Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. Viertes Capitel.
sondern zu einer Verbindung mit ihm aufgefordert. Wie
sehr sahen die Hutten und Sickingen die Hofnungen ge-
täuscht, welche sie auf den jungen Kaiser gesetzt hatten!
In seinen niederdeutschen Erbstaaten wurde die päpstliche
Bulle ohne Bedenken vollzogen; nur die hohen Geistlichen
und der Beichtvater schienen an dem Hofe etwas zu gel-
ten; im Januar 1521 hielt man den Kaiser für entschlos-
sen, Luther zu verderben und seine Anhänger wo möglich
zu vertilgen. 1 Mit jener letzten Concession wahrscheinlich
zugleich oder doch bald nachher langte ein päpstliches Breve
an, worin der Papst den Kaiser aufforderte, seiner Bulle
durch ein kaiserliches Edict gesetzliche Kraft zu verschaffen.
"Jetzt könne er zeigen, daß ihm die Einheit der Kirche
am Herzen liege, wie den alten Kaisern. Vergeblich würde
er mit dem Schwerte gegürtet seyn, wenn er es nicht wie
gegen die Ungläubigen, so gegen die Ketzer, die noch viel
schlimmer als die Ungläubigen, brauchen wolle." 2

Im Februar, eines Tages, als ein Turnier angesetzt
war, und schon das Tuch des Kaisers dazu aushieng,
wurden die Fürsten, statt dessen, in die kaiserliche Herberge
zur Versammlung beschieden, wo man ihnen dieß Breve
vorlas, und zugleich ein Edict zur Ausführung der Bulle,
das denn sehr strenge lautete, vorlegte.

Welch eine sonderbare, unerwartete Verflechtung! Die

1 Spengler an Pirkheimer 29 Dez. 10 Jan. bei Riederer p.
113. 131.
2 Deus accinxit te terrenae potestatis supremo gladio,
quem frustra profecto gereres juxta Pauli apostoli sententiam,
nisi eo uterere cum contra infideles tum contra infidelibus multo
deteriores haereticos.
(Fr. A.)

Zweites Buch. Viertes Capitel.
ſondern zu einer Verbindung mit ihm aufgefordert. Wie
ſehr ſahen die Hutten und Sickingen die Hofnungen ge-
täuſcht, welche ſie auf den jungen Kaiſer geſetzt hatten!
In ſeinen niederdeutſchen Erbſtaaten wurde die päpſtliche
Bulle ohne Bedenken vollzogen; nur die hohen Geiſtlichen
und der Beichtvater ſchienen an dem Hofe etwas zu gel-
ten; im Januar 1521 hielt man den Kaiſer für entſchloſ-
ſen, Luther zu verderben und ſeine Anhänger wo möglich
zu vertilgen. 1 Mit jener letzten Conceſſion wahrſcheinlich
zugleich oder doch bald nachher langte ein päpſtliches Breve
an, worin der Papſt den Kaiſer aufforderte, ſeiner Bulle
durch ein kaiſerliches Edict geſetzliche Kraft zu verſchaffen.
„Jetzt könne er zeigen, daß ihm die Einheit der Kirche
am Herzen liege, wie den alten Kaiſern. Vergeblich würde
er mit dem Schwerte gegürtet ſeyn, wenn er es nicht wie
gegen die Ungläubigen, ſo gegen die Ketzer, die noch viel
ſchlimmer als die Ungläubigen, brauchen wolle.“ 2

Im Februar, eines Tages, als ein Turnier angeſetzt
war, und ſchon das Tuch des Kaiſers dazu aushieng,
wurden die Fürſten, ſtatt deſſen, in die kaiſerliche Herberge
zur Verſammlung beſchieden, wo man ihnen dieß Breve
vorlas, und zugleich ein Edict zur Ausführung der Bulle,
das denn ſehr ſtrenge lautete, vorlegte.

Welch eine ſonderbare, unerwartete Verflechtung! Die

1 Spengler an Pirkheimer 29 Dez. 10 Jan. bei Riederer p.
113. 131.
2 Deus accinxit te terrenae potestatis supremo gladio,
quem frustra profecto gereres juxta Pauli apostoli sententiam,
nisi eo uterere cum contra infideles tum contra infidelibus multo
deteriores haereticos.
(Fr. A.)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0492" n="474"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweites Buch. Viertes Capitel</hi>.</fw><lb/>
&#x017F;ondern zu einer Verbindung mit ihm aufgefordert. Wie<lb/>
&#x017F;ehr &#x017F;ahen die Hutten und Sickingen die Hofnungen ge-<lb/>
täu&#x017F;cht, welche &#x017F;ie auf den jungen Kai&#x017F;er ge&#x017F;etzt hatten!<lb/>
In &#x017F;einen niederdeut&#x017F;chen Erb&#x017F;taaten wurde die päp&#x017F;tliche<lb/>
Bulle ohne Bedenken vollzogen; nur die hohen Gei&#x017F;tlichen<lb/>
und der Beichtvater &#x017F;chienen an dem Hofe etwas zu gel-<lb/>
ten; im Januar 1521 hielt man den Kai&#x017F;er für ent&#x017F;chlo&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en, Luther zu verderben und &#x017F;eine Anhänger wo möglich<lb/>
zu vertilgen. <note place="foot" n="1">Spengler an Pirkheimer 29 Dez. 10 Jan. bei Riederer <hi rendition="#aq">p.</hi><lb/>
113. 131.</note> Mit jener letzten Conce&#x017F;&#x017F;ion wahr&#x017F;cheinlich<lb/>
zugleich oder doch bald nachher langte ein päp&#x017F;tliches Breve<lb/>
an, worin der Pap&#x017F;t den Kai&#x017F;er aufforderte, &#x017F;einer Bulle<lb/>
durch ein kai&#x017F;erliches Edict ge&#x017F;etzliche Kraft zu ver&#x017F;chaffen.<lb/>
&#x201E;Jetzt könne er zeigen, daß ihm die Einheit der Kirche<lb/>
am Herzen liege, wie den alten Kai&#x017F;ern. Vergeblich würde<lb/>
er mit dem Schwerte gegürtet &#x017F;eyn, wenn er es nicht wie<lb/>
gegen die Ungläubigen, &#x017F;o gegen die Ketzer, die noch viel<lb/>
&#x017F;chlimmer als die Ungläubigen, brauchen wolle.&#x201C; <note place="foot" n="2"><hi rendition="#aq">Deus accinxit te terrenae potestatis supremo gladio,<lb/>
quem frustra profecto gereres juxta Pauli apostoli sententiam,<lb/>
nisi eo uterere cum contra infideles tum contra infidelibus multo<lb/>
deteriores haereticos.</hi> (Fr. A.)</note></p><lb/>
            <p>Im Februar, eines Tages, als ein Turnier ange&#x017F;etzt<lb/>
war, und &#x017F;chon das Tuch des Kai&#x017F;ers dazu aushieng,<lb/>
wurden die Für&#x017F;ten, &#x017F;tatt de&#x017F;&#x017F;en, in die kai&#x017F;erliche Herberge<lb/>
zur Ver&#x017F;ammlung be&#x017F;chieden, wo man ihnen dieß Breve<lb/>
vorlas, und zugleich ein Edict zur Ausführung der Bulle,<lb/>
das denn &#x017F;ehr &#x017F;trenge lautete, vorlegte.</p><lb/>
            <p>Welch eine &#x017F;onderbare, unerwartete Verflechtung! Die<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[474/0492] Zweites Buch. Viertes Capitel. ſondern zu einer Verbindung mit ihm aufgefordert. Wie ſehr ſahen die Hutten und Sickingen die Hofnungen ge- täuſcht, welche ſie auf den jungen Kaiſer geſetzt hatten! In ſeinen niederdeutſchen Erbſtaaten wurde die päpſtliche Bulle ohne Bedenken vollzogen; nur die hohen Geiſtlichen und der Beichtvater ſchienen an dem Hofe etwas zu gel- ten; im Januar 1521 hielt man den Kaiſer für entſchloſ- ſen, Luther zu verderben und ſeine Anhänger wo möglich zu vertilgen. 1 Mit jener letzten Conceſſion wahrſcheinlich zugleich oder doch bald nachher langte ein päpſtliches Breve an, worin der Papſt den Kaiſer aufforderte, ſeiner Bulle durch ein kaiſerliches Edict geſetzliche Kraft zu verſchaffen. „Jetzt könne er zeigen, daß ihm die Einheit der Kirche am Herzen liege, wie den alten Kaiſern. Vergeblich würde er mit dem Schwerte gegürtet ſeyn, wenn er es nicht wie gegen die Ungläubigen, ſo gegen die Ketzer, die noch viel ſchlimmer als die Ungläubigen, brauchen wolle.“ 2 Im Februar, eines Tages, als ein Turnier angeſetzt war, und ſchon das Tuch des Kaiſers dazu aushieng, wurden die Fürſten, ſtatt deſſen, in die kaiſerliche Herberge zur Verſammlung beſchieden, wo man ihnen dieß Breve vorlas, und zugleich ein Edict zur Ausführung der Bulle, das denn ſehr ſtrenge lautete, vorlegte. Welch eine ſonderbare, unerwartete Verflechtung! Die 1 Spengler an Pirkheimer 29 Dez. 10 Jan. bei Riederer p. 113. 131. 2 Deus accinxit te terrenae potestatis supremo gladio, quem frustra profecto gereres juxta Pauli apostoli sententiam, nisi eo uterere cum contra infideles tum contra infidelibus multo deteriores haereticos. (Fr. A.)

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/492
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/492>, abgerufen am 16.07.2024.