auf ihrem freien Entschluß; bezeichnen sie aber damit die eigentlich so zu nennenden deutschen Kaiser, so ist das Ge- gentheil eben so wahr: wie Carlmann, wie Otto der Große, so haben auch deren Nachfolger sich das Kaiserthum im- mer erobern, es mit den Waffen in der Hand behaupten müssen.
Man hat wohl gesagt, die Deutschen würden besser gethan haben, sich mit dem Kaiserthum gar nicht zu be- fassen, wenigstens erst ihre einheimische politische Ausbildung zu vollziehen, um alsdann mit gereiftem Geist in die allge- meinen Verhältnisse einzugreifen. Allein nicht so metho- disch pflegen sich die Dinge der Welt zu entwickeln. Das Innerlich-wachsende wird schon in demselben Augenblick berufen, sich nach Außen auszubreiten. Und war es nicht selbst für das innerliche Wachsthum von hoher Bedeutung, daß man in ununterbrochner Verbindung mit Italien blieb, welches in Besitz aller Reste der alten Cultur war, von wo man die Formen des Christenthums empfangen hatte? An dem antiken und romanischen Element hat sich der deutsche Geist von jeher entwickelt. Eben durch die Ge- gensätze, welche bei der fortdauernden Verbindung so un- aufhörlich hervortraten, lernte man in Deutschland Prie- sterherrschaft und Christenthum unterscheiden.
Denn wie sehr nun auch das weltliche Prinzip hervor- gekehrt ward, so wich man doch um kein Haarbreit von den christlich-kirchlichen Ideen ab selbst in den Formen, in de- nen man sie empfangen. Hatte sich doch die Nation über- haupt in denselben wieder gefunden, vereinigt: ihr gesammtes geistiges Leben knüpfte sich daran: auch das deutsche Kaiser-
Einleitung.
auf ihrem freien Entſchluß; bezeichnen ſie aber damit die eigentlich ſo zu nennenden deutſchen Kaiſer, ſo iſt das Ge- gentheil eben ſo wahr: wie Carlmann, wie Otto der Große, ſo haben auch deren Nachfolger ſich das Kaiſerthum im- mer erobern, es mit den Waffen in der Hand behaupten müſſen.
Man hat wohl geſagt, die Deutſchen würden beſſer gethan haben, ſich mit dem Kaiſerthum gar nicht zu be- faſſen, wenigſtens erſt ihre einheimiſche politiſche Ausbildung zu vollziehen, um alsdann mit gereiftem Geiſt in die allge- meinen Verhältniſſe einzugreifen. Allein nicht ſo metho- diſch pflegen ſich die Dinge der Welt zu entwickeln. Das Innerlich-wachſende wird ſchon in demſelben Augenblick berufen, ſich nach Außen auszubreiten. Und war es nicht ſelbſt für das innerliche Wachsthum von hoher Bedeutung, daß man in ununterbrochner Verbindung mit Italien blieb, welches in Beſitz aller Reſte der alten Cultur war, von wo man die Formen des Chriſtenthums empfangen hatte? An dem antiken und romaniſchen Element hat ſich der deutſche Geiſt von jeher entwickelt. Eben durch die Ge- genſätze, welche bei der fortdauernden Verbindung ſo un- aufhörlich hervortraten, lernte man in Deutſchland Prie- ſterherrſchaft und Chriſtenthum unterſcheiden.
Denn wie ſehr nun auch das weltliche Prinzip hervor- gekehrt ward, ſo wich man doch um kein Haarbreit von den chriſtlich-kirchlichen Ideen ab ſelbſt in den Formen, in de- nen man ſie empfangen. Hatte ſich doch die Nation über- haupt in denſelben wieder gefunden, vereinigt: ihr geſammtes geiſtiges Leben knüpfte ſich daran: auch das deutſche Kaiſer-
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[22/0040]
Einleitung.
auf ihrem freien Entſchluß; bezeichnen ſie aber damit die
eigentlich ſo zu nennenden deutſchen Kaiſer, ſo iſt das Ge-
gentheil eben ſo wahr: wie Carlmann, wie Otto der Große,
ſo haben auch deren Nachfolger ſich das Kaiſerthum im-
mer erobern, es mit den Waffen in der Hand behaupten
müſſen.
Man hat wohl geſagt, die Deutſchen würden beſſer
gethan haben, ſich mit dem Kaiſerthum gar nicht zu be-
faſſen, wenigſtens erſt ihre einheimiſche politiſche Ausbildung
zu vollziehen, um alsdann mit gereiftem Geiſt in die allge-
meinen Verhältniſſe einzugreifen. Allein nicht ſo metho-
diſch pflegen ſich die Dinge der Welt zu entwickeln. Das
Innerlich-wachſende wird ſchon in demſelben Augenblick
berufen, ſich nach Außen auszubreiten. Und war es nicht
ſelbſt für das innerliche Wachsthum von hoher Bedeutung,
daß man in ununterbrochner Verbindung mit Italien blieb,
welches in Beſitz aller Reſte der alten Cultur war, von
wo man die Formen des Chriſtenthums empfangen hatte?
An dem antiken und romaniſchen Element hat ſich der
deutſche Geiſt von jeher entwickelt. Eben durch die Ge-
genſätze, welche bei der fortdauernden Verbindung ſo un-
aufhörlich hervortraten, lernte man in Deutſchland Prie-
ſterherrſchaft und Chriſtenthum unterſcheiden.
Denn wie ſehr nun auch das weltliche Prinzip hervor-
gekehrt ward, ſo wich man doch um kein Haarbreit von den
chriſtlich-kirchlichen Ideen ab ſelbſt in den Formen, in de-
nen man ſie empfangen. Hatte ſich doch die Nation über-
haupt in denſelben wieder gefunden, vereinigt: ihr geſammtes
geiſtiges Leben knüpfte ſich daran: auch das deutſche Kaiſer-
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/40>, abgerufen am 21.11.2024.
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