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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Zweites Buch. Drittes Capitel.
habe, recht ein Vorbild aller Päpste, während es der hi-
storischen Critik zweifelhaft bleibt, ob er jemals dahin ge-
langt ist; er findet Cardinäle selbst mit diesem Namen
schon im Jahr 770, ja Hieronymus schon nimmt die Stel-
lung eines Cardinals ein. Im zweiten Buche will er die
Zeugnisse der Kirchenväter für jenes göttliche Recht zu-
sammenstellen, und beginnt dabei mit Dionysius Areopa-
gita, dessen Werke nur leider untergeschoben sind. Eins
seiner vornehmsten Beweismittel sind die Decretalen der
ältesten Päpste, aus denen sich freilich gar Vieles er-
giebt, was man sonst nicht glauben würde: ein Unglück
nur, daß sie sämmtlich untergeschoben sind. Besonders
hält er Luthern vor, daß er von den alten Concilien nicht
das Mindeste verstehe: den sechsten Canon des nicänischen
Concils, aus welchem Luther die Gleichheit der alten Pa-
triarchate gefolgert, weiß er ihm auf eine ganz andre Weise
auszulegen; allein auch dabei begegnet es ihm, daß er sich
auf jenen unächten Canon stützt, welcher der sardicensischen
Synode, nicht der nicänischen angehört. Und so geht das
nun fort. Man verberge sich die Lage der Dinge nicht.
Zu jenen Ansprüchen einer unbedingten, alle andre umfas-
senden, irdischen Gewalt gehört, wie das Dogma in sei-
ner scholastisch-hierarchischen Ausbildung, so diese giganti-
sche Fiction, diese falsche Geschichte, auf so zahllose erdich-
tete Documente gestützt; welche, wenn sie nicht durchbro-
chen ward, wie das später -- und zwar großentheils durch
ächtere Gelehrte der katholischen Kirche selbst -- geschehn
ist, das Aufkommen aller wahrhaftigen und gegründeten
Historie unmöglich gemacht haben würde: der menschliche

Zweites Buch. Drittes Capitel.
habe, recht ein Vorbild aller Päpſte, während es der hi-
ſtoriſchen Critik zweifelhaft bleibt, ob er jemals dahin ge-
langt iſt; er findet Cardinäle ſelbſt mit dieſem Namen
ſchon im Jahr 770, ja Hieronymus ſchon nimmt die Stel-
lung eines Cardinals ein. Im zweiten Buche will er die
Zeugniſſe der Kirchenväter für jenes göttliche Recht zu-
ſammenſtellen, und beginnt dabei mit Dionyſius Areopa-
gita, deſſen Werke nur leider untergeſchoben ſind. Eins
ſeiner vornehmſten Beweismittel ſind die Decretalen der
älteſten Päpſte, aus denen ſich freilich gar Vieles er-
giebt, was man ſonſt nicht glauben würde: ein Unglück
nur, daß ſie ſämmtlich untergeſchoben ſind. Beſonders
hält er Luthern vor, daß er von den alten Concilien nicht
das Mindeſte verſtehe: den ſechsten Canon des nicäniſchen
Concils, aus welchem Luther die Gleichheit der alten Pa-
triarchate gefolgert, weiß er ihm auf eine ganz andre Weiſe
auszulegen; allein auch dabei begegnet es ihm, daß er ſich
auf jenen unächten Canon ſtützt, welcher der ſardicenſiſchen
Synode, nicht der nicäniſchen angehört. Und ſo geht das
nun fort. Man verberge ſich die Lage der Dinge nicht.
Zu jenen Anſprüchen einer unbedingten, alle andre umfaſ-
ſenden, irdiſchen Gewalt gehört, wie das Dogma in ſei-
ner ſcholaſtiſch-hierarchiſchen Ausbildung, ſo dieſe giganti-
ſche Fiction, dieſe falſche Geſchichte, auf ſo zahlloſe erdich-
tete Documente geſtützt; welche, wenn ſie nicht durchbro-
chen ward, wie das ſpäter — und zwar großentheils durch
ächtere Gelehrte der katholiſchen Kirche ſelbſt — geſchehn
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Hiſtorie unmöglich gemacht haben würde: der menſchliche

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[426/0444] Zweites Buch. Drittes Capitel. habe, recht ein Vorbild aller Päpſte, während es der hi- ſtoriſchen Critik zweifelhaft bleibt, ob er jemals dahin ge- langt iſt; er findet Cardinäle ſelbſt mit dieſem Namen ſchon im Jahr 770, ja Hieronymus ſchon nimmt die Stel- lung eines Cardinals ein. Im zweiten Buche will er die Zeugniſſe der Kirchenväter für jenes göttliche Recht zu- ſammenſtellen, und beginnt dabei mit Dionyſius Areopa- gita, deſſen Werke nur leider untergeſchoben ſind. Eins ſeiner vornehmſten Beweismittel ſind die Decretalen der älteſten Päpſte, aus denen ſich freilich gar Vieles er- giebt, was man ſonſt nicht glauben würde: ein Unglück nur, daß ſie ſämmtlich untergeſchoben ſind. Beſonders hält er Luthern vor, daß er von den alten Concilien nicht das Mindeſte verſtehe: den ſechsten Canon des nicäniſchen Concils, aus welchem Luther die Gleichheit der alten Pa- triarchate gefolgert, weiß er ihm auf eine ganz andre Weiſe auszulegen; allein auch dabei begegnet es ihm, daß er ſich auf jenen unächten Canon ſtützt, welcher der ſardicenſiſchen Synode, nicht der nicäniſchen angehört. Und ſo geht das nun fort. Man verberge ſich die Lage der Dinge nicht. Zu jenen Anſprüchen einer unbedingten, alle andre umfaſ- ſenden, irdiſchen Gewalt gehört, wie das Dogma in ſei- ner ſcholaſtiſch-hierarchiſchen Ausbildung, ſo dieſe giganti- ſche Fiction, dieſe falſche Geſchichte, auf ſo zahlloſe erdich- tete Documente geſtützt; welche, wenn ſie nicht durchbro- chen ward, wie das ſpäter — und zwar großentheils durch ächtere Gelehrte der katholiſchen Kirche ſelbſt — geſchehn iſt, das Aufkommen aller wahrhaftigen und gegründeten Hiſtorie unmöglich gemacht haben würde: der menſchliche

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/444>, abgerufen am 22.11.2024.