Nichtsthun erschien. In Tübingen aber herrschte noch der starre Sinn der alten Universitäten: indem seine ganze gei- stige Kraft nach unbekannten Zielen drängte, suchte man ihn vor den Schulbänken festzuhalten.
Da war es für sein inneres und äußeres Leben gleich entscheidend, daß Churfürst Friedrich sich im Frühjahr 1518 wegen eines Lehrers der griechischen Sprache bei seiner Uni- versität an Reuchlin wandte. Reuchlin trug keinen Augen- blick Bedenken, dem Churfürsten diesen "seinen gesippten Freund" zu empfehlen, den er selber unterwiesen. 1 Es konnte das zugleich für einen Entschluß Melanchthons gel- ten. Zwischen dem Meister und dem Jünger bestand das edle Verhältniß einer die Welt erst in halber Klarheit vor sich sehenden Jugend und der natürlichen Überlegenheit gereifter Jahre. "Wohin du mich schicken willst," schreibt Melanchthon an Reuchlin, "dahin will ich gehn: was du aus mir machen willst, das will ich werden." "Gehe aus," antwortet ihm Reuchlin, "von deinem Vaterlande von deiner Freundschaft." Mit der Verheißung welche dem Abraham geschah, segnet und entläßt er ihn.
So kam Melanchthon im August 1518 nach Witten- berg, vor allem entschlossen, wie er sagt, sich ganz der Universität zu widmen, ihr in den Kreisen der classischen Studien, die hier bisher noch nicht gediehen waren, Ruf zu verschaffen. Mit jugendlicher Freudigkeit zählt er die Arbeiten auf, die er vorhat, und schreitet unverweilt an ihre Ausführung. 2 Schon im September widmete er dem
1 Briefwechsel in Bretschneiders Corpus reformatorum I, p. 28.
2 An Spalatin. Spt. 1518. C. Ref. I, p. 43.
Melanchthon.
Nichtsthun erſchien. In Tübingen aber herrſchte noch der ſtarre Sinn der alten Univerſitäten: indem ſeine ganze gei- ſtige Kraft nach unbekannten Zielen drängte, ſuchte man ihn vor den Schulbänken feſtzuhalten.
Da war es für ſein inneres und äußeres Leben gleich entſcheidend, daß Churfürſt Friedrich ſich im Frühjahr 1518 wegen eines Lehrers der griechiſchen Sprache bei ſeiner Uni- verſität an Reuchlin wandte. Reuchlin trug keinen Augen- blick Bedenken, dem Churfürſten dieſen „ſeinen geſippten Freund“ zu empfehlen, den er ſelber unterwieſen. 1 Es konnte das zugleich für einen Entſchluß Melanchthons gel- ten. Zwiſchen dem Meiſter und dem Jünger beſtand das edle Verhältniß einer die Welt erſt in halber Klarheit vor ſich ſehenden Jugend und der natürlichen Überlegenheit gereifter Jahre. „Wohin du mich ſchicken willſt,“ ſchreibt Melanchthon an Reuchlin, „dahin will ich gehn: was du aus mir machen willſt, das will ich werden.“ „Gehe aus,“ antwortet ihm Reuchlin, „von deinem Vaterlande von deiner Freundſchaft.“ Mit der Verheißung welche dem Abraham geſchah, ſegnet und entläßt er ihn.
So kam Melanchthon im Auguſt 1518 nach Witten- berg, vor allem entſchloſſen, wie er ſagt, ſich ganz der Univerſität zu widmen, ihr in den Kreiſen der claſſiſchen Studien, die hier bisher noch nicht gediehen waren, Ruf zu verſchaffen. Mit jugendlicher Freudigkeit zählt er die Arbeiten auf, die er vorhat, und ſchreitet unverweilt an ihre Ausführung. 2 Schon im September widmete er dem
1 Briefwechſel in Bretſchneiders Corpus reformatorum I, p. 28.
2 An Spalatin. Spt. 1518. C. Ref. I, p. 43.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0411"n="393"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Melanchthon</hi>.</fw><lb/>
Nichtsthun erſchien. In Tübingen aber herrſchte noch der<lb/>ſtarre Sinn der alten Univerſitäten: indem ſeine ganze gei-<lb/>ſtige Kraft nach unbekannten Zielen drängte, ſuchte man<lb/>
ihn vor den Schulbänken feſtzuhalten.</p><lb/><p>Da war es für ſein inneres und äußeres Leben gleich<lb/>
entſcheidend, daß Churfürſt Friedrich ſich im Frühjahr 1518<lb/>
wegen eines Lehrers der griechiſchen Sprache bei ſeiner Uni-<lb/>
verſität an Reuchlin wandte. Reuchlin trug keinen Augen-<lb/>
blick Bedenken, dem Churfürſten dieſen „ſeinen geſippten<lb/>
Freund“ zu empfehlen, den er ſelber unterwieſen. <noteplace="foot"n="1">Briefwechſel in Bretſchneiders <hirendition="#aq">Corpus reformatorum I, p.</hi> 28.</note> Es<lb/>
konnte das zugleich für einen Entſchluß Melanchthons gel-<lb/>
ten. Zwiſchen dem Meiſter und dem Jünger beſtand das<lb/>
edle Verhältniß einer die Welt erſt in halber Klarheit vor<lb/>ſich ſehenden Jugend und der natürlichen Überlegenheit<lb/>
gereifter Jahre. „Wohin du mich ſchicken willſt,“ſchreibt<lb/>
Melanchthon an Reuchlin, „dahin will ich gehn: was du<lb/>
aus mir machen willſt, das will ich werden.“„Gehe<lb/>
aus,“ antwortet ihm Reuchlin, „von deinem Vaterlande<lb/>
von deiner Freundſchaft.“ Mit der Verheißung welche<lb/>
dem Abraham geſchah, ſegnet und entläßt er ihn.</p><lb/><p>So kam Melanchthon im Auguſt 1518 nach Witten-<lb/>
berg, vor allem entſchloſſen, wie er ſagt, ſich ganz der<lb/>
Univerſität zu widmen, ihr in den Kreiſen der claſſiſchen<lb/>
Studien, die hier bisher noch nicht gediehen waren, Ruf<lb/>
zu verſchaffen. Mit jugendlicher Freudigkeit zählt er die<lb/>
Arbeiten auf, die er vorhat, und ſchreitet unverweilt an<lb/>
ihre Ausführung. <noteplace="foot"n="2">An Spalatin. Spt. 1518. <hirendition="#aq">C. Ref. I, p.</hi> 43.</note> Schon im September widmete er dem<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[393/0411]
Melanchthon.
Nichtsthun erſchien. In Tübingen aber herrſchte noch der
ſtarre Sinn der alten Univerſitäten: indem ſeine ganze gei-
ſtige Kraft nach unbekannten Zielen drängte, ſuchte man
ihn vor den Schulbänken feſtzuhalten.
Da war es für ſein inneres und äußeres Leben gleich
entſcheidend, daß Churfürſt Friedrich ſich im Frühjahr 1518
wegen eines Lehrers der griechiſchen Sprache bei ſeiner Uni-
verſität an Reuchlin wandte. Reuchlin trug keinen Augen-
blick Bedenken, dem Churfürſten dieſen „ſeinen geſippten
Freund“ zu empfehlen, den er ſelber unterwieſen. 1 Es
konnte das zugleich für einen Entſchluß Melanchthons gel-
ten. Zwiſchen dem Meiſter und dem Jünger beſtand das
edle Verhältniß einer die Welt erſt in halber Klarheit vor
ſich ſehenden Jugend und der natürlichen Überlegenheit
gereifter Jahre. „Wohin du mich ſchicken willſt,“ ſchreibt
Melanchthon an Reuchlin, „dahin will ich gehn: was du
aus mir machen willſt, das will ich werden.“ „Gehe
aus,“ antwortet ihm Reuchlin, „von deinem Vaterlande
von deiner Freundſchaft.“ Mit der Verheißung welche
dem Abraham geſchah, ſegnet und entläßt er ihn.
So kam Melanchthon im Auguſt 1518 nach Witten-
berg, vor allem entſchloſſen, wie er ſagt, ſich ganz der
Univerſität zu widmen, ihr in den Kreiſen der claſſiſchen
Studien, die hier bisher noch nicht gediehen waren, Ruf
zu verſchaffen. Mit jugendlicher Freudigkeit zählt er die
Arbeiten auf, die er vorhat, und ſchreitet unverweilt an
ihre Ausführung. 2 Schon im September widmete er dem
1 Briefwechſel in Bretſchneiders Corpus reformatorum I, p. 28.
2 An Spalatin. Spt. 1518. C. Ref. I, p. 43.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/411>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.