Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.Bulle gegen Luther. hätten eine Vorladung und neue Vernehmung des Ange-klagten für nothwendig gehalten: "habe doch Gott selbst Cain noch einmal vor sich gerufen;" aber die Theologen wollten in keine weitere Verzögerung willigen. Man traf endlich die Auskunft, die aus Luthers Schriften excerpir- ten Sätze ohne Säumen zu verurtheilen, ihm selbst aber noch 60 Tage Zeit zu lassen, um sie zu widerrufen. Der Entwurf der Bulle, den Cardinal Accolti gemacht erfuhr noch viele Veränderungen. Viermal ward Consistorium gehal- ten, um jeden einzelnen Satz zu überlegen; Cardinal Vio litt an einem heftigen Krankheitsanfall, aber um keinen Preis wäre er ausgebleben; er ließ sich jedes Mal in die Versammlung tragen. Vor dem Papst selbst, auf sei- nem Landsitz zu Malliano trat noch eine engere Confe- renz zusammen, an der auch Eck Theil nahm. Endlich am 16ten Juni kam die Bulle zu Stande. Ein und vier- zig Sätze aus den lutherischen Schriften wurden darin als falsch verführerisch anstößig oder geradezu ketzerisch bezeichnet, die verdammenden Decrete der Universitäten Löwen und Cölln dagegen als gelehrt und wahr ja hei- lig belobt; Christus ward aufgerufen, den Weinberg zu beschützen, dessen Verwaltung er bei seiner Auffahrt dem heiligen Petrus anvertraut; Petrus selbst, die Sache der römischen Kirche, Meisterin des Glaubens, in seine Obhut zu nehmen; Luther soll, wenn er binnen 60 Tagen nicht widerruft, als ein hartnäckiger Ketzer, ein verdorrter Ast, von der Christenheit abgehauen werden; alle christlichen Ge- walten sind aufgefordert, sich der Person desselben zu be- mächtigen und ihn in die Hände des Papstes zu liefern. 1 1 In Luthers und Huttens Werken häufig abgedruckt. Au-
Bulle gegen Luther. hätten eine Vorladung und neue Vernehmung des Ange-klagten für nothwendig gehalten: „habe doch Gott ſelbſt Cain noch einmal vor ſich gerufen;“ aber die Theologen wollten in keine weitere Verzögerung willigen. Man traf endlich die Auskunft, die aus Luthers Schriften excerpir- ten Sätze ohne Säumen zu verurtheilen, ihm ſelbſt aber noch 60 Tage Zeit zu laſſen, um ſie zu widerrufen. Der Entwurf der Bulle, den Cardinal Accolti gemacht erfuhr noch viele Veränderungen. Viermal ward Conſiſtorium gehal- ten, um jeden einzelnen Satz zu überlegen; Cardinal Vio litt an einem heftigen Krankheitsanfall, aber um keinen Preis wäre er ausgebleben; er ließ ſich jedes Mal in die Verſammlung tragen. Vor dem Papſt ſelbſt, auf ſei- nem Landſitz zu Malliano trat noch eine engere Confe- renz zuſammen, an der auch Eck Theil nahm. Endlich am 16ten Juni kam die Bulle zu Stande. Ein und vier- zig Sätze aus den lutheriſchen Schriften wurden darin als falſch verführeriſch anſtößig oder geradezu ketzeriſch bezeichnet, die verdammenden Decrete der Univerſitäten Löwen und Cölln dagegen als gelehrt und wahr ja hei- lig belobt; Chriſtus ward aufgerufen, den Weinberg zu beſchützen, deſſen Verwaltung er bei ſeiner Auffahrt dem heiligen Petrus anvertraut; Petrus ſelbſt, die Sache der römiſchen Kirche, Meiſterin des Glaubens, in ſeine Obhut zu nehmen; Luther ſoll, wenn er binnen 60 Tagen nicht widerruft, als ein hartnäckiger Ketzer, ein verdorrter Aſt, von der Chriſtenheit abgehauen werden; alle chriſtlichen Ge- walten ſind aufgefordert, ſich der Perſon deſſelben zu be- mächtigen und ihn in die Hände des Papſtes zu liefern. 1 1 In Luthers und Huttens Werken haͤufig abgedruckt. Au-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0447" n="429"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Bulle gegen Luther</hi>.