast wie ein Beobachter;
er sah in den Dingen die Regel von der sie abhangen,
das Allgemeine, Beherrschende, das sich nach kurzer Abwei-
chung wieder herstellt. Von Jugend auf war er in Wi-
derwärtigkeiten verwickelt gewesen; hatte er auch weichen
müssen, so hatte er nie etwas aufgegeben; zuletzt hatte er
noch allemal die Oberhand behalten. Die Behauptung
seiner Gerechtsame war für ihn um so mehr der oberste
Grundsatz seines Thuns und Lassens, da sie großentheils
durch den Besitz der Kaiserwürde eine ideale Beziehung
empfiengen. Entschloß er sich doch nur mit Mühe, seinen
Sohn zum römischen König wählen zu lassen; ungetheilt
wollte er die höchste Würde mit ins Grab nehmen; auf
jeden Fall gestattete er ihm keinen selbständigen Antheil an
der Verwaltung der Reichsgeschäfte; er hielt ihn, auch als
er König war, noch immer als den Sohn vom Hause; 1
er räumte ihm nie etwas anders ein, als die Grafschaft
Cilli, "denn das Übrige werde er ja doch Zeit genug be-
kommen." Es ist in ihm eine Sparsamkeit die an Geiz,
eine Langsamkeit die an Unthätigkeit, eine Zähigkeit die
an die entschiedenste Selbstsucht streift; allein alle dieses
Wesen ist doch zugleich durch höhere Beziehungen dem
Gemeinen entrissen; es liegt ihm ein nüchterner Tiefsinn

zu
1 Schreiben Maximilians an Albrecht von Sachsen 1492 im
Dresdner A.

Erſtes Buch.
das dort um ihn verdient: ihm habe man nicht gehorchen
wollen: darum müſſe man jetzt den Storch als König dul-
den, wie jene Fröſche in der Fabel. Zu ſeinen eigenen
Angelegenheiten verhielt er ſich faſt wie ein Beobachter;
er ſah in den Dingen die Regel von der ſie abhangen,
das Allgemeine, Beherrſchende, das ſich nach kurzer Abwei-
chung wieder herſtellt. Von Jugend auf war er in Wi-
derwärtigkeiten verwickelt geweſen; hatte er auch weichen
müſſen, ſo hatte er nie etwas aufgegeben; zuletzt hatte er
noch allemal die Oberhand behalten. Die Behauptung
ſeiner Gerechtſame war für ihn um ſo mehr der oberſte
Grundſatz ſeines Thuns und Laſſens, da ſie großentheils
durch den Beſitz der Kaiſerwürde eine ideale Beziehung
empfiengen. Entſchloß er ſich doch nur mit Mühe, ſeinen
Sohn zum römiſchen König wählen zu laſſen; ungetheilt
wollte er die höchſte Würde mit ins Grab nehmen; auf
jeden Fall geſtattete er ihm keinen ſelbſtändigen Antheil an
der Verwaltung der Reichsgeſchäfte; er hielt ihn, auch als
er König war, noch immer als den Sohn vom Hauſe; 1
er räumte ihm nie etwas anders ein, als die Grafſchaft
Cilli, „denn das Übrige werde er ja doch Zeit genug be-
kommen.“ Es iſt in ihm eine Sparſamkeit die an Geiz,
eine Langſamkeit die an Unthätigkeit, eine Zähigkeit die
an die entſchiedenſte Selbſtſucht ſtreift; allein alle dieſes
Weſen iſt doch zugleich durch höhere Beziehungen dem
Gemeinen entriſſen; es liegt ihm ein nüchterner Tiefſinn

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1 Schreiben Maximilians an Albrecht von Sachſen 1492 im
Dresdner A.
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[96/0114] Erſtes Buch. das dort um ihn verdient: ihm habe man nicht gehorchen wollen: darum müſſe man jetzt den Storch als König dul- den, wie jene Fröſche in der Fabel. Zu ſeinen eigenen Angelegenheiten verhielt er ſich faſt wie ein Beobachter; er ſah in den Dingen die Regel von der ſie abhangen, das Allgemeine, Beherrſchende, das ſich nach kurzer Abwei- chung wieder herſtellt. Von Jugend auf war er in Wi- derwärtigkeiten verwickelt geweſen; hatte er auch weichen müſſen, ſo hatte er nie etwas aufgegeben; zuletzt hatte er noch allemal die Oberhand behalten. Die Behauptung ſeiner Gerechtſame war für ihn um ſo mehr der oberſte Grundſatz ſeines Thuns und Laſſens, da ſie großentheils durch den Beſitz der Kaiſerwürde eine ideale Beziehung empfiengen. Entſchloß er ſich doch nur mit Mühe, ſeinen Sohn zum römiſchen König wählen zu laſſen; ungetheilt wollte er die höchſte Würde mit ins Grab nehmen; auf jeden Fall geſtattete er ihm keinen ſelbſtändigen Antheil an der Verwaltung der Reichsgeſchäfte; er hielt ihn, auch als er König war, noch immer als den Sohn vom Hauſe; 1 er räumte ihm nie etwas anders ein, als die Grafſchaft Cilli, „denn das Übrige werde er ja doch Zeit genug be- kommen.“ Es iſt in ihm eine Sparſamkeit die an Geiz, eine Langſamkeit die an Unthätigkeit, eine Zähigkeit die an die entſchiedenſte Selbſtſucht ſtreift; allein alle dieſes Weſen iſt doch zugleich durch höhere Beziehungen dem Gemeinen entriſſen; es liegt ihm ein nüchterner Tiefſinn zu 1 Schreiben Maximilians an Albrecht von Sachſen 1492 im Dresdner A.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/114>, abgerufen am 21.11.2024.