Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.Erstes Buch. gen neue und wahre Aussichten ahnender Geist sich einstzur Zeit des Baseler Conciliums, auch der innern Politik des Reiches mit Hingebung und Scharfsinn widmete. Er gieng von der Wahrnehmung aus, daß man die Kirche nicht verbessern könne, wenn man nicht das Reich reformire: wie man denn diese Gewalten niemals, eine ohne die andre, denken konnte. 1 Da dringt er nun aber, obwohl ein Geistlicher, doch sehr lebendig auf die Emancipation der weltlichen Gewalt. Er will nichts wis- sen von einer Übertragung des Kaiserthums durch das Papst- thum; auch jenem schreibt er mystische Beziehungen zu Gott und Christus, unbedingte Unabhängigkeit, ja das Recht und die Pflicht zu, auch seinerseits an der Regierung der Kirche Theil zu nehmen. Zunächst will er dann die durch die Competenzen der geistlichen und weltlichen Gerichtsbar- keit entstehenden Verwirrungen abgestellt wissen. Er bringt Obergerichte in Vorschlag, jedes mit einem adlichen, einem geistlichen und einem bürgerlichen Beisitzer, zugleich um die Appellationen von den untern Gerichten zu empfangen 2 und die Streitigkeiten der Fürsten unter einander in erster Instanz zu entscheiden: nur seyen dabei die Rechts-Gewohnheiten mit der natürlichen Gerechtigkeit in bessern Einklang zu setzen. 1 Nicolai Cusani de concordantia catholica libri III. In Schardius Sylloge de jurisdictione imperiali f. 465. 2 Lib. III, c. XXXIII: pronunciet et citet quisque judicum
secundum conditionem disceptantium personarum, nobilis inter no- biles, ecclesiasticus inter ecclesiasticos, popularis inter populares: nulla tamen definitiva feratur nisi ex communi deliberatione omnium trium. Si vero unus duobus dissenserit, vincat opinio majo- ris numeri. Man dürfte nicht glauben, daß nicht auch die deutschen Rechtsgewohnheiten viele Klagen veranlaßt hätten. Hier heißt es: Erſtes Buch. gen neue und wahre Ausſichten ahnender Geiſt ſich einſtzur Zeit des Baſeler Conciliums, auch der innern Politik des Reiches mit Hingebung und Scharfſinn widmete. Er gieng von der Wahrnehmung aus, daß man die Kirche nicht verbeſſern könne, wenn man nicht das Reich reformire: wie man denn dieſe Gewalten niemals, eine ohne die andre, denken konnte. 1 Da dringt er nun aber, obwohl ein Geiſtlicher, doch ſehr lebendig auf die Emancipation der weltlichen Gewalt. Er will nichts wiſ- ſen von einer Übertragung des Kaiſerthums durch das Papſt- thum; auch jenem ſchreibt er myſtiſche Beziehungen zu Gott und Chriſtus, unbedingte Unabhängigkeit, ja das Recht und die Pflicht zu, auch ſeinerſeits an der Regierung der Kirche Theil zu nehmen. Zunächſt will er dann die durch die Competenzen der geiſtlichen und weltlichen Gerichtsbar- keit entſtehenden Verwirrungen abgeſtellt wiſſen. Er bringt Obergerichte in Vorſchlag, jedes mit einem adlichen, einem geiſtlichen und einem bürgerlichen Beiſitzer, zugleich um die Appellationen von den untern Gerichten zu empfangen 2 und die Streitigkeiten der Fürſten unter einander in erſter Inſtanz zu entſcheiden: nur ſeyen dabei die Rechts-Gewohnheiten mit der natürlichen Gerechtigkeit in beſſern Einklang zu ſetzen. 1 Nicolai Cusani de concordantia catholica libri III. In Schardius Sylloge de jurisdictione imperiali f. 465. 2 Lib. III, c. XXXIII: pronunciet et citet quisque judicum
secundum conditionem disceptantium personarum, nobilis inter no- biles, ecclesiasticus inter ecclesiasticos, popularis inter populares: nulla tamen definitiva feratur nisi ex communi deliberatione omnium trium. Si vero unus duobus dissenserit, vincat opinio majo- ris numeri. Man duͤrfte nicht glauben, daß nicht auch die deutſchen Rechtsgewohnheiten viele Klagen veranlaßt haͤtten. Hier heißt es: <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0122" n="104"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erſtes Buch</hi>.</fw><lb/> gen neue und wahre Ausſichten ahnender Geiſt ſich einſt<lb/> zur Zeit des Baſeler Conciliums, auch der innern Politik<lb/> des Reiches mit Hingebung und Scharfſinn widmete.