Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.Einleitung. lichen Beamten einander so oft zuwider handeln, statt sichzu unterstützen wie ihre Pflicht wäre. Er verhehlt darin nicht, daß es hauptsächlich die Geistlichen sind, die ihre Befugnisse überschreiten; er legt ihnen schon jene mit Ta- del und Unwillen durchdrungenen Fragen vor, die später so oft wiederholt worden sind, z. B. in wie fern es ihnen zukomme, sich in rein-weltliche Angelegenheiten zu mischen: sie sollen erklären, was es bedeute: die Welt verlassen; ob man dabei doch noch sich mit zahlreichem Gefolge um- geben, die Unwissenden zur Abtretung ihrer Güter, zur Enterbung ihrer Kinder bereden dürfe, ob es nicht besser sey, gute Sitten zu pflegen, als schöne Kirchen zu bauen, und was dem mehr ist. Sehr bald aber entwickelte der Clerus noch um vie- Wir brauchen hier nicht zu untersuchen, ob die pseudo- 1 Eine Stelle aus den erdichteten Synodalacten von Pp. Sil-
vester findet sich in einem Capitular von 806. Vgl. Eichhorn über die spanische Sammlung der Quellen des Kirchenrechts in den Ab- handll. der Preuß. Akademie d. W. 1834. Philos. histor. Klasse p. 132. Einleitung. lichen Beamten einander ſo oft zuwider handeln, ſtatt ſichzu unterſtützen wie ihre Pflicht wäre. Er verhehlt darin nicht, daß es hauptſächlich die Geiſtlichen ſind, die ihre Befugniſſe überſchreiten; er legt ihnen ſchon jene mit Ta- del und Unwillen durchdrungenen Fragen vor, die ſpäter ſo oft wiederholt worden ſind, z. B. in wie fern es ihnen zukomme, ſich in rein-weltliche Angelegenheiten zu miſchen: ſie ſollen erklären, was es bedeute: die Welt verlaſſen; ob man dabei doch noch ſich mit zahlreichem Gefolge um- geben, die Unwiſſenden zur Abtretung ihrer Güter, zur Enterbung ihrer Kinder bereden dürfe, ob es nicht beſſer ſey, gute Sitten zu pflegen, als ſchöne Kirchen zu bauen, und was dem mehr iſt. Sehr bald aber entwickelte der Clerus noch um vie- Wir brauchen hier nicht zu unterſuchen, ob die pſeudo- 1 Eine Stelle aus den erdichteten Synodalacten von Pp. Sil-
veſter findet ſich in einem Capitular von 806. Vgl. Eichhorn uͤber die ſpaniſche Sammlung der Quellen des Kirchenrechts in den Ab- handll. der Preuß. Akademie d. W. 1834. Philoſ. hiſtor. Klaſſe p. 132. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0028" n="10"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/> lichen Beamten einander ſo oft zuwider handeln, ſtatt ſich<lb/> zu unterſtützen wie ihre Pflicht wäre. Er verhehlt darin<lb/> nicht, daß es hauptſächlich die Geiſtlichen ſind, die ihre<lb/> Befugniſſe überſchreiten; er legt ihnen ſchon jene mit Ta-<lb/> del und Unwillen durchdrungenen Fragen vor, die ſpäter ſo<lb/> oft wiederholt worden ſind, z. B. in wie fern es ihnen<lb/> zukomme, ſich in rein-weltliche Angelegenheiten zu miſchen:<lb/> ſie ſollen erklären, was es bedeute: die Welt verlaſſen;<lb/> ob man dabei doch noch ſich mit zahlreichem Gefolge um-<lb/> geben, die Unwiſſenden zur Abtretung ihrer Güter, zur<lb/> Enterbung ihrer Kinder bereden dürfe, ob es nicht beſſer<lb/> ſey, gute Sitten zu pflegen, als ſchöne Kirchen zu bauen,<lb/> und was dem mehr iſt.