Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Sächsische und fränkische Kaiser.
dafür, 2 Jan. 962, die Krone des abendländischen Rei-
ches. Jenes Prinzip der weltlichen Selbstherrschaft, das
sich den Usurpationen des geistlichen Ehrgeizes von Anfang
an entgegengeworfen, gelangte hiedurch zu der großartigsten
Repräsentation, zu einer vorwaltenden Stellung in Europa.

Auf den ersten Anblick möchte es scheinen, als sey
nun Otto auch in ein ähnliches Verhältniß zu dem Papst
getreten, wie Carl der Große; näher betrachtet aber zeigt
sich ein nicht geringer Unterschied.

Carl der Große ward mit dem römischen Stuhle durch
eine von gegenseitigem Bedürfniß hervorgerufene, die Re-
sultate langer Epochen, die Entwickelungen verschiedener Völ-
ker umfassende Weltcombination in Verbindung gebracht:
ihr Verständniß beruhte auf einer innern Nothwendigkeit,
durch welche auch alle Gegensätze vermittelt wurden. Die
Herrschaft Ottos des Großen dagegen beruhte auf einem
dem Umsichgreifen der geistlichen Tendenzen ursprünglich
widerstrebenden Prinzip. Die Verbindung war momen-
tan: die Entzweiung lag in dem Wesen der Dinge.
Wie denn auch sogleich derselbe Papst der ihn gerufen,
Johann XII, sich an der Spitze einer rebellischen Faction
gegen ihn empörte; Otto mußte die förmliche Absetzung
desselben bewirken, die Faction, die ihn unterstützte, mit
wiederholter Gewalt unterdrücken, ehe er wahrhaften Ge-
horsam fand; den Papst, mit dem er sich verstehen konnte,
mußte er erst setzen. Die Päpste haben oft behauptet, das
Kaiserthum auf die Deutschen übertragen zu haben, und
wenn sie dabei von den Carolingern reden, so haben sie
so unrecht nicht: die Krönung Carls des Großen beruhte

Saͤchſiſche und fraͤnkiſche Kaiſer.
dafür, 2 Jan. 962, die Krone des abendländiſchen Rei-
ches. Jenes Prinzip der weltlichen Selbſtherrſchaft, das
ſich den Uſurpationen des geiſtlichen Ehrgeizes von Anfang
an entgegengeworfen, gelangte hiedurch zu der großartigſten
Repräſentation, zu einer vorwaltenden Stellung in Europa.

Auf den erſten Anblick möchte es ſcheinen, als ſey
nun Otto auch in ein ähnliches Verhältniß zu dem Papſt
getreten, wie Carl der Große; näher betrachtet aber zeigt
ſich ein nicht geringer Unterſchied.

