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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Einleitung.
Der Anspruch dieses Fürsten auf eine kleine norddeutsche
Stadt, auf Goßlar am Harz, den der Kaiser nicht aner-
kennen wollte, entschied in den italienischen, den allgemei-
nen Verhältnissen der abendländischen Christenheit. Dann
blieb dem Kaiser die gewohnte Unterstützung aus: dann
ward er im Felde geschlagen: dann mußte er einem gelei-
steten Eide zum Trotz den Papst anerkennen, den er ver-
worfen hatte.

Und nun wandte er sich zwar wider den empörerischen
Vasallen: es gelang ihm, die gesammte Gewalt aufzulösen
die derselbe besaß; allein das war doch hinwiederum vor
allem der Vortheil der Fürsten zweiten Ranges, mit deren
Unterstützung er das bewirkte, die er dafür aus den Spo-
lien seines Nebenbuhlers groß machte; und der Vortheil
den das Papstthum nun einmal erfochten, war nicht wie-
der auszugleichen. Die venezianische Zusammenkunft Frie-
drichs I und Alexanders III hat meines Erachtens bei wei-
tem mehr zu bedeuten als die Scene von Canossa. In Ca-
nossa suchte ein junger leidenschaftlicher Fürst die ihm auf-
gelegte Buße nur rasch abzumachen; in Venedig war es ein
gereifter Mann, der Ideen aufgab die er ein Vierteljahr-
hundert mit allen Kräften verfolgt hatte: jetzt aber mußte
er bekennen, in seiner Behandlung der Kirche habe er mehr
der Gewalt nachgetrachtet als der Gerechtigkeit. 1 Von
Canossa gieng der eigentliche Kampf erst aus; in Venedig

1 Dum in facto ecclesiae potius virtutem potentiae quam
rationem justitiae volumus exercere, constat nos in errorem
merito devenisse. Oratio Imperatoris in conventu Veneto. Mo-
num. IV,
154.

Einleitung.
Der Anſpruch dieſes Fürſten auf eine kleine norddeutſche
Stadt, auf Goßlar am Harz, den der Kaiſer nicht aner-
kennen wollte, entſchied in den italieniſchen, den allgemei-
nen Verhältniſſen der abendländiſchen Chriſtenheit. Dann
blieb dem Kaiſer die gewohnte Unterſtützung aus: dann
ward er im Felde geſchlagen: dann mußte er einem gelei-
ſteten Eide zum Trotz den Papſt anerkennen, den er ver-
worfen hatte.

Und nun wandte er ſich zwar wider den empöreriſchen
Vaſallen: es gelang ihm, die geſammte Gewalt aufzulöſen
die derſelbe beſaß; allein das war doch hinwiederum vor
allem der Vortheil der Fürſten zweiten Ranges, mit deren
Unterſtützung er das bewirkte, die er dafür aus den Spo-
lien ſeines Nebenbuhlers groß machte; und der Vortheil
den das Papſtthum nun einmal erfochten, war nicht wie-
der auszugleichen. Die venezianiſche Zuſammenkunft Frie-
drichs I und Alexanders III hat meines Erachtens beï wei-
tem mehr zu bedeuten als die Scene von Canoſſa. In Ca-
noſſa ſuchte ein junger leidenſchaftlicher Fürſt die ihm auf-
gelegte Buße nur raſch abzumachen; in Venedig war es ein
gereifter Mann, der Ideen aufgab die er ein Vierteljahr-
hundert mit allen Kräften verfolgt hatte: jetzt aber mußte
er bekennen, in ſeiner Behandlung der Kirche habe er mehr
der Gewalt nachgetrachtet als der Gerechtigkeit. 1 Von
Canoſſa gieng der eigentliche Kampf erſt aus; in Venedig

1 Dum in facto ecclesiae potius virtutem potentiae quam
rationem justitiae volumus exercere, constat nos in errorem
merito devenisse. Oratio Imperatoris in conventu Veneto. Mo-
num. IV,
154.
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[38/0056] Einleitung. Der Anſpruch dieſes Fürſten auf eine kleine norddeutſche Stadt, auf Goßlar am Harz, den der Kaiſer nicht aner- kennen wollte, entſchied in den italieniſchen, den allgemei- nen Verhältniſſen der abendländiſchen Chriſtenheit. Dann blieb dem Kaiſer die gewohnte Unterſtützung aus: dann ward er im Felde geſchlagen: dann mußte er einem gelei- ſteten Eide zum Trotz den Papſt anerkennen, den er ver- worfen hatte. Und nun wandte er ſich zwar wider den empöreriſchen Vaſallen: es gelang ihm, die geſammte Gewalt aufzulöſen die derſelbe beſaß; allein das war doch hinwiederum vor allem der Vortheil der Fürſten zweiten Ranges, mit deren Unterſtützung er das bewirkte, die er dafür aus den Spo- lien ſeines Nebenbuhlers groß machte; und der Vortheil den das Papſtthum nun einmal erfochten, war nicht wie- der auszugleichen. Die venezianiſche Zuſammenkunft Frie- drichs I und Alexanders III hat meines Erachtens beï wei- tem mehr zu bedeuten als die Scene von Canoſſa. In Ca- noſſa ſuchte ein junger leidenſchaftlicher Fürſt die ihm auf- gelegte Buße nur raſch abzumachen; in Venedig war es ein gereifter Mann, der Ideen aufgab die er ein Vierteljahr- hundert mit allen Kräften verfolgt hatte: jetzt aber mußte er bekennen, in ſeiner Behandlung der Kirche habe er mehr der Gewalt nachgetrachtet als der Gerechtigkeit. 1 Von Canoſſa gieng der eigentliche Kampf erſt aus; in Venedig 1 Dum in facto ecclesiae potius virtutem potentiae quam rationem justitiae volumus exercere, constat nos in errorem merito devenisse. Oratio Imperatoris in conventu Veneto. Mo- num. IV, 154.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/56>, abgerufen am 21.11.2024.