Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweites Buch. Erstes Capitel.

Fragen wir welche von diesen Religionen politisch die
stärkste war, so besaß ohne Zweifel der Islam diesen Vor-
theil. Durch die Eroberungen der Osmanen breitete er
sich im funfzehnten Jahrhundert in Gegenden aus, die er
noch nie berührt, tief nach Europa, und zwar in solchen
Formen des Staates, welche eine unaufhörlich fortschrei-
tende Bekehrung einleiten mußten. Er eroberte die Herr-
schaft auf dem Mittelmeer wieder, die er seit dem elften
Jahrhundert verloren hatte. Und wie hier im Westen, so
breitete er sich bald darauf auch im Osten in Indien aufs
neue aus. Sultan Baber begnügte sich nicht die islami-
tischen Fürsten zu stürzen, welche dieses Land bisher be-
herrscht. Da er fand, wie er sich ausdrückt, "daß die
Baniere der Heiden in zweihundert Städten der Gläubigen
wehten, Moscheen zerstört, Weiber und Kinder der Mos-
limen zu Sklaven gemacht wurden," so zog er in den hei-
ligen Krieg wider die Hindus aus, wie die Osmanen wi-
der die Christen; wir finden wohl, daß er vor einer
Schlacht sich entschließt dem Wein zu entsagen, Auflagen
abschafft die dem Koran nicht gemäß sind, seine Truppen
durch einen Schwur auf dieß ihr heiliges Buch ihren
Muth entflammen läßt; in diesem Styl des religiösen En-
thusiasmus sind dann auch seine Siegesberichte: er ver-
diente sich den Titel Gazi. 1 Die Entstehung einer so ge-
waltigen, von diesem Ideenkreise erfüllten Macht konnte
nicht anders, als die Verbreitung des Islam über den
ganzen Osten hin gewaltig befördern.


1 Babers eigne Denkwürdigkeiten; englisch von Leyden und
Erskine, deutsch von Kaiser 1828 p. 537 und die dort folgenden bei-
den Firmane.
Zweites Buch. Erſtes Capitel.

Fragen wir welche von dieſen Religionen politiſch die
ſtärkſte war, ſo beſaß ohne Zweifel der Islam dieſen Vor-
theil. Durch die Eroberungen der Osmanen breitete er
ſich im funfzehnten Jahrhundert in Gegenden aus, die er
noch nie berührt, tief nach Europa, und zwar in ſolchen
Formen des Staates, welche eine unaufhörlich fortſchrei-
tende Bekehrung einleiten mußten. Er eroberte die Herr-
ſchaft auf dem Mittelmeer wieder, die er ſeit dem elften
Jahrhundert verloren hatte. Und wie hier im Weſten, ſo
breitete er ſich bald darauf auch im Oſten in Indien aufs
neue aus. Sultan Baber begnügte ſich nicht die islami-
tiſchen Fürſten zu ſtürzen, welche dieſes Land bisher be-
herrſcht. Da er fand, wie er ſich ausdrückt, „daß die
Baniere der Heiden in zweihundert Städten der Gläubigen
wehten, Moſcheen zerſtört, Weiber und Kinder der Mos-
limen zu Sklaven gemacht wurden,“ ſo zog er in den hei-
ligen Krieg wider die Hindus aus, wie die Osmanen wi-
der die Chriſten; wir finden wohl, daß er vor einer
Schlacht ſich entſchließt dem Wein zu entſagen, Auflagen
abſchafft die dem Koran nicht gemäß ſind, ſeine Truppen
durch einen Schwur auf dieß ihr heiliges Buch ihren
Muth entflammen läßt; in dieſem Styl des religiöſen En-
thuſiasmus ſind dann auch ſeine Siegesberichte: er ver-
diente ſich den Titel Gazi. 1 Die Entſtehung einer ſo ge-
waltigen, von dieſem Ideenkreiſe erfüllten Macht konnte
nicht anders, als die Verbreitung des Islam über den
ganzen Oſten hin gewaltig befördern.


