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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Melanchthon.
Stifters und der Apostel nichts bezeichne, als die Umän-
derung der Gesinnung: 1 mit einem Mal hob es sich wie
ein Nebel vor seinen Augen.

Für Melanchthon aber auch selbst war es unschätz-
bar, daß er hier sich mit Gegenständen beschäftigen konnte,
die seine Seele ganz erfüllten: und den Inhalt fand für
die mehr formelle Bildung, der er bis dahin obgelegen.
Mit Begeisterung begrüßte er die theologische Haltung Lu-
thers; vor allem durchdrang auch ihn der Tiefsinn seiner
Auffassung der Rechtfertigungslehre. Doch war er nicht
geschaffen, um diese Ansichten leidend aufzunehmen. Er
war einer von den außerordentlichen, doch zuweilen her-
vortretenden Geistern, die in frühen Jahren -- er zählte
erst ein und zwanzig -- in den vollen Besitz und Ge-
brauch ihrer Kräfte gelangen. Mit der Sicherheit welche
gründliche Sprachstudien zu verleihen pflegen, mit den rein-
lichen Trieben einer angebornen inneren Ökonomie des Gei-
stes faßte er das ihm dargebotene theologische Element.

Wie war da der nicht ganz günstige Eindruck, den
die erste Erscheinung des Ankommenden, seine Jugendlich-
keit und Unscheinbarkeit gemacht, so bald verlöscht. Der
Eifer der Lehrer ergriff die Schüler. "An der Universität
ist man fleißig," sagt Luther, "wie es die Ameisen sind."
Man dachte darauf, zunächst die Methode zu reformiren:
mit Beistimmung des Hofes stellte man Vorlesungen ab,
die nur für das scholastische System Bedeutung hatten,
und suchte andre, auf die classischen Studien gerichtete da-
für in Gang zu bringen; man ermäßigte die Forderungen

1 metanoia.

Melanchthon.
Stifters und der Apoſtel nichts bezeichne, als die Umän-
derung der Geſinnung: 1 mit einem Mal hob es ſich wie
ein Nebel vor ſeinen Augen.

Für Melanchthon aber auch ſelbſt war es unſchätz-
bar, daß er hier ſich mit Gegenſtänden beſchäftigen konnte,
die ſeine Seele ganz erfüllten: und den Inhalt fand für
die mehr formelle Bildung, der er bis dahin obgelegen.
Mit Begeiſterung begrüßte er die theologiſche Haltung Lu-
thers; vor allem durchdrang auch ihn der Tiefſinn ſeiner
Auffaſſung der Rechtfertigungslehre. Doch war er nicht
geſchaffen, um dieſe Anſichten leidend aufzunehmen. Er
war einer von den außerordentlichen, doch zuweilen her-
vortretenden Geiſtern, die in frühen Jahren — er zählte
erſt ein und zwanzig — in den vollen Beſitz und Ge-
brauch ihrer Kräfte gelangen. Mit der Sicherheit welche
gründliche Sprachſtudien zu verleihen pflegen, mit den rein-
lichen Trieben einer angebornen inneren Ökonomie des Gei-
ſtes faßte er das ihm dargebotene theologiſche Element.

Wie war da der nicht ganz günſtige Eindruck, den
die erſte Erſcheinung des Ankommenden, ſeine Jugendlich-
keit und Unſcheinbarkeit gemacht, ſo bald verlöſcht. Der
Eifer der Lehrer ergriff die Schüler. „An der Univerſität
iſt man fleißig,“ ſagt Luther, „wie es die Ameiſen ſind.“
Man dachte darauf, zunächſt die Methode zu reformiren:
mit Beiſtimmung des Hofes ſtellte man Vorleſungen ab,
die nur für das ſcholaſtiſche Syſtem Bedeutung hatten,
und ſuchte andre, auf die claſſiſchen Studien gerichtete da-
für in Gang zu bringen; man ermäßigte die Forderungen

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[395/0413] Melanchthon. Stifters und der Apoſtel nichts bezeichne, als die Umän- derung der Geſinnung: 1 mit einem Mal hob es ſich wie ein Nebel vor ſeinen Augen. Für Melanchthon aber auch ſelbſt war es unſchätz- bar, daß er hier ſich mit Gegenſtänden beſchäftigen konnte, die ſeine Seele ganz erfüllten: und den Inhalt fand für die mehr formelle Bildung, der er bis dahin obgelegen. Mit Begeiſterung begrüßte er die theologiſche Haltung Lu- thers; vor allem durchdrang auch ihn der Tiefſinn ſeiner Auffaſſung der Rechtfertigungslehre. Doch war er nicht geſchaffen, um dieſe Anſichten leidend aufzunehmen. Er war einer von den außerordentlichen, doch zuweilen her- vortretenden Geiſtern, die in frühen Jahren — er zählte erſt ein und zwanzig — in den vollen Beſitz und Ge- brauch ihrer Kräfte gelangen. Mit der Sicherheit welche gründliche Sprachſtudien zu verleihen pflegen, mit den rein- lichen Trieben einer angebornen inneren Ökonomie des Gei- ſtes faßte er das ihm dargebotene theologiſche Element. Wie war da der nicht ganz günſtige Eindruck, den die erſte Erſcheinung des Ankommenden, ſeine Jugendlich- keit und Unſcheinbarkeit gemacht, ſo bald verlöſcht. Der Eifer der Lehrer ergriff die Schüler. „An der Univerſität iſt man fleißig,“ ſagt Luther, „wie es die Ameiſen ſind.“ Man dachte darauf, zunächſt die Methode zu reformiren: mit Beiſtimmung des Hofes ſtellte man Vorleſungen ab, die nur für das ſcholaſtiſche Syſtem Bedeutung hatten, und ſuchte andre, auf die claſſiſchen Studien gerichtete da- für in Gang zu bringen; man ermäßigte die Forderungen 1 μετάνοια.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/413>, abgerufen am 22.11.2024.