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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Anfänge Luthers.
Schöpfers, der sie sich in der Tiefe verwandt, von der sie
sich doch wieder durch eine unermeßliche Kluft entfernt
fühlt; ein Gefühl, das Luther durch unabläßiges einsames
Grübeln nährte, und das ihn um so tiefer und schmerzhaf-
ter durchdrang, da es durch keine Bußübung beschwich-
tigt, von keiner Lehre innerlich und wirksam berührt wurde,
kein Beichtvater darum wissen wollte. Es kamen Mo-
mente, wo die angstvolle Schwermuth sich aus den gehei-
men Tiefen der Seele gewaltig über ihn erhob, ihre dunkeln
Fittige um sein Haupt schwang, ihn ganz darniederwarf.
Als er sich einst wieder ein paar Tage unsichtbar gemacht
hatte, erbrachen einige Freunde seine Zelle, und fanden ihn
ohnmächtig, ohne Besinnung ausgestreckt. Sie kannten
ihren Freund: mit schonungsvoller Einsicht schlugen sie
das Saitenspiel an, das sie mitgebracht: unter der wohl-
bekannten Weise stellte die mit sich selber hadernde Seele
die Harmonie ihrer innern Triebe wieder her, und erwachte
zu gesundem Bewußtseyn.

Liegt es aber nicht in den Gesetzen der ewigen Welt-
ordnung, daß ein so wahres Bedürfniß der Gott suchen-
den Seele dann auch wieder durch die Fülle der Überzeu-
gung befriedigt wird?

Der Erste, der Luthern in seinem verzweiflungsvollen
Zustande man kann nicht sagen Trost gab, aber einen Licht-
strahl in seine Nacht fallen ließ, war ein alter Augustiner-
bruder, der ihm in väterlichem Zuspruch auf die einfachste
erste Wahrheit des Christenthums hinwies, auf die Ver-
gebung der Sünden durch den Glauben an den Erlöser:
auf die Lehre Pauli Römer am dritten daß der Mensch

Anfaͤnge Luthers.
Schöpfers, der ſie ſich in der Tiefe verwandt, von der ſie
ſich doch wieder durch eine unermeßliche Kluft entfernt
fühlt; ein Gefühl, das Luther durch unabläßiges einſames
Grübeln nährte, und das ihn um ſo tiefer und ſchmerzhaf-
ter durchdrang, da es durch keine Bußübung beſchwich-
tigt, von keiner Lehre innerlich und wirkſam berührt wurde,
kein Beichtvater darum wiſſen wollte. Es kamen Mo-
mente, wo die angſtvolle Schwermuth ſich aus den gehei-
men Tiefen der Seele gewaltig über ihn erhob, ihre dunkeln
Fittige um ſein Haupt ſchwang, ihn ganz darniederwarf.
Als er ſich einſt wieder ein paar Tage unſichtbar gemacht
hatte, erbrachen einige Freunde ſeine Zelle, und fanden ihn
ohnmächtig, ohne Beſinnung ausgeſtreckt. Sie kannten
ihren Freund: mit ſchonungsvoller Einſicht ſchlugen ſie
das Saitenſpiel an, das ſie mitgebracht: unter der wohl-
bekannten Weiſe ſtellte die mit ſich ſelber hadernde Seele
die Harmonie ihrer innern Triebe wieder her, und erwachte
zu geſundem Bewußtſeyn.

Liegt es aber nicht in den Geſetzen der ewigen Welt-
ordnung, daß ein ſo wahres Bedürfniß der Gott ſuchen-
den Seele dann auch wieder durch die Fülle der Überzeu-
gung befriedigt wird?

Der Erſte, der Luthern in ſeinem verzweiflungsvollen
Zuſtande man kann nicht ſagen Troſt gab, aber einen Licht-
ſtrahl in ſeine Nacht fallen ließ, war ein alter Auguſtiner-
bruder, der ihm in väterlichem Zuſpruch auf die einfachſte
erſte Wahrheit des Chriſtenthums hinwies, auf die Ver-
gebung der Sünden durch den Glauben an den Erlöſer:
auf die Lehre Pauli Römer am dritten daß der Menſch

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[297/0315] Anfaͤnge Luthers. Schöpfers, der ſie ſich in der Tiefe verwandt, von der ſie ſich doch wieder durch eine unermeßliche Kluft entfernt fühlt; ein Gefühl, das Luther durch unabläßiges einſames Grübeln nährte, und das ihn um ſo tiefer und ſchmerzhaf- ter durchdrang, da es durch keine Bußübung beſchwich- tigt, von keiner Lehre innerlich und wirkſam berührt wurde, kein Beichtvater darum wiſſen wollte. Es kamen Mo- mente, wo die angſtvolle Schwermuth ſich aus den gehei- men Tiefen der Seele gewaltig über ihn erhob, ihre dunkeln Fittige um ſein Haupt ſchwang, ihn ganz darniederwarf. Als er ſich einſt wieder ein paar Tage unſichtbar gemacht hatte, erbrachen einige Freunde ſeine Zelle, und fanden ihn ohnmächtig, ohne Beſinnung ausgeſtreckt. Sie kannten ihren Freund: mit ſchonungsvoller Einſicht ſchlugen ſie das Saitenſpiel an, das ſie mitgebracht: unter der wohl- bekannten Weiſe ſtellte die mit ſich ſelber hadernde Seele die Harmonie ihrer innern Triebe wieder her, und erwachte zu geſundem Bewußtſeyn. Liegt es aber nicht in den Geſetzen der ewigen Welt- ordnung, daß ein ſo wahres Bedürfniß der Gott ſuchen- den Seele dann auch wieder durch die Fülle der Überzeu- gung befriedigt wird? Der Erſte, der Luthern in ſeinem verzweiflungsvollen Zuſtande man kann nicht ſagen Troſt gab, aber einen Licht- ſtrahl in ſeine Nacht fallen ließ, war ein alter Auguſtiner- bruder, der ihm in väterlichem Zuſpruch auf die einfachſte erſte Wahrheit des Chriſtenthums hinwies, auf die Ver- gebung der Sünden durch den Glauben an den Erlöſer: auf die Lehre Pauli Römer am dritten daß der Menſch

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/315>, abgerufen am 22.11.2024.