</p><lb/> <p>Sehr bald aber entwickelte der Clerus noch um vie-<lb/> les weiter reichende Tendenzen.</p><lb/> <p>Wir brauchen hier nicht zu unterſuchen, ob die pſeudo-<lb/> iſidoriſchen Decretalen noch unter Carl dem Großen <note place="foot" n="1">Eine Stelle aus den erdichteten Synodalacten von Pp. Sil-<lb/> veſter findet ſich in einem Capitular von 806. Vgl. Eichhorn uͤber<lb/> die ſpaniſche Sammlung der Quellen des Kirchenrechts in den Ab-<lb/> handll. der Preuß. Akademie d. W. 1834. Philoſ. hiſtor. Klaſſe <hi rendition="#aq">p.</hi> 132.</note> oder<lb/> etwas ſpäter, in der fränkiſchen Kirche oder in Italien er-<lb/> funden worden ſind: auf jeden Fall gehören ſie dieſer<lb/> Epoche, einem ſehr weit verbreiteten Beſtreben an, und<lb/> bilden einen großen Moment in ihrer Geſchichte. Man<lb/> beabſichtigte damit, die bisherige Kirchenverfaſſung, die<lb/> noch weſentlich auf der Metropolitangewalt beruhte, zu ſpren-<lb/> gen, die geſammte Kirche dem römiſchen Papſt unmittel-<lb/> bar zu unterwerfen, eine Einheit der geiſtlichen Gewalt zu<lb/> gründen, durch die ſie ſich nothwendig von der weltlichen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [10/0028]
Einleitung.
lichen Beamten einander ſo oft zuwider handeln, ſtatt ſich
zu unterſtützen wie ihre Pflicht wäre. Er verhehlt darin
nicht, daß es hauptſächlich die Geiſtlichen ſind, die ihre
Befugniſſe überſchreiten; er legt ihnen ſchon jene mit Ta-
del und Unwillen durchdrungenen Fragen vor, die ſpäter ſo
oft wiederholt worden ſind, z. B. in wie fern es ihnen
zukomme, ſich in rein-weltliche Angelegenheiten zu miſchen:
ſie ſollen erklären, was es bedeute: die Welt verlaſſen;
ob man dabei doch noch ſich mit zahlreichem Gefolge um-
geben, die Unwiſſenden zur Abtretung ihrer Güter, zur
Enterbung ihrer Kinder bereden dürfe, ob es nicht beſſer
ſey, gute Sitten zu pflegen, als ſchöne Kirchen zu bauen,
und was dem mehr iſt.
Sehr bald aber entwickelte der Clerus noch um vie-
les weiter reichende Tendenzen.
Wir brauchen hier nicht zu unterſuchen, ob die pſeudo-
iſidoriſchen Decretalen noch unter Carl dem Großen 1 oder
etwas ſpäter, in der fränkiſchen Kirche oder in Italien er-
funden worden ſind: auf jeden Fall gehören ſie dieſer
Epoche, einem ſehr weit verbreiteten Beſtreben an, und
bilden einen großen Moment in ihrer Geſchichte. Man
beabſichtigte damit, die bisherige Kirchenverfaſſung, die
noch weſentlich auf der Metropolitangewalt beruhte, zu ſpren-
gen, die geſammte Kirche dem römiſchen Papſt unmittel-
bar zu unterwerfen, eine Einheit der geiſtlichen Gewalt zu
gründen, durch die ſie ſich nothwendig von der weltlichen
1 Eine Stelle aus den erdichteten Synodalacten von Pp. Sil-
veſter findet ſich in einem Capitular von 806. Vgl. Eichhorn uͤber
die ſpaniſche Sammlung der Quellen des Kirchenrechts in den Ab-
handll. der Preuß. Akademie d. W. 1834. Philoſ. hiſtor. Klaſſe p. 132.
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