<lb/> Er gieng von der Wahrnehmung aus, daß man die<lb/> Kirche nicht verbeſſern könne, wenn man nicht das Reich<lb/> reformire: wie man denn dieſe Gewalten niemals, eine<lb/> ohne die andre, denken konnte. <note place="foot" n="1"><hi rendition="#aq">Nicolai Cusani de concordantia catholica libri III.</hi> In<lb/> Schardius <hi rendition="#aq">Sylloge de jurisdictione imperiali f.</hi> 465.</note> Da dringt er nun<lb/> aber, obwohl ein Geiſtlicher, doch ſehr lebendig auf die<lb/> Emancipation der weltlichen Gewalt. Er will nichts wiſ-<lb/> ſen von einer Übertragung des Kaiſerthums durch das Papſt-<lb/> thum; auch jenem ſchreibt er myſtiſche Beziehungen zu Gott<lb/> und Chriſtus, unbedingte Unabhängigkeit, ja das Recht<lb/> und die Pflicht zu, auch ſeinerſeits an der Regierung der<lb/> Kirche Theil zu nehmen. Zunächſt will er dann die durch<lb/> die Competenzen der geiſtlichen und weltlichen Gerichtsbar-<lb/> keit entſtehenden Verwirrungen abgeſtellt wiſſen. Er bringt<lb/> Obergerichte in Vorſchlag, jedes mit einem adlichen, einem<lb/> geiſtlichen und einem bürgerlichen Beiſitzer, zugleich um die<lb/> Appellationen von den untern Gerichten zu empfangen <note xml:id="seg2pn_10_1" next="#seg2pn_10_2" place="foot" n="2"><hi rendition="#aq">Lib. III, c. XXXIII: pronunciet et citet quisque judicum<lb/> secundum conditionem disceptantium personarum, nobilis inter no-<lb/> biles, ecclesiasticus inter ecclesiasticos, popularis inter populares:<lb/> nulla tamen definitiva feratur nisi ex communi deliberatione omnium<lb/> trium. Si vero unus duobus dissenserit, vincat opinio majo-<lb/> ris numeri.</hi> Man duͤrfte nicht glauben, daß nicht auch die deutſchen<lb/> Rechtsgewohnheiten viele Klagen veranlaßt haͤtten. Hier heißt es:</note> und<lb/> die Streitigkeiten der Fürſten unter einander in erſter Inſtanz<lb/> zu entſcheiden: nur ſeyen dabei die Rechts-Gewohnheiten mit<lb/> der natürlichen Gerechtigkeit in beſſern Einklang zu ſetzen.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [104/0122]
Erſtes Buch.
gen neue und wahre Ausſichten ahnender Geiſt ſich einſt
zur Zeit des Baſeler Conciliums, auch der innern Politik
des Reiches mit Hingebung und Scharfſinn widmete.
Er gieng von der Wahrnehmung aus, daß man die
Kirche nicht verbeſſern könne, wenn man nicht das Reich
reformire: wie man denn dieſe Gewalten niemals, eine
ohne die andre, denken konnte. 1 Da dringt er nun
aber, obwohl ein Geiſtlicher, doch ſehr lebendig auf die
Emancipation der weltlichen Gewalt. Er will nichts wiſ-
ſen von einer Übertragung des Kaiſerthums durch das Papſt-
thum; auch jenem ſchreibt er myſtiſche Beziehungen zu Gott
und Chriſtus, unbedingte Unabhängigkeit, ja das Recht
und die Pflicht zu, auch ſeinerſeits an der Regierung der
Kirche Theil zu nehmen. Zunächſt will er dann die durch
die Competenzen der geiſtlichen und weltlichen Gerichtsbar-
keit entſtehenden Verwirrungen abgeſtellt wiſſen. Er bringt
Obergerichte in Vorſchlag, jedes mit einem adlichen, einem
geiſtlichen und einem bürgerlichen Beiſitzer, zugleich um die
Appellationen von den untern Gerichten zu empfangen 2 und
die Streitigkeiten der Fürſten unter einander in erſter Inſtanz
zu entſcheiden: nur ſeyen dabei die Rechts-Gewohnheiten mit
der natürlichen Gerechtigkeit in beſſern Einklang zu ſetzen.
1 Nicolai Cusani de concordantia catholica libri III. In
Schardius Sylloge de jurisdictione imperiali f. 465.
2 Lib. III, c. XXXIII: pronunciet et citet quisque judicum
secundum conditionem disceptantium personarum, nobilis inter no-
biles, ecclesiasticus inter ecclesiasticos, popularis inter populares:
nulla tamen definitiva feratur nisi ex communi deliberatione omnium
trium. Si vero unus duobus dissenserit, vincat opinio majo-
ris numeri. Man duͤrfte nicht glauben, daß nicht auch die deutſchen
Rechtsgewohnheiten viele Klagen veranlaßt haͤtten. Hier heißt es:
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