Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.Zweites Buch. Erstes Capitel. gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch denGlauben. 1 Lehren, die er wohl auch früher gehört haben mochte, die er aber in ihrer Verdunkelung durch Schul- meinungen und Cerimoniendienst nie recht verstanden, die erst jetzt einen vollen durchgreifenden Eindruck auf ihn mach- ten. Er sann hauptsächlich dem Spruche nach: der Ge- rechte lebet seines Glaubens: er las die Erklärung Augu- stins darüber: "da ward ich froh," sagt er, "denn ich lernte und sah, daß Gottes Gerechtigkeit ist seine Barm- herzigkeit, durch welche er uns gerecht achtet und hält: da reimte ich Gerechtigkeit und Gerechtseyn zusammen und ward meiner Sache gewiß." Eben das war die Überzeu- gung deren seine Seele bedurfte: er ward inne, daß die ewige Gnade selbst, von welcher der Ursprung des Men- schen stammt, die irrende Seele erbarmungsvoll wieder an sich zieht und sie mit der Fülle ihres Lichtes verklärt: daß uns davon in dem historischen Christus Vorbild und un- widersprechliche Gewißheit gegeben worden: er ward all- mählig von dem Begriff der finstern nur durch Werke rau- her Buße zu versöhnenden Gerechtigkeit frei. Er war wie ein Mensch der nach langem Irren endlich den rechten Pfad gefunden hat, und bei jedem Schritte sich mehr davon über- zeugt; getrost schreitet er weiter. So stand es mit Luther, als er von seinem Provinzial 1 Kurzer Bericht Melanchthons vom Leben Lutheri. Werke
Alt. VIII, 876. Vgl. Mathesius: Historien Dr Luthers. Erste Pre- digt p. 12. Bavarus bei Seckendorf Hist. Lutheranismi p. 21. Zweites Buch. Erſtes Capitel. gerecht werde ohne des Geſetzes Werke, allein durch denGlauben. 1 Lehren, die er wohl auch früher gehört haben mochte, die er aber in ihrer Verdunkelung durch Schul- meinungen und Cerimoniendienſt nie recht verſtanden, die erſt jetzt einen vollen durchgreifenden Eindruck auf ihn mach- ten. Er ſann hauptſächlich dem Spruche nach: der Ge- rechte lebet ſeines Glaubens: er las die Erklärung Augu- ſtins darüber: „da ward ich froh,“ ſagt er, „denn ich lernte und ſah, daß Gottes Gerechtigkeit iſt ſeine Barm- herzigkeit, durch welche er uns gerecht achtet und hält: da reimte ich Gerechtigkeit und Gerechtſeyn zuſammen und ward meiner Sache gewiß.“ Eben das war die Überzeu- gung deren ſeine Seele bedurfte: er ward inne, daß die ewige Gnade ſelbſt, von welcher der Urſprung des Men- ſchen ſtammt, die irrende Seele erbarmungsvoll wieder an ſich zieht und ſie mit der Fülle ihres Lichtes verklärt: daß uns davon in dem hiſtoriſchen Chriſtus Vorbild und un- widerſprechliche Gewißheit gegeben worden: er ward all- mählig von dem Begriff der finſtern nur durch Werke rau- her Buße zu verſöhnenden Gerechtigkeit frei. Er war wie ein Menſch der nach langem Irren endlich den rechten Pfad gefunden hat, und bei jedem Schritte ſich mehr davon über- zeugt; getroſt ſchreitet er weiter. So ſtand es mit Luther, als er von ſeinem Provinzial 1 Kurzer Bericht Melanchthons vom Leben Lutheri. Werke
