Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Viertes Buch. Erstes Capitel.
schien auch die Besatzung von Pavia im Rücken der Wei-
chenden: eine allgemeine Flucht erfolgte.

Noch immer tummelte der tapfere König, obwohl auch
um ihn her die Hakenschützen gewaltig wirkten, sein Streitroß
auf dem rechten Flügel, als er um sich sah, und seine Leute
in voller Flucht erblickte. "Mein Gott, was ist das," rief
er aus: er dachte wenigstens die Schweizer zum Stehen
zu bringen und eilte ihnen nach. Allein wie war das bei
der nunmehr entschiedenen Uberlegenheit des Feindes so
ganz unmöglich. Auch er ward vielmehr in die rückgän-
gige Bewegung fortgezogen. Er trug eine Stickerei an sei-
nem Ärmel, die ihm in guten Tagen in Frankreich, die
Dame die er liebte, gegeben, der er dagegen gelobt hatte,
unter keinen Umständen vor dem Feind zurückzuweichen. 1
Ritterlich gesinnt, wie er war, wich er wenigstens so lang-
sam wie möglich, nicht ohne sich unaufhörlich noch zur
Wehr zu setzen: da erreichten ihn die nacheilenden Deut-
schen. Nicolaus von Salm erstach ihm das Pferd unter
dem Leibe: der König stürzte und mußte sich ergeben. In
diesem Moment kam der Vicekönig herbei, der ihn erkannte,
ihm ehrfurchtsvoll die Hand reichte, und ihn als Gefan-
genen annahm.

Binnen anderthalb Stunden war das prächtigste Heer
das man sehen konnte vernichtet; man rechnet 10,000
die geblieben oder auf der Flucht im Tessin ertrunken wa-
ren: viele Schweizer darunter, deren alter Ruhm von den
burgundischen Kriegen her nunmehr zu Grunde gieng: die

1 L'heureux present, par lequel te promys
point ne fuir devant mes ennemys. Epitre du roi.

Viertes Buch. Erſtes Capitel.
ſchien auch die Beſatzung von Pavia im Rücken der Wei-
chenden: eine allgemeine Flucht erfolgte.

Noch immer tummelte der tapfere König, obwohl auch
um ihn her die Hakenſchützen gewaltig wirkten, ſein Streitroß
auf dem rechten Flügel, als er um ſich ſah, und ſeine Leute
in voller Flucht erblickte. „Mein Gott, was iſt das,“ rief
er aus: er dachte wenigſtens die Schweizer zum Stehen
zu bringen und eilte ihnen nach. Allein wie war das bei
der nunmehr entſchiedenen Uberlegenheit des Feindes ſo
ganz unmöglich. Auch er ward vielmehr in die rückgän-
gige Bewegung fortgezogen. Er trug eine Stickerei an ſei-
nem Ärmel, die ihm in guten Tagen in Frankreich, die
Dame die er liebte, gegeben, der er dagegen gelobt hatte,
unter keinen Umſtänden vor dem Feind zurückzuweichen. 1
Ritterlich geſinnt, wie er war, wich er wenigſtens ſo lang-
ſam wie möglich, nicht ohne ſich unaufhörlich noch zur
Wehr zu ſetzen: da erreichten ihn die nacheilenden Deut-
ſchen. Nicolaus von Salm erſtach ihm das Pferd unter
dem Leibe: der König ſtürzte und mußte ſich ergeben. In
dieſem Moment kam der Vicekönig herbei, der ihn erkannte,
ihm ehrfurchtsvoll die Hand reichte, und ihn als Gefan-
genen annahm.

Binnen anderthalb Stunden war das prächtigſte Heer
das man ſehen konnte vernichtet; man rechnet 10,000
die geblieben oder auf der Flucht im Teſſin ertrunken wa-
ren: viele Schweizer darunter, deren alter Ruhm von den
burgundiſchen Kriegen her nunmehr zu Grunde gieng: die

1 L’heureux present, par lequel te promys
point ne fuir devant mes ennemys. Epitre du roi.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0324" n="314"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Viertes Buch. Er&#x017F;tes Capitel</hi>.</fw><lb/>
&#x017F;chien auch die Be&#x017F;atzung von Pavia im Rücken der Wei-<lb/>
chenden: eine allgemeine Flucht erfolgte.</p><lb/>
            <p>Noch immer tummelte der tapfere König, obwohl auch<lb/>
um ihn her die Haken&#x017F;chützen gewaltig wirkten, &#x017F;ein Streitroß<lb/>
auf dem rechten Flügel, als er um &#x017F;ich &#x017F;ah, und &#x017F;eine Leute<lb/>
in voller Flucht erblickte. &#x201E;Mein Gott, was i&#x017F;t das,&#x201C; rief<lb/>
er aus: er dachte wenig&#x017F;tens die Schweizer zum Stehen<lb/>
zu bringen und eilte ihnen nach. Allein wie war das bei<lb/>
der nunmehr ent&#x017F;chiedenen Uberlegenheit des Feindes &#x017F;o<lb/>
ganz unmöglich. Auch er ward vielmehr in die rückgän-<lb/>
gige Bewegung fortgezogen. Er trug eine Stickerei an &#x017F;ei-<lb/>
nem Ärmel, die ihm in guten Tagen in Frankreich, die<lb/>
Dame die er liebte, gegeben, der er dagegen gelobt hatte,<lb/>
unter keinen Um&#x017F;tänden vor dem Feind zurückzuweichen. <note place="foot" n="1"><hi rendition="#aq">L&#x2019;heureux present, par lequel te promys<lb/>
point ne fuir devant mes ennemys. Epitre du roi.</hi></note><lb/>
Ritterlich ge&#x017F;innt, wie er war, wich er wenig&#x017F;tens &#x017F;o lang-<lb/>
&#x017F;am wie möglich, nicht ohne &#x017F;ich unaufhörlich noch zur<lb/>
Wehr zu &#x017F;etzen: da erreichten ihn die nacheilenden Deut-<lb/>
&#x017F;chen. Nicolaus von Salm er&#x017F;tach ihm das Pferd unter<lb/>
dem Leibe: der König &#x017F;türzte und mußte &#x017F;ich ergeben. In<lb/>
die&#x017F;em Moment kam der Vicekönig herbei, der ihn erkannte,<lb/>
ihm ehrfurchtsvoll die Hand reichte, und ihn als Gefan-<lb/>
genen annahm.</p><lb/>
            <p>Binnen anderthalb Stunden war das prächtig&#x017F;te Heer<lb/>
das man &#x017F;ehen konnte vernichtet; man rechnet 10,000<lb/>
die geblieben oder auf der Flucht im Te&#x017F;&#x017F;in ertrunken wa-<lb/>
ren: viele Schweizer darunter, deren alter Ruhm von den<lb/>
burgundi&#x017F;chen Kriegen her nunmehr zu Grunde gieng: die<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[314/0324] Viertes Buch. Erſtes Capitel. ſchien auch die Beſatzung von Pavia im Rücken der Wei- chenden: eine allgemeine Flucht erfolgte. Noch immer tummelte der tapfere König, obwohl auch um ihn her die Hakenſchützen gewaltