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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Zweites Buch. Viertes Capitel.
putation oder Widerlegung, irgend eine Art von Beleh-
rung erwartet hatte, statt dessen aber sich ohne Weiteres
als Irrlehrer behandelt sah, hatte sich in dem Gespräch
das volle Bewußtseyn einer von keiner Willkühr abhängen-
den, in Gottes Wort gegründeten, um Concilien und Papst
unbekümmerten Überzeugung erhoben; Drohungen schreck-
ten ihn nicht; die allgemeine Theilnahme, deren Odem er
um sich wehen fühlte, hatte ihn erst recht befestigt; sein
Gefühl war, wie er im Hinausgehen sagte, hätte er tau-
send Köpfe, so wolle er sie sich eher abschlagen lassen, ehe
er einen Widerruf leiste. Er erwiederte nach wie vor,
werde er nicht mit Sprüchen der heiligen Schrift über-
wiesen, daß er irre, so könne und wolle er nicht wider-
rufen, weil sein Gewissen in Gottes Wort gefangen sey.
"Hier stehe ich:" rief er aus: "ich kann nicht anders:
Gott helfe mir: Amen." 1

Es ist auffallend, wie verschiedenartig die Erscheinung
Luthers die Anwesenden berührte. Die vornehmeren Spa-
nier, die schon immer auf ihn gescholten, die man wohl
eine Schrift von Hutten oder Luther vor einer Bücher-
bude zerreißen und in den Koth treten gesehen, 2 fanden
den Mönch aberwitzig. Ein übrigens ganz unparteiischer
Venezianer bemerkt doch: Luther habe sich weder sehr ge-
lehrt gezeigt, noch besonders klug noch auch tadellos in

1 Acta revdi patris Martini Lutheri coram Caesa Majestate
etc. Opp. Lutheri lat. II, p.
411. Der Bericht, den Pallavicini
aus den Briefen Aleanders schöpfte, enthält noch einiges Weitere; meh-
reres von dem Detail das er mittheilt, so wie ein und das andre
Neue, fand ich in den Briefen der Frankfurter Gesandten Fürsten-
berg und Holzhausen.
2 Buschius ad Huttenum. Opp. Hutt. IV, p. 237.

Zweites Buch. Viertes Capitel.
putation oder Widerlegung, irgend eine Art von Beleh-
rung erwartet hatte, ſtatt deſſen aber ſich ohne Weiteres
als Irrlehrer behandelt ſah, hatte ſich in dem Geſpräch
das volle Bewußtſeyn einer von keiner Willkühr abhängen-
den, in Gottes Wort gegründeten, um Concilien und Papſt
unbekümmerten Überzeugung erhoben; Drohungen ſchreck-
ten ihn nicht; die allgemeine Theilnahme, deren Odem er
um ſich wehen fühlte, hatte ihn erſt recht befeſtigt; ſein
Gefühl war, wie er im Hinausgehen ſagte, hätte er tau-
ſend Köpfe, ſo wolle er ſie ſich eher abſchlagen laſſen, ehe
er einen Widerruf leiſte. Er erwiederte nach wie vor,
werde er nicht mit Sprüchen der heiligen Schrift über-
wieſen, daß er irre, ſo könne und wolle er nicht wider-
rufen, weil ſein Gewiſſen in Gottes Wort gefangen ſey.
„Hier ſtehe ich:“ rief er aus: „ich kann nicht anders:
Gott helfe mir: Amen.“ 1

Es iſt auffallend, wie verſchiedenartig die Erſcheinung
Luthers die Anweſenden berührte. Die vornehmeren Spa-
nier, die ſchon immer auf ihn geſcholten, die man wohl
eine Schrift von Hutten oder Luther vor einer Bücher-
bude zerreißen und in den Koth treten geſehen, 2 fanden
den Mönch aberwitzig. Ein übrigens ganz unparteiiſcher
Venezianer bemerkt doch: Luther habe ſich weder ſehr ge-
lehrt gezeigt, noch beſonders klug noch auch tadellos in

1 Acta revdi patris Martini Lutheri coram Caesa Majestate
etc. Opp. Lutheri lat. II, p.
411. Der Bericht, den Pallavicini
aus den Briefen Aleanders ſchoͤpfte, enthaͤlt noch einiges Weitere; meh-
reres von dem Detail das er mittheilt, ſo wie ein und das andre
Neue, fand ich in den Briefen der Frankfurter Geſandten Fuͤrſten-
berg und Holzhauſen.
2 Buschius ad Huttenum. Opp. Hutt. IV, p. 237.
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[484/0502] Zweites Buch. Viertes Capitel. putation oder Widerlegung, irgend eine Art von Beleh- rung erwartet hatte, ſtatt deſſen aber ſich ohne Weiteres als Irrlehrer behandelt ſah, hatte ſich in dem Geſpräch das volle Bewußtſeyn einer von keiner Willkühr abhängen- den, in Gottes Wort gegründeten, um Concilien und Papſt unbekümmerten Überzeugung erhoben; Drohungen ſchreck- ten ihn nicht; die allgemeine Theilnahme, deren Odem er um ſich wehen fühlte, hatte ihn erſt recht befeſtigt; ſein Gefühl war, wie er im Hinausgehen ſagte, hätte er tau- ſend Köpfe, ſo wolle er ſie ſich eher abſchlagen laſſen, ehe er einen Widerruf leiſte. Er erwiederte nach wie vor, werde er nicht mit Sprüchen der heiligen Schrift über- wieſen, daß er irre, ſo könne und wolle er nicht wider- rufen, weil ſein Gewiſſen in Gottes Wort gefangen ſey. „Hier ſtehe ich:“ rief er aus: „ich kann nicht anders: Gott helfe mir: Amen.“ 1 Es iſt auffallend, wie verſchiedenartig die Erſcheinung Luthers die Anweſenden berührte. Die vornehmeren Spa- nier, die ſchon immer auf ihn geſcholten, die man wohl eine Schrift von Hutten oder Luther vor einer Bücher- bude zerreißen und in den Koth treten geſehen, 2 fanden den Mönch aberwitzig. Ein übrigens ganz unparteiiſcher Venezianer bemerkt doch: Luther habe ſich weder ſehr ge- lehrt gezeigt, noch beſonders klug noch auch tadellos in 1 Acta revdi patris Martini Lutheri coram Caesa Majestate etc. Opp. Lutheri lat. II, p. 411. Der Bericht, den Pallavicini aus den Briefen Aleanders ſchoͤpfte, enthaͤlt noch einiges Weitere; meh- reres von dem Detail das er mittheilt, ſo wie ein und das andre Neue, fand ich in den Briefen der Frankfurter Geſandten Fuͤrſten- berg und Holzhauſen. 2 Buschius ad Huttenum. Opp. Hutt. IV, p. 237.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 484. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/502>, abgerufen am 22.11.2024.