sagt er, die man aus allen Kräften bekämpfen müsse, mehr als Ein Hercules sey dazu nöthig. 1
Man sieht, Melanchthon langt an demselben Puncte an, den Luther erreicht hat: obwohl ruhiger, mehr auf wissenschaftlichem Wege. Merkwürdig, wie sie sich in die- sem Moment über die Schrift äußern, in der sie beide le- ben. Sie erfüllt die Seele, sagt Melanchthon, mit wun- derbarer Wonne: sie ist ein himmlisches Ambrosia. 2 Das Wort Gottes, ruft Luther aus, ist Schwerd und Krieg und Verderben: wie die Löwin im Wald begegnet sie den Kindern Ephraim. Der Eine faßt sie in ihrer Beziehung zu dem Innern des Menschen, dem sie verwandt ist, der Andre in ihrem Verhältniß zu dem Verderben der Welt, dem sie sich entgegensetzt; doch sind sie Beide einverstan- den. Sie hätten nun nicht mehr von einander gelassen. "Dieses Griechlein," sagt Luther, "übertrifft mich auch in der Theologie." "Er wird Euch," ruft er ein ander Mal aus, "viele Martine ersetzen." Er hat nur Sorge, daß irgend ein Unfall ihn heimsuche, wie er große Geister wohl verfolge. Dagegen ist nun Melanchthon von dem tiefen Verständniß des Paulus, welches Luthern eigen, ergriffen und durchdrungen worden; er zieht ihn den Kirchenvätern vor; er findet ihn bewundernswürdiger so oft er ihn wieder- sieht; auch im gewöhnlichen Umgang will er den Tadel nicht auf ihn fallen lassen, den man etwa von seiner Hei- terkeit, seinen Scherzen im Gespräch hernimmt. Ein wahr- haft göttliches Geschick das diese Männer in diesem gro-
1 Dedication an Bronner: C. E. p. 138. Brief an Heß.
2 An Schwebel Dez. 1519. 128.
Zweites Buch. Drittes Capitel.
ſagt er, die man aus allen Kräften bekämpfen müſſe, mehr als Ein Hercules ſey dazu nöthig. 1
Man ſieht, Melanchthon langt an demſelben Puncte an, den Luther erreicht hat: obwohl ruhiger, mehr auf wiſſenſchaftlichem Wege. Merkwürdig, wie ſie ſich in die- ſem Moment über die Schrift äußern, in der ſie beide le- ben. Sie erfüllt die Seele, ſagt Melanchthon, mit wun- derbarer Wonne: ſie iſt ein himmliſches Ambroſia. 2 Das Wort Gottes, ruft Luther aus, iſt Schwerd und Krieg und Verderben: wie die Löwin im Wald begegnet ſie den Kindern Ephraim. Der Eine faßt ſie in ihrer Beziehung zu dem Innern des Menſchen, dem ſie verwandt iſt, der Andre in ihrem Verhältniß zu dem Verderben der Welt, dem ſie ſich entgegenſetzt; doch ſind ſie Beide einverſtan- den. Sie hätten nun nicht mehr von einander gelaſſen. „Dieſes Griechlein,“ ſagt Luther, „übertrifft mich auch in der Theologie.“ „Er wird Euch,“ ruft er ein ander Mal aus, „viele Martine erſetzen.“ Er hat nur Sorge, daß irgend ein Unfall ihn heimſuche, wie er große Geiſter wohl verfolge. Dagegen iſt nun Melanchthon von dem tiefen Verſtändniß des Paulus, welches Luthern eigen, ergriffen und durchdrungen worden; er zieht ihn den Kirchenvätern vor; er findet ihn bewundernswürdiger ſo oft er ihn wieder- ſieht; auch im gewöhnlichen Umgang will er den Tadel nicht auf ihn fallen laſſen, den man etwa von ſeiner Hei- terkeit, ſeinen Scherzen im Geſpräch hernimmt. Ein wahr- haft göttliches Geſchick das dieſe Männer in dieſem gro-
1 Dedication an Bronner: C. E. p. 138. Brief an Heß.
2 An Schwebel Dez. 1519. 128.
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Zweites Buch. Drittes Capitel.
ſagt er, die man aus allen Kräften bekämpfen müſſe,
mehr als Ein Hercules ſey dazu nöthig. 1
Man ſieht, Melanchthon langt an demſelben Puncte
an, den Luther erreicht hat: obwohl ruhiger, mehr auf
wiſſenſchaftlichem Wege. Merkwürdig, wie ſie ſich in die-
ſem Moment über die Schrift äußern, in der ſie beide le-
ben. Sie erfüllt die Seele, ſagt Melanchthon, mit wun-
derbarer Wonne: ſie iſt ein himmliſches Ambroſia. 2 Das
Wort Gottes, ruft Luther aus, iſt Schwerd und Krieg
und Verderben: wie die Löwin im Wald begegnet ſie den
Kindern Ephraim. Der Eine faßt ſie in ihrer Beziehung
zu dem Innern des Menſchen, dem ſie verwandt iſt, der
Andre in ihrem Verhältniß zu dem Verderben der Welt,
dem ſie ſich entgegenſetzt; doch ſind ſie Beide einverſtan-
den. Sie hätten nun nicht mehr von einander gelaſſen.
„Dieſes Griechlein,“ ſagt Luther, „übertrifft mich auch in
der Theologie.“ „Er wird Euch,“ ruft er ein ander Mal
aus, „viele Martine erſetzen.“ Er hat nur Sorge, daß
irgend ein Unfall ihn heimſuche, wie er große Geiſter wohl
verfolge. Dagegen iſt nun Melanchthon von dem tiefen
Verſtändniß des Paulus, welches Luthern eigen, ergriffen
und durchdrungen worden; er zieht ihn den Kirchenvätern
vor; er findet ihn bewundernswürdiger ſo oft er ihn wieder-
ſieht; auch im gewöhnlichen Umgang will er den Tadel
nicht auf ihn fallen laſſen, den man etwa von ſeiner Hei-
terkeit, ſeinen Scherzen im Geſpräch hernimmt. Ein wahr-
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2 An Schwebel Dez. 1519. 128.
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/432>, abgerufen am 22.11.2024.
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