Alt. VIII, 876. Vgl. Matheſius: Hiſtorien Dr Luthers. Erſte Pre- digt p. 12. Bavarus bei Seckendorf Hist. Lutheranismi p. 21. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0316" n="298"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweites Buch. Erſtes Capitel</hi>.</fw><lb/> gerecht werde ohne des Geſetzes Werke, allein durch den<lb/> Glauben. <note place="foot" n="1">Kurzer Bericht Melanchthons vom Leben Lutheri. Werke<lb/> Alt. <hi rendition="#aq">VIII,</hi> 876. Vgl. Matheſius: Hiſtorien Dr Luthers. Erſte Pre-<lb/> digt <hi rendition="#aq">p.</hi> 12. Bavarus bei Seckendorf <hi rendition="#aq">Hist. Lutheranismi p.</hi> 21.</note> Lehren, die er wohl auch früher gehört haben<lb/> mochte, die er aber in ihrer Verdunkelung durch Schul-<lb/> meinungen und Cerimoniendienſt nie recht verſtanden, die<lb/> erſt jetzt einen vollen durchgreifenden Eindruck auf ihn mach-<lb/> ten. Er ſann hauptſächlich dem Spruche nach: der Ge-<lb/> rechte lebet ſeines Glaubens: er las die Erklärung Augu-<lb/> ſtins darüber: „da ward ich froh,“ ſagt er, „denn ich<lb/> lernte und ſah, daß Gottes Gerechtigkeit iſt ſeine Barm-<lb/> herzigkeit, durch welche er uns gerecht achtet und hält: da<lb/> reimte ich Gerechtigkeit und Gerechtſeyn zuſammen und<lb/> ward meiner Sache gewiß.“ Eben das war die Überzeu-<lb/> gung deren ſeine Seele bedurfte: er ward inne, daß die<lb/> ewige Gnade ſelbſt, von welcher der Urſprung des Men-<lb/> ſchen ſtammt, die irrende Seele erbarmungsvoll wieder an<lb/> ſich zieht und ſie mit der Fülle ihres Lichtes verklärt: daß<lb/> uns davon in dem hiſtoriſchen Chriſtus Vorbild und un-<lb/> widerſprechliche Gewißheit gegeben worden: er ward all-<lb/> mählig von dem Begriff der finſtern nur durch Werke rau-<lb/> her Buße zu verſöhnenden Gerechtigkeit frei. Er war wie<lb/> ein Menſch der nach langem Irren endlich den rechten Pfad<lb/> gefunden hat, und bei jedem Schritte ſich mehr davon über-<lb/> zeugt; getroſt ſchreitet er weiter.</p><lb/> <p>So ſtand es mit Luther, als er von ſeinem Provinzial<lb/> im Jahr 1508 nach Wittenberg gezogen ward. Die phi-<lb/> loſophiſchen Vorleſungen, die er übernehmen mußte, ſchärf-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [298/0316]
Zweites Buch. Erſtes Capitel.
gerecht werde ohne des Geſetzes Werke, allein durch den
Glauben. 1 Lehren, die er wohl auch früher gehört haben
mochte, die er aber in ihrer Verdunkelung durch Schul-
meinungen und Cerimoniendienſt nie recht verſtanden, die
erſt jetzt einen vollen durchgreifenden Eindruck auf ihn mach-
ten. Er ſann hauptſächlich dem Spruche nach: der Ge-
rechte lebet ſeines Glaubens: er las die Erklärung Augu-
ſtins darüber: „da ward ich froh,“ ſagt er, „denn ich
lernte und ſah, daß Gottes Gerechtigkeit iſt ſeine Barm-
herzigkeit, durch welche er uns gerecht achtet und hält: da
reimte ich Gerechtigkeit und Gerechtſeyn zuſammen und
ward meiner Sache gewiß.“ Eben das war die Überzeu-
gung deren ſeine Seele bedurfte: er ward inne, daß die
ewige Gnade ſelbſt, von welcher der Urſprung des Men-
ſchen ſtammt, die irrende Seele erbarmungsvoll wieder an
ſich zieht und ſie mit der Fülle ihres Lichtes verklärt: daß
uns davon in dem hiſtoriſchen Chriſtus Vorbild und un-
widerſprechliche Gewißheit gegeben worden: er ward all-
mählig von dem Begriff der finſtern nur durch Werke rau-
her Buße zu verſöhnenden Gerechtigkeit frei. Er war wie
ein Menſch der nach langem Irren endlich den rechten Pfad
gefunden hat, und bei jedem Schritte ſich mehr davon über-
zeugt; getroſt ſchreitet er weiter.
So ſtand es mit Luther, als er von ſeinem Provinzial
im Jahr 1508 nach Wittenberg gezogen ward. Die phi-
loſophiſchen Vorleſungen, die er übernehmen mußte, ſchärf-
1 Kurzer Bericht Melanchthons vom Leben Lutheri. Werke
Alt. VIII, 876. Vgl. Matheſius: Hiſtorien Dr Luthers. Erſte Pre-
digt p. 12. Bavarus bei Seckendorf Hist. Lutheranismi p. 21.
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