1 Babers eigne Denkwuͤrdigkeiten; engliſch von Leyden und
Erskine, deutſch von Kaiſer 1828 p. 537 und die dort folgenden bei-
den Firmane.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0248" n="230"/>
          <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweites Buch. Er&#x017F;tes Capitel</hi>.</fw><lb/>
          <p>Fragen wir welche von die&#x017F;en Religionen politi&#x017F;ch die<lb/>
&#x017F;tärk&#x017F;te war, &#x017F;o be&#x017F;aß ohne Zweifel der Islam die&#x017F;en Vor-<lb/>
theil. Durch die Eroberungen der Osmanen breitete er<lb/>
&#x017F;ich im funfzehnten Jahrhundert in Gegenden aus, die er<lb/>
noch nie berührt, tief nach Europa, und zwar in &#x017F;olchen<lb/>
Formen des Staates, welche eine unaufhörlich fort&#x017F;chrei-<lb/>
tende Bekehrung einleiten mußten. Er eroberte die Herr-<lb/>
&#x017F;chaft auf dem Mittelmeer wieder, die er &#x017F;eit dem elften<lb/>
Jahrhundert verloren hatte. Und wie hier im We&#x017F;ten, &#x017F;o<lb/>
breitete er &#x017F;ich bald darauf auch im O&#x017F;ten in Indien aufs<lb/>
neue aus. Sultan Baber begnügte &#x017F;ich nicht die islami-<lb/>
ti&#x017F;chen Für&#x017F;ten zu &#x017F;türzen, welche die&#x017F;es Land bisher be-<lb/>
herr&#x017F;cht. Da er fand, wie er &#x017F;ich ausdrückt, &#x201E;daß die<lb/>
Baniere der Heiden in zweihundert Städten der Gläubigen<lb/>
wehten, Mo&#x017F;cheen zer&#x017F;tört, Weiber und Kinder der Mos-<lb/>
limen zu Sklaven gemacht wurden,&#x201C; &#x017F;o zog er in den hei-<lb/>
ligen Krieg wider die Hindus aus, wie die Osmanen wi-<lb/>
der die Chri&#x017F;ten; wir finden wohl, daß er vor einer<lb/>
Schlacht &#x017F;ich ent&#x017F;chließt dem Wein zu ent&#x017F;agen, Auflagen<lb/>
ab&#x017F;chafft die dem Koran nicht gemäß &#x017F;ind, &#x017F;eine Truppen<lb/>
durch einen Schwur auf dieß ihr heiliges Buch ihren<lb/>
Muth entflammen läßt; in die&#x017F;em Styl des religiö&#x017F;en En-<lb/>
thu&#x017F;iasmus &#x017F;ind dann auch &#x017F;eine Siegesberichte: er ver-<lb/>
diente &#x017F;ich den Titel Gazi. <note place="foot" n="1">Babers eigne Denkwu&#x0364;rdigkeiten; engli&#x017F;ch von Leyden und<lb/>
Erskine, deut&#x017F;ch von Kai&#x017F;er 1828 <hi rendition="#aq">p.</hi> 537 und die dort folgenden bei-<lb/>
den Firmane.</note> Die Ent&#x017F;tehung einer &#x017F;o ge-<lb/>
waltigen, von die&#x017F;em Ideenkrei&#x017F;e erfüllten Macht konnte<lb/>
nicht anders, als die Verbreitung des Islam über den<lb/>
ganzen O&#x017F;ten hin gewaltig befördern.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[230/0248] Zweites Buch. Erſtes Capitel. Fragen wir welche von dieſen Religionen politiſch die ſtärkſte war, ſo beſaß ohne Zweifel der Islam dieſen Vor- theil. Durch die Eroberungen der Osmanen breitete er ſich im funfzehnten Jahrhundert in Gegenden aus, die er noch nie berührt, tief nach Europa, und zwar in ſolchen Formen des Staates, welche eine unaufhörlich fortſchrei- tende Bekehrung einleiten mußten. Er eroberte die Herr- ſchaft auf dem Mittelmeer wieder, die er ſeit dem elften Jahrhundert verloren hatte. Und wie hier im Weſten, ſo breitete er ſich bald darauf auch im Oſten in Indien aufs neue aus. Sultan Baber begnügte ſich nicht die islami- tiſchen Fürſten zu ſtürzen, welche dieſes Land bisher be- herrſcht. Da er fand, wie er ſich ausdrückt, „daß die Baniere der Heiden in zweihundert Städten der Gläubigen wehten, Moſcheen zerſtört, Weiber und Kinder der Mos- limen zu Sklaven gemacht wurden,“ ſo zog er in den hei- ligen Krieg wider die Hindus aus, wie die Osmanen wi- der die Chriſten; wir finden wohl, daß er vor einer Schlacht ſich entſchließt dem Wein zu entſagen, Auflagen abſchafft die dem Koran nicht gemäß ſind, ſeine Truppen durch einen Schwur auf dieß ihr heiliges Buch ihren Muth entflammen läßt; in dieſem Styl des religiöſen En- thuſiasmus ſind dann auch ſeine Siegesberichte: er ver- diente ſich den Titel Gazi. 1 Die Entſtehung einer ſo ge- waltigen, von dieſem Ideenkreiſe erfüllten Macht konnte nicht anders, als die Verbreitung des Islam über den ganzen Oſten hin gewaltig befördern. 1 Babers eigne Denkwuͤrdigkeiten; engliſch von Leyden und Erskine, deutſch von Kaiſer 1828 p. 537 und die dort folgenden bei- den Firmane.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/248
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/248>, abgerufen am 18.05.2024.