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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Zweites Buch. Viertes Capitel.
der mit so viel andern zahlreichen Kronen auch die höchste
Würde der Christenheit verband. In so fern mußte er
dabei stehn bleiben, die Rechte des Kaiserthums als einen
Theil seiner Macht zu betrachten, wie schon sein Groß-
vater gethan: noch viel weniger als dieser konnte er sich
den innern Bedürfnissen von Deutschland mit voller Hin-
gebung widmen.

Von dem Treiben des deutschen Geistes hatte er ohne-
hin keinen Begriff: er verstand weder unsre Sprache noch
unsre Gedanken.

Ein merkwürdiges Schicksal, daß die Nation sich in
dem Augenblick ihrer größten, eigensten innern Bewegung
ein Oberhaupt berufen hatte, das ihrem Wesen fremd war,
in dessen Politik, die einen bei weitem größern Kreis um-
faßte, die Bedürfnisse und Bestrebungen der Deutschen nur
als ein untergeordnetes Moment erscheinen konnten.

Nicht als ob die religiösen Bewegungen dem Kaiser
gleichgültig gewesen wären; sie hatten für ihn ein hohes
Interesse, aber zunächst nur deshalb weil sie den Papst be-
rührten und bedrohten, und für das Verhältniß zu dem
römischen Hof neue Gesichtspuncte, ja man darf wohl sa-
gen neue Waffen darboten.

Von allen politischen Verhältnissen des Kaisers war
aber dieses ohne Zweifel das wichtigste.

Denn da es nun einmal zum Kampfe mit Frankreich
kommen mußte, einem Kampfe der hauptsächlich in Ita-
lien zu führen war, so bildete es für den Kaiser die oberste
Frage, ob er den Papst für sich haben würde oder nicht.
Schon wetteiferten die beiden Fürsten, sich die Gunst des-
selben zu verschaffen. Beide machten ihm die größten

Zweites Buch. Viertes Capitel.
der mit ſo viel andern zahlreichen Kronen auch die höchſte
Würde der Chriſtenheit verband. In ſo fern mußte er
dabei ſtehn bleiben, die Rechte des Kaiſerthums als einen
Theil ſeiner Macht zu betrachten, wie ſchon ſein Groß-
vater gethan: noch viel weniger als dieſer konnte er ſich
den innern Bedürfniſſen von Deutſchland mit voller Hin-
gebung widmen.

Von dem Treiben des deutſchen Geiſtes hatte er ohne-
hin keinen Begriff: er verſtand weder unſre Sprache noch
unſre Gedanken.

Ein merkwürdiges Schickſal, daß die Nation ſich in
dem Augenblick ihrer größten, eigenſten innern Bewegung
ein Oberhaupt berufen hatte, das ihrem Weſen fremd war,
in deſſen Politik, die einen bei weitem größern Kreis um-
faßte, die Bedürfniſſe und Beſtrebungen der Deutſchen nur
als ein untergeordnetes Moment erſcheinen konnten.

Nicht als ob die religiöſen Bewegungen dem Kaiſer
gleichgültig geweſen wären; ſie hatten für ihn ein hohes
Intereſſe, aber zunächſt nur deshalb weil ſie den Papſt be-
rührten und bedrohten, und für das Verhältniß zu dem
römiſchen Hof neue Geſichtspuncte, ja man darf wohl ſa-
gen neue Waffen darboten.

Von allen politiſchen Verhältniſſen des Kaiſers war
aber dieſes ohne Zweifel das wichtigſte.

Denn da es nun einmal zum Kampfe mit Frankreich
kommen mußte, einem Kampfe der hauptſächlich in Ita-
lien zu führen war, ſo bildete es für den Kaiſer die oberſte
Frage, ob er den Papſt für ſich haben würde oder nicht.
Schon wetteiferten die beiden Fürſten, ſich die Gunſt deſ-
ſelben zu verſchaffen. Beide machten ihm die größten

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[470/0488] Zweites Buch. Viertes Capitel. der mit ſo viel andern zahlreichen Kronen auch die höchſte Würde der Chriſtenheit verband. In ſo fern mußte er dabei ſtehn bleiben, die Rechte des Kaiſerthums als einen Theil ſeiner Macht zu betrachten, wie ſchon ſein Groß- vater gethan: noch viel weniger als dieſer konnte er ſich den innern Bedürfniſſen von Deutſchland mit voller Hin- gebung widmen. Von dem Treiben des deutſchen Geiſtes hatte er ohne- hin keinen Begriff: er verſtand weder unſre Sprache noch unſre Gedanken. Ein merkwürdiges Schickſal, daß die Nation ſich in dem Augenblick ihrer größten, eigenſten innern Bewegung ein Oberhaupt berufen hatte, das ihrem Weſen fremd war, in deſſen Politik, die einen bei weitem größern Kreis um- faßte, die Bedürfniſſe und Beſtrebungen der Deutſchen nur als ein untergeordnetes Moment erſcheinen konnten. Nicht als ob die religiöſen Bewegungen dem Kaiſer gleichgültig geweſen wären; ſie hatten für ihn ein hohes Intereſſe, aber zunächſt nur deshalb weil ſie den Papſt be- rührten und bedrohten, und für das Verhältniß zu dem römiſchen Hof neue Geſichtspuncte, ja man darf wohl ſa- gen neue Waffen darboten. Von allen politiſchen Verhältniſſen des Kaiſers war aber dieſes ohne Zweifel das wichtigſte. Denn da es nun einmal zum Kampfe mit Frankreich kommen mußte, einem Kampfe der hauptſächlich in Ita- lien zu führen war, ſo bildete es für den Kaiſer die oberſte Frage, ob er den Papſt für ſich haben würde oder nicht. Schon wetteiferten die beiden Fürſten, ſich die Gunſt deſ- ſelben zu verſchaffen. Beide machten ihm die größten

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 470. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/488>, abgerufen am 22.11.2024.