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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Sächsische und fränkische Kaiser.

Bemerken wir jedoch und gestehen wir ein, daß sie
ihre Stellung nicht ganz verstand, ihre Aufgabe nicht voll-
kommen erfüllte.

Vor allem: es gelang ihr nicht, der Idee eines abend-
ländischen Reiches die volle Realität zu geben: wie es un-
ter Otto I den Anschein hatte. An allen Grenzen der
Deutschen erhoben sich wiewohl christliche, jedoch unabhän-
gige und häufig feindselige Gewalten: so in Ungern wie in
Polen, in den nördlichen wie in den südlichen Besitzungen
der Normannen; England und Frankreich waren dem deut-
schen Einfluß wieder entrissen; in Spanien lachte man der
deutschen Ansprüche auf eine allgemeine Oberherrlichkeit:
die dortigen Könige glaubten selber Kaiser zu seyn; ja selbst
die nächsten, die überelbischen Unternehmungen wurden eine
Zeitlang rückgängig.

Fragen wir dann, woher diese schlechten Erfolge rühr-
ten, so brauchen wir nur unsre Augen auf das Innere zu
richten, wo wir ein unaufhörlich wogendes Kämpfen al-
ler Gewalten wahrnehmen. Unglücklicherweise konnte es
in Deutschland zu keiner festen Succession kommen. Der
Sohn und der Enkel Ottos des Großen starben in der
Blüthe der Jahre; die Nation ward in die Nothwendig-
keit gesetzt, sich ein Oberhaupt zu wählen. Gleich die erste
Wahl brachte Deutschland und Italien in eine allgemeine
Aufregung; und darauf folgte alsbald eine zweite, noch
stürmischere, da man sogar zu einem neuen Hause, dem
fränkischen, überzugehen genöthigt war. Wie wäre von den
mächtigen und widerspenstigen Großen, aus deren Mitte
durch ihren Willen eben der Kaiser hervorgegangen, nun

Saͤchſiſche und fraͤnkiſche Kaiſer.

Bemerken wir jedoch und geſtehen wir ein, daß ſie
ihre Stellung nicht ganz verſtand, ihre Aufgabe nicht voll-
kommen erfüllte.

Vor allem: es gelang ihr nicht, der Idee eines abend-
ländiſchen Reiches die volle Realität zu geben: wie es un-
ter Otto I den Anſchein hatte. An allen Grenzen der
Deutſchen erhoben ſich wiewohl chriſtliche, jedoch unabhän-
gige und häufig feindſelige Gewalten: ſo in Ungern wie in
Polen, in den nördlichen wie in den ſüdlichen Beſitzungen
der Normannen; England und Frankreich waren dem deut-
ſchen Einfluß wieder entriſſen; in Spanien lachte man der
deutſchen Anſprüche auf eine allgemeine Oberherrlichkeit:
die dortigen Könige glaubten ſelber Kaiſer zu ſeyn; ja ſelbſt
die nächſten, die überelbiſchen Unternehmungen wurden eine
Zeitlang rückgängig.

Fragen wir dann, woher dieſe ſchlechten Erfolge rühr-
ten, ſo brauchen wir nur unſre Augen auf das Innere zu
richten, wo wir ein unaufhörlich wogendes Kämpfen al-
ler Gewalten wahrnehmen. Unglücklicherweiſe konnte es
in Deutſchland zu keiner feſten Succeſſion kommen. Der
Sohn und der Enkel Ottos des Großen ſtarben in der
Blüthe der Jahre; die Nation ward in die Nothwendig-
keit geſetzt, ſich ein Oberhaupt zu wählen. Gleich die erſte
Wahl brachte Deutſchland und Italien in eine allgemeine
Aufregung; und darauf folgte alsbald eine zweite, noch
ſtürmiſchere, da man ſogar zu einem neuen Hauſe, dem
fränkiſchen, überzugehen genöthigt war. Wie wäre von den
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[25/0043] Saͤchſiſche und fraͤnkiſche Kaiſer. Bemerken wir jedoch und geſtehen wir ein, daß ſie ihre Stellung nicht ganz verſtand, ihre Aufgabe nicht voll- kommen erfüllte. Vor allem: es gelang ihr nicht, der Idee eines abend- ländiſchen Reiches die volle Realität zu geben: wie es un- ter Otto I den Anſchein hatte. An allen Grenzen der Deutſchen erhoben ſich wiewohl chriſtliche, jedoch unabhän- gige und häufig feindſelige Gewalten: ſo in Ungern wie in Polen, in den nördlichen wie in den ſüdlichen Beſitzungen der Normannen; England und Frankreich waren dem deut- ſchen Einfluß wieder entriſſen; in Spanien lachte man der deutſchen Anſprüche auf eine allgemeine Oberherrlichkeit: die dortigen Könige glaubten ſelber Kaiſer zu ſeyn; ja ſelbſt die nächſten, die überelbiſchen Unternehmungen wurden eine Zeitlang rückgängig. Fragen wir dann, woher dieſe ſchlechten Erfolge rühr- ten, ſo brauchen wir nur unſre Augen auf das Innere zu richten, wo wir ein unaufhörlich wogendes Kämpfen al- ler Gewalten wahrnehmen. Unglücklicherweiſe konnte es in Deutſchland zu keiner feſten Succeſſion kommen. Der Sohn und der Enkel Ottos des Großen ſtarben in der Blüthe der Jahre; die Nation ward in die Nothwendig- keit geſetzt, ſich ein Oberhaupt zu wählen. Gleich die erſte Wahl brachte Deutſchland und Italien in eine allgemeine Aufregung; und darauf folgte alsbald eine zweite, noch ſtürmiſchere, da man ſogar zu einem neuen Hauſe, dem fränkiſchen, überzugehen genöthigt war. Wie wäre von den mächtigen und widerſpenſtigen Großen, aus deren Mitte durch ihren Willen eben der Kaiſer hervorgegangen, nun

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/43>, abgerufen am 21.11.2024.