</fw><lb/> hätten eine Vorladung und neue Vernehmung des Ange-<lb/> klagten für nothwendig gehalten: „habe doch Gott ſelbſt<lb/> Cain noch einmal vor ſich gerufen;“ aber die Theologen<lb/> wollten in keine weitere Verzögerung willigen. Man traf<lb/> endlich die Auskunft, die aus Luthers Schriften excerpir-<lb/> ten Sätze ohne Säumen zu verurtheilen, ihm ſelbſt aber<lb/> noch 60 Tage Zeit zu laſſen, um ſie zu widerrufen. Der<lb/> Entwurf der Bulle, den Cardinal Accolti gemacht erfuhr noch<lb/> viele Veränderungen. Viermal ward Conſiſtorium gehal-<lb/> ten, um jeden einzelnen Satz zu überlegen; Cardinal Vio<lb/> litt an einem heftigen Krankheitsanfall, aber um keinen<lb/> Preis wäre er ausgebleben; er ließ ſich jedes Mal in die<lb/> Verſammlung tragen. Vor dem Papſt ſelbſt, auf ſei-<lb/> nem Landſitz zu Malliano trat noch eine engere Confe-<lb/> renz zuſammen, an der auch Eck Theil nahm. Endlich<lb/> am 16ten Juni kam die Bulle zu Stande. Ein und vier-<lb/> zig Sätze aus den lutheriſchen Schriften wurden darin<lb/> als falſch verführeriſch anſtößig oder geradezu ketzeriſch<lb/> bezeichnet, die verdammenden Decrete der Univerſitäten<lb/> Löwen und Cölln dagegen als gelehrt und wahr ja hei-<lb/> lig belobt; Chriſtus ward aufgerufen, den Weinberg zu<lb/> beſchützen, deſſen Verwaltung er bei ſeiner Auffahrt dem<lb/> heiligen Petrus anvertraut; Petrus ſelbſt, die Sache der<lb/> römiſchen Kirche, Meiſterin des Glaubens, in ſeine Obhut<lb/> zu nehmen; Luther ſoll, wenn er binnen 60 Tagen nicht<lb/> widerruft, als ein hartnäckiger Ketzer, ein verdorrter Aſt,<lb/> von der Chriſtenheit abgehauen werden; alle chriſtlichen Ge-<lb/> walten ſind aufgefordert, ſich der Perſon deſſelben zu be-<lb/> mächtigen und ihn in die Hände des Papſtes zu liefern. <note xml:id="seg2pn_36_1" next="#seg2pn_36_2" place="foot" n="1">In Luthers und Huttens Werken haͤufig abgedruckt. Au-</note></p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [429/0447]
Bulle gegen Luther.
hätten eine Vorladung und neue Vernehmung des Ange-
klagten für nothwendig gehalten: „habe doch Gott ſelbſt
Cain noch einmal vor ſich gerufen;“ aber die Theologen
wollten in keine weitere Verzögerung willigen. Man traf
endlich die Auskunft, die aus Luthers Schriften excerpir-
ten Sätze ohne Säumen zu verurtheilen, ihm ſelbſt aber
noch 60 Tage Zeit zu laſſen, um ſie zu widerrufen. Der
Entwurf der Bulle, den Cardinal Accolti gemacht erfuhr noch
viele Veränderungen. Viermal ward Conſiſtorium gehal-
ten, um jeden einzelnen Satz zu überlegen; Cardinal Vio
litt an einem heftigen Krankheitsanfall, aber um keinen
Preis wäre er ausgebleben; er ließ ſich jedes Mal in die
Verſammlung tragen. Vor dem Papſt ſelbſt, auf ſei-
nem Landſitz zu Malliano trat noch eine engere Confe-
renz zuſammen, an der auch Eck Theil nahm. Endlich
am 16ten Juni kam die Bulle zu Stande. Ein und vier-
zig Sätze aus den lutheriſchen Schriften wurden darin
als falſch verführeriſch anſtößig oder geradezu ketzeriſch
bezeichnet, die verdammenden Decrete der Univerſitäten
Löwen und Cölln dagegen als gelehrt und wahr ja hei-
lig belobt; Chriſtus ward aufgerufen, den Weinberg zu
beſchützen, deſſen Verwaltung er bei ſeiner Auffahrt dem
heiligen Petrus anvertraut; Petrus ſelbſt, die Sache der
römiſchen Kirche, Meiſterin des Glaubens, in ſeine Obhut
zu nehmen; Luther ſoll, wenn er binnen 60 Tagen nicht
widerruft, als ein hartnäckiger Ketzer, ein verdorrter Aſt,
von der Chriſtenheit abgehauen werden; alle chriſtlichen Ge-
walten ſind aufgefordert, ſich der Perſon deſſelben zu be-
mächtigen und ihn in die Hände des Papſtes zu liefern. 1
1 In Luthers und Huttens Werken haͤufig abgedruckt. Au-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |