Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.Lage der Dinge um die Mitte des 15 Jahrh. mittelbarem Widerspruch mit der kaiserlichen Gewalt nahmes Brabant und Holland an sich; dann erwarb Philipp der Gute Luxenburg; er setzte seinen natürlichen Sohn in Utrecht, seinen Neffen in Lüttich auf den bischöflichen Stuhl; hierauf gab eine unglückliche Fehde zwischen Vater und Sohn Carl dem Kühnen Gelegenheit, sich Gelderns zu be- mächtigen. Es bildete sich eine Macht aus wie sie seit der Zeit der großen Herzogthümer nicht bestanden, in ei- ner dem Reiche natürlich entgegengesetzten Richtung; die nun der ungestüme Carl auf der einen Seite nach Fries- land, auf der andern den Rhein aufwärts zu erweitern trachtete. Als er endlich in das Erzstift Cölln einfiel und Neuß belagerte, setzte man sich ihm einmal entgegen, aber nicht in Folge eines gleichmäßigen Anschlags, einer geord- neten Rüstung, sondern nur in Folge eines Aufgebotes im Angesicht der dringenden Gefahr, und ohne daß man den günstigen Augenblick benutzt hätte, ihn entschieden in seine Grenzen zurückzuweisen. Als er gleich darauf Lothringen Elsaß und die Schweiz angriff, überließ man diesen Län- dern, sich selbst zu vertheidigen. -- Indessen hatte sich Ita- lien factisch vollkommen losgemacht; wollte der Kaiser ge- krönt seyn, so mußte er ohne Waffen wie ein Reisender anlangen; nur in Begnadigungen durfte seine ideale Macht sich äußern. Der König von Böhmen, der auch die Lau- sitzen und Schlesien und eine ausgebreitete Lehnsherrlich- keit im Reiche besaß, wollte doch nur noch von Rechten die er auszuüben, nicht von Pflichten hören, die er zu er- füllen habe. Das Leben der Nation müßte bereits erstorben ge- Lage der Dinge um die Mitte des 15 Jahrh. mittelbarem Widerſpruch mit der kaiſerlichen Gewalt nahmes Brabant und Holland an ſich; dann erwarb Philipp der Gute Luxenburg; er ſetzte ſeinen natürlichen Sohn in Utrecht, ſeinen Neffen in Lüttich auf den biſchöflichen Stuhl; hierauf gab eine unglückliche Fehde zwiſchen Vater und Sohn Carl dem Kühnen Gelegenheit, ſich Gelderns zu be- mächtigen. Es bildete ſich eine Macht aus wie ſie ſeit der Zeit der großen Herzogthümer nicht beſtanden, in ei- ner dem Reiche natürlich entgegengeſetzten Richtung; die nun der ungeſtüme Carl auf der einen Seite nach Fries- land, auf der andern den Rhein aufwärts zu erweitern trachtete. Als er endlich in das Erzſtift Cölln einfiel und Neuß belagerte, ſetzte man ſich ihm einmal entgegen, aber nicht in Folge eines gleichmäßigen Anſchlags, einer geord- neten Rüſtung, ſondern nur in Folge eines Aufgebotes im Angeſicht der dringenden Gefahr, und ohne daß man den günſtigen Augenblick benutzt hätte, ihn entſchieden in ſeine Grenzen zurückzuweiſen. Als er gleich darauf Lothringen Elſaß und die Schweiz angriff, überließ man dieſen Län- dern, ſich ſelbſt zu vertheidigen. — Indeſſen hatte ſich Ita- lien factiſch vollkommen losgemacht; wollte der Kaiſer ge- krönt ſeyn, ſo mußte er ohne Waffen wie ein Reiſender anlangen; nur in Begnadigungen durfte ſeine ideale Macht ſich äußern. Der König von Böhmen, der auch die Lau- ſitzen und Schleſien und eine ausgebreitete Lehnsherrlich- keit im Reiche beſaß, wollte doch nur noch von Rechten die er auszuüben, nicht von Pflichten hören, die er zu er- füllen habe. Das Leben der Nation müßte bereits erſtorben ge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0095" n="77"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Lage der Dinge um die Mitte des 15 Jahrh</hi>.</fw><lb/> mittelbarem Widerſpruch mit der kaiſerlichen Gewalt nahm<lb/> es Brabant und Holland an ſich; dann erwarb Philipp<lb/> der Gute Luxenburg; er ſetzte ſeinen natürlichen Sohn in<lb/> Utrecht, ſeinen Neffen in Lüttich auf den biſchöflichen Stuhl;<lb/> hierauf gab eine unglückliche Fehde zwiſchen Vater und<lb/> Sohn Carl dem Kühnen Gelegenheit, ſich Gelderns zu be-<lb/> mächtigen. Es bildete ſich eine Macht aus wie ſie ſeit<lb/> der Zeit der großen Herzogthümer nicht beſtanden, in ei-<lb/> ner dem Reiche natürlich entgegengeſetzten Richtung; die<lb/> nun der ungeſtüme Carl auf der einen Seite nach Fries-<lb/> land, auf der andern den Rhein aufwärts zu erweitern<lb/> trachtete. 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Lage der Dinge um die Mitte des 15 Jahrh.
mittelbarem Widerſpruch mit der kaiſerlichen Gewalt nahm
es Brabant und Holland an ſich; dann erwarb Philipp
der Gute Luxenburg; er ſetzte ſeinen natürlichen Sohn in
Utrecht, ſeinen Neffen in Lüttich auf den biſchöflichen Stuhl;
hierauf gab eine unglückliche Fehde zwiſchen Vater und
Sohn Carl dem Kühnen Gelegenheit, ſich Gelderns zu be-
mächtigen. Es bildete ſich eine Macht aus wie ſie ſeit
der Zeit der großen Herzogthümer nicht beſtanden, in ei-
ner dem Reiche natürlich entgegengeſetzten Richtung; die
nun der ungeſtüme Carl auf der einen Seite nach Fries-
land, auf der andern den Rhein aufwärts zu erweitern
trachtete. Als er endlich in das Erzſtift Cölln einfiel und
Neuß belagerte, ſetzte man ſich ihm einmal entgegen, aber
nicht in Folge eines gleichmäßigen Anſchlags, einer geord-
neten Rüſtung, ſondern nur in Folge eines Aufgebotes im
Angeſicht der dringenden Gefahr, und ohne daß man den
günſtigen Augenblick benutzt hätte, ihn entſchieden in ſeine
Grenzen zurückzuweiſen. Als er gleich darauf Lothringen
Elſaß und die Schweiz angriff, überließ man dieſen Län-
dern, ſich ſelbſt zu vertheidigen. — Indeſſen hatte ſich Ita-
lien factiſch vollkommen losgemacht; wollte der Kaiſer ge-
krönt ſeyn, ſo mußte er ohne Waffen wie ein Reiſender
anlangen; nur in Begnadigungen durfte ſeine ideale Macht
ſich äußern. Der König von Böhmen, der auch die Lau-
ſitzen und Schleſien und eine ausgebreitete Lehnsherrlich-
keit im Reiche beſaß, wollte doch nur noch von Rechten
die er auszuüben, nicht von Pflichten hören, die er zu er-
füllen habe.
Das Leben der Nation müßte bereits erſtorben ge-
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