Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Anfänge Luthers.
von Stotternheim eines jener furchtbaren Gewitter, wie sie
sich nicht selten hier am Gebirge lange ansammeln und
endlich plötzlich über den ganzen Horizont hin entladen.
Luther war schon ohnedieß durch den unerwarteten Tod
eines vertrauten Freundes erschüttert. Wer kennt die Mo-
mente nicht, in denen das stürmische verzagte Herz durch
irgend ein überwältigendes Ereigniß, wäre es auch nur
eben der Natur, vollends zu Boden gedrückt wird. In
dem Ungewitter erblickte Luther, in seiner Einsamkeit auf
dem Feldweg, den Gott des Zorns und der Rache; ein
Blitz schlug neben ihm ein; in diesem Schrecken gelobte er
der h. Anna, wenn er gerettet werde, in ein Kloster zu gehen.

Noch einmal ergötzte er sich mit seinen Freunden ei-
nes Abends bei Wein, Saitenspiel und Gesang; es war
das letzte Vergnügen das er sich zugedacht: hierauf eilte
er sein Gelübde zu vollziehen und that Profeß in dem Au-
gustinerkloster zu Erfurt.

Wie hätte er aber hier Ruhe finden sollen, in alle
der aufstrebenden Kraft jugendlicher Jahre hinter die enge
Klosterpforte verwiesen, in eine niedrige Zelle, mit der Aus-
sicht auf ein paar Fuß Gartenland, zwischen Kreuzgängen,
und zunächst nur zu den niedrigsten Diensten verwandt.
Anfangs widmete er sich den Pflichten eines angehenden
Klosterbruders mit der Hingebung eines entschlossenen Wil-
lens. "Ist je ein Mönch in Himmel gekommen," sagt
er selbst, "durch Möncherei, so wollte auch ich hineinge-
kommen seyn." 1 Aber dem schweren Dienst des Gehor-

1 Kleine Antwort an Herzog Georg Altenb. T. VI, p. 22. Aus-
legung über das achte Capitel Johannis V, 770.

Anfaͤnge Luthers.
von Stotternheim eines jener furchtbaren Gewitter, wie ſie
ſich nicht ſelten hier am Gebirge lange anſammeln und
endlich plötzlich über den ganzen Horizont hin entladen.
Luther war ſchon ohnedieß durch den unerwarteten Tod
eines vertrauten Freundes erſchüttert. Wer kennt die Mo-
mente nicht, in denen das ſtürmiſche verzagte Herz durch
irgend ein überwältigendes Ereigniß, wäre es auch nur
eben der Natur, vollends zu Boden gedrückt wird. In
dem Ungewitter erblickte Luther, in ſeiner Einſamkeit auf
dem Feldweg, den Gott des Zorns und der Rache; ein
Blitz ſchlug neben ihm ein; in dieſem Schrecken gelobte er
der h. Anna, wenn er gerettet werde, in ein Kloſter zu gehen.

Noch einmal ergötzte er ſich mit ſeinen Freunden ei-
nes Abends bei Wein, Saitenſpiel und Geſang; es war
das letzte Vergnügen das er ſich zugedacht: hierauf eilte
er ſein Gelübde zu vollziehen und that Profeß in dem Au-
guſtinerkloſter zu Erfurt.

Wie hätte er aber hier Ruhe finden ſollen, in alle
der aufſtrebenden Kraft jugendlicher Jahre hinter die enge
Kloſterpforte verwieſen, in eine niedrige Zelle, mit der Aus-
ſicht auf ein paar Fuß Gartenland, zwiſchen Kreuzgängen,
und zunächſt nur zu den niedrigſten Dienſten verwandt.
Anfangs widmete er ſich den Pflichten eines angehenden
Kloſterbruders mit der Hingebung eines entſchloſſenen Wil-
lens. „Iſt je ein Mönch in Himmel gekommen,“ ſagt
er ſelbſt, „durch Möncherei, ſo wollte auch ich hineinge-
kommen ſeyn.“ 1 Aber dem ſchweren Dienſt des Gehor-

1 Kleine Antwort an Herzog Georg Altenb. T. VI, p. 22. Aus-
legung uͤber das achte Capitel Johannis V, 770.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0313" n="295"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Anfa&#x0364;nge Luthers</hi>.</fw><lb/>
von Stotternheim eines jener furchtbaren Gewitter, wie &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich nicht &#x017F;elten hier am Gebirge lange an&#x017F;ammeln und<lb/>
endlich plötzlich über den ganzen Horizont hin entladen.<lb/>
Luther war &#x017F;chon ohnedieß durch den unerwarteten Tod<lb/>
eines vertrauten Freundes er&#x017F;chüttert. Wer kennt die Mo-<lb/>
mente nicht, in denen das &#x017F;türmi&#x017F;che verzagte Herz durch<lb/>
irgend ein überwältigendes Ereigniß, wäre es auch nur<lb/>
eben der Natur, vollends zu Boden gedrückt wird. In<lb/>
dem Ungewitter erblickte Luther, in &#x017F;einer Ein&#x017F;amkeit auf<lb/>
dem Feldweg, den Gott des Zorns und der Rache; ein<lb/>
Blitz &#x017F;chlug neben ihm ein; in die&#x017F;em Schrecken gelobte er<lb/>
der h. Anna, wenn er gerettet werde, in ein Klo&#x017F;ter zu gehen.</p><lb/>
            <p>Noch einmal ergötzte er &#x017F;ich mit &#x017F;einen Freunden ei-<lb/>
nes Abends bei Wein, Saiten&#x017F;piel und Ge&#x017F;ang; es war<lb/>
das letzte Vergnügen das er &#x017F;ich zugedacht: hierauf eilte<lb/>
er &#x017F;ein Gelübde zu vollziehen und that Profeß in dem Au-<lb/>
gu&#x017F;tinerklo&#x017F;ter zu Erfurt.</p><lb/>
            <p>Wie hätte er aber hier Ruhe finden &#x017F;ollen, in alle<lb/>
der auf&#x017F;trebenden Kraft jugendlicher Jahre hinter die enge<lb/>
Klo&#x017F;terpforte verwie&#x017F;en, in eine niedrige Zelle, mit der Aus-<lb/>
&#x017F;icht auf ein paar Fuß Gartenland, zwi&#x017F;chen Kreuzgängen,<lb/>
und zunäch&#x017F;t nur zu den niedrig&#x017F;ten Dien&#x017F;ten verwandt.<lb/>
Anfangs widmete er &#x017F;ich den Pflichten eines angehenden<lb/>
Klo&#x017F;terbruders mit der Hingebung eines ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Wil-<lb/>
lens. &#x201E;I&#x017F;t je ein Mönch in Himmel gekommen,&#x201C; &#x017F;agt<lb/>
er &#x017F;elb&#x017F;t, &#x201E;durch Möncherei, &#x017F;o wollte auch ich hineinge-<lb/>
kommen &#x017F;eyn.&#x201C; <note place="foot" n="1">Kleine Antwort an Herzog Georg Altenb. <hi rendition="#aq">T. VI, p.</hi> 22. Aus-<lb/>
legung u&#x0364;ber das achte Capitel Johannis <hi rendition="#aq">V,</hi> 770.</note> Aber dem &#x017F;chweren Dien&#x017F;t des Gehor-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[295/0313] Anfaͤnge Luthers. von Stotternheim eines jener furchtbaren Gewitter, wie ſie ſich nicht ſelten hier am Gebirge lange anſammeln und endlich plötzlich über den ganzen Horizont hin entladen. Luther war ſchon ohnedieß durch den unerwarteten Tod eines vertrauten Freundes erſchüttert. Wer kennt die Mo- mente nicht, in denen das ſtürmiſche verzagte Herz durch irgend ein überwältigendes Ereigniß, wäre es auch nur eben der Natur, vollends zu Boden gedrückt wird. In dem Ungewitter erblickte Luther, in ſeiner Einſamkeit auf dem Feldweg, den Gott des Zorns und der Rache; ein Blitz ſchlug neben ihm ein; in dieſem Schrecken gelobte er der h. Anna, wenn er gerettet werde, in ein Kloſter zu gehen. Noch einmal ergötzte er ſich mit ſeinen Freunden ei- nes Abends bei Wein, Saitenſpiel und Geſang; es war das letzte Vergnügen das er ſich zugedacht: hierauf eilte er ſein Gelübde zu vollziehen und that Profeß in dem Au- guſtinerkloſter zu Erfurt. Wie hätte er aber hier Ruhe finden ſollen, in alle der aufſtrebenden Kraft jugendlicher Jahre hinter die enge Kloſterpforte verwieſen, in eine niedrige Zelle, mit der Aus- ſicht auf ein paar Fuß Gartenland, zwiſchen Kreuzgängen, und zunächſt nur zu den niedrigſten Dienſten verwandt. Anfangs widmete er ſich den Pflichten eines angehenden Kloſterbruders mit der Hingebung eines entſchloſſenen Wil- lens. „Iſt je ein Mönch in Himmel gekommen,“ ſagt er ſelbſt, „durch Möncherei, ſo wollte auch ich hineinge- kommen ſeyn.“ 1 Aber dem ſchweren Dienſt des Gehor- 1 Kleine Antwort an Herzog Georg Altenb. T. VI, p. 22. Aus- legung uͤber das achte Capitel Johannis V, 770.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/313
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/313>, abgerufen am 22.11.2024.