dafür, 2 Jan. 962, die Krone des abendländischen Rei- ches. Jenes Prinzip der weltlichen Selbstherrschaft, das sich den Usurpationen des geistlichen Ehrgeizes von Anfang an entgegengeworfen, gelangte hiedurch zu der großartigsten Repräsentation, zu einer vorwaltenden Stellung in Europa.
Auf den ersten Anblick möchte es scheinen, als sey nun Otto auch in ein ähnliches Verhältniß zu dem Papst getreten, wie Carl der Große; näher betrachtet aber zeigt sich ein nicht geringer Unterschied.
Carl der Große ward mit dem römischen Stuhle durch eine von gegenseitigem Bedürfniß hervorgerufene, die Re- sultate langer Epochen, die Entwickelungen verschiedener Völ- ker umfassende Weltcombination in Verbindung gebracht: ihr Verständniß beruhte auf einer innern Nothwendigkeit, durch welche auch alle Gegensätze vermittelt wurden. Die Herrschaft Ottos des Großen dagegen beruhte auf einem dem Umsichgreifen der geistlichen Tendenzen ursprünglich widerstrebenden Prinzip. Die Verbindung war momen- tan: die Entzweiung lag in dem Wesen der Dinge. Wie denn auch sogleich derselbe Papst der ihn gerufen, Johann XII, sich an der Spitze einer rebellischen Faction gegen ihn empörte; Otto mußte die förmliche Absetzung desselben bewirken, die Faction, die ihn unterstützte, mit wiederholter Gewalt unterdrücken, ehe er wahrhaften Ge- horsam fand; den Papst, mit dem er sich verstehen konnte, mußte er erst setzen. Die Päpste haben oft behauptet, das Kaiserthum auf die Deutschen übertragen zu haben, und wenn sie dabei von den Carolingern reden, so haben sie so unrecht nicht: die Krönung Carls des Großen beruhte
Saͤchſiſche und fraͤnkiſche Kaiſer.
dafür, 2 Jan. 962, die Krone des abendländiſchen Rei- ches. Jenes Prinzip der weltlichen Selbſtherrſchaft, das ſich den Uſurpationen des geiſtlichen Ehrgeizes von Anfang an entgegengeworfen, gelangte hiedurch zu der großartigſten Repräſentation, zu einer vorwaltenden Stellung in Europa.
Auf den erſten Anblick möchte es ſcheinen, als ſey nun Otto auch in ein ähnliches Verhältniß zu dem Papſt getreten, wie Carl der Große; näher betrachtet aber zeigt ſich ein nicht geringer Unterſchied.
Carl der Große ward mit dem römiſchen Stuhle durch eine von gegenſeitigem Bedürfniß hervorgerufene, die Re- ſultate langer Epochen, die Entwickelungen verſchiedener Völ- ker umfaſſende Weltcombination in Verbindung gebracht: ihr Verſtändniß beruhte auf einer innern Nothwendigkeit, durch welche auch alle Gegenſätze vermittelt wurden. Die Herrſchaft Ottos des Großen dagegen beruhte auf einem dem Umſichgreifen der geiſtlichen Tendenzen urſprünglich widerſtrebenden Prinzip. Die Verbindung war momen- tan: die Entzweiung lag in dem Weſen der Dinge. Wie denn auch ſogleich derſelbe Papſt der ihn gerufen, Johann XII, ſich an der Spitze einer rebelliſchen Faction gegen ihn empörte; Otto mußte die förmliche Abſetzung deſſelben bewirken, die Faction, die ihn unterſtützte, mit wiederholter Gewalt unterdrücken, ehe er wahrhaften Ge- horſam fand; den Papſt, mit dem er ſich verſtehen konnte, mußte er erſt ſetzen. Die Päpſte haben oft behauptet, das Kaiſerthum auf die Deutſchen übertragen zu haben, und wenn ſie dabei von den Carolingern reden, ſo haben ſie ſo unrecht nicht: die Krönung Carls des Großen beruhte
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Saͤchſiſche und fraͤnkiſche Kaiſer.
dafür, 2 Jan. 962, die Krone des abendländiſchen Rei-
ches. Jenes Prinzip der weltlichen Selbſtherrſchaft, das
ſich den Uſurpationen des geiſtlichen Ehrgeizes von Anfang
an entgegengeworfen, gelangte hiedurch zu der großartigſten
Repräſentation, zu einer vorwaltenden Stellung in Europa.
Auf den erſten Anblick möchte es ſcheinen, als ſey
nun Otto auch in ein ähnliches Verhältniß zu dem Papſt
getreten, wie Carl der Große; näher betrachtet aber zeigt
ſich ein nicht geringer Unterſchied.
Carl der Große ward mit dem römiſchen Stuhle durch
eine von gegenſeitigem Bedürfniß hervorgerufene, die Re-
ſultate langer Epochen, die Entwickelungen verſchiedener Völ-
ker umfaſſende Weltcombination in Verbindung gebracht:
ihr Verſtändniß beruhte auf einer innern Nothwendigkeit,
durch welche auch alle Gegenſätze vermittelt wurden. Die
Herrſchaft Ottos des Großen dagegen beruhte auf einem
dem Umſichgreifen der geiſtlichen Tendenzen urſprünglich
widerſtrebenden Prinzip. Die Verbindung war momen-
tan: die Entzweiung lag in dem Weſen der Dinge.
Wie denn auch ſogleich derſelbe Papſt der ihn gerufen,
Johann XII, ſich an der Spitze einer rebelliſchen Faction
gegen ihn empörte; Otto mußte die förmliche Abſetzung
deſſelben bewirken, die Faction, die ihn unterſtützte, mit
wiederholter Gewalt unterdrücken, ehe er wahrhaften Ge-
horſam fand; den Papſt, mit dem er ſich verſtehen konnte,
mußte er erſt ſetzen. Die Päpſte haben oft behauptet, das
Kaiſerthum auf die Deutſchen übertragen zu haben, und
wenn ſie dabei von den Carolingern reden, ſo haben ſie
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/39>, abgerufen am 21.11.2024.
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