Carl der Große ward mit dem römiſchen Stuhle durch
eine von gegenſeitigem Bedürfniß hervorgerufene, die Re-
ſultate langer Epochen, die Entwickelungen verſchiedener Völ-
ker umfaſſende Weltcombination in Verbindung gebracht:
ihr Verſtändniß beruhte auf einer innern Nothwendigkeit,
durch welche auch alle Gegenſätze vermittelt wurden. Die
Herrſchaft Ottos des Großen dagegen beruhte auf einem
dem Umſichgreifen der geiſtlichen Tendenzen urſprünglich
widerſtrebenden Prinzip. Die Verbindung war momen-
tan: die Entzweiung lag in dem Weſen der Dinge.
Wie denn auch ſogleich derſelbe Papſt der ihn gerufen,
Johann XII, ſich an der Spitze einer rebelliſchen Faction
gegen ihn empörte; Otto mußte die förmliche Abſetzung
deſſelben bewirken, die Faction, die ihn unterſtützte, mit
wiederholter Gewalt unterdrücken, ehe er wahrhaften Ge-
horſam fand; den Papſt, mit dem er ſich verſtehen konnte,
mußte er erſt ſetzen. Die Päpſte haben oft behauptet, das
Kaiſerthum auf die Deutſchen übertragen zu haben, und
wenn ſie dabei von den Carolingern reden, ſo haben ſie
ſo unrecht nicht: die Krönung Carls des Großen beruhte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0039" n="21"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Sa&#x0364;ch&#x017F;i&#x017F;che und fra&#x0364;nki&#x017F;che Kai&#x017F;er</hi>.</fw><lb/>
dafür, 2 Jan. 962, die Krone des abendländi&#x017F;chen Rei-<lb/>
ches. Jenes Prinzip der weltlichen Selb&#x017F;therr&#x017F;chaft, das<lb/>
&#x017F;ich den U&#x017F;urpationen des gei&#x017F;tlichen Ehrgeizes von Anfang<lb/>
an entgegengeworfen, gelangte hiedurch zu der großartig&#x017F;ten<lb/>
Reprä&#x017F;entation, zu einer vorwaltenden Stellung in Europa.</p><lb/>
          <p>Auf den er&#x017F;ten Anblick möchte es &#x017F;cheinen, als &#x017F;ey<lb/>
nun Otto auch in ein ähnliches Verhältniß zu dem Pap&#x017F;t<lb/>
getreten, wie Carl der Große; näher betrachtet aber zeigt<lb/>
&#x017F;ich ein nicht geringer Unter&#x017F;chied.</p><lb/>
          <p>Carl der Große ward mit dem römi&#x017F;chen Stuhle durch<lb/>
eine von gegen&#x017F;eitigem Bedürfniß hervorgerufene, die Re-<lb/>
&#x017F;ultate langer Epochen, die Entwickelungen ver&#x017F;chiedener Völ-<lb/>
ker umfa&#x017F;&#x017F;ende Weltcombination in Verbindung gebracht:<lb/>
ihr Ver&#x017F;tändniß beruhte auf einer innern Nothwendigkeit,<lb/>
durch welche auch alle Gegen&#x017F;ätze vermittelt wurden. Die<lb/>
Herr&#x017F;chaft Ottos des Großen dagegen beruhte auf einem<lb/>
dem Um&#x017F;ichgreifen der gei&#x017F;tlichen Tendenzen ur&#x017F;prünglich<lb/>
wider&#x017F;trebenden Prinzip. Die Verbindung war momen-<lb/>
tan: die Entzweiung lag in dem We&#x017F;en der Dinge.<lb/>
Wie denn auch &#x017F;ogleich der&#x017F;elbe Pap&#x017F;t der ihn gerufen,<lb/>
Johann <hi rendition="#aq">XII</hi>, &#x017F;ich an der Spitze einer rebelli&#x017F;chen Faction<lb/>
gegen ihn empörte; Otto mußte die förmliche Ab&#x017F;etzung<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben bewirken, die Faction, die ihn unter&#x017F;tützte, mit<lb/>
wiederholter Gewalt unterdrücken, ehe er wahrhaften Ge-<lb/>
hor&#x017F;am fand; den Pap&#x017F;t, mit dem er &#x017F;ich ver&#x017F;tehen konnte,<lb/>
mußte er er&#x017F;t &#x017F;etzen. Die Päp&#x017F;te haben oft behauptet, das<lb/>
Kai&#x017F;erthum auf die Deut&#x017F;chen übertragen zu haben, und<lb/>
wenn &#x017F;ie dabei von den Carolingern reden, &#x017F;o haben &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;o unrecht nicht: die Krönung Carls des Großen beruhte<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0039] Saͤchſiſche und fraͤnkiſche Kaiſer. dafür, 2 Jan. 962, die Krone des abendländiſchen Rei- ches. Jenes Prinzip der weltlichen Selbſtherrſchaft, das ſich den Uſurpationen des geiſtlichen Ehrgeizes von Anfang an entgegengeworfen, gelangte hiedurch zu der großartigſten Repräſentation, zu einer vorwaltenden Stellung in Europa. Auf den erſten Anblick möchte es ſcheinen, als ſey nun Otto auch in ein ähnliches Verhältniß zu dem Papſt getreten, wie Carl der Große; näher betrachtet aber zeigt ſich ein nicht geringer Unterſchied. Carl der Große ward mit dem römiſchen Stuhle durch eine von gegenſeitigem Bedürfniß hervorgerufene, die Re- ſultate langer Epochen, die Entwickelungen verſchiedener Völ- ker umfaſſende Weltcombination in Verbindung gebracht: ihr Verſtändniß beruhte auf einer innern Nothwendigkeit, durch welche auch alle Gegenſätze vermittelt wurden. Die Herrſchaft Ottos des Großen dagegen beruhte auf einem dem Umſichgreifen der geiſtlichen Tendenzen urſprünglich widerſtrebenden Prinzip. Die Verbindung war momen- tan: die Entzweiung lag in dem Weſen der Dinge. Wie denn auch ſogleich derſelbe Papſt der ihn gerufen, Johann XII, ſich an der Spitze einer rebelliſchen Faction gegen ihn empörte; Otto mußte die förmliche Abſetzung deſſelben bewirken, die Faction, die ihn unterſtützte, mit wiederholter Gewalt unterdrücken, ehe er wahrhaften Ge- horſam fand; den Papſt, mit dem er ſich verſtehen konnte, mußte er erſt ſetzen. Die Päpſte haben oft behauptet, das Kaiſerthum auf die Deutſchen übertragen zu haben, und wenn ſie dabei von den Carolingern reden, ſo haben ſie ſo unrecht nicht: die Krönung Carls des Großen beruhte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/39
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/39>, abgerufen am 21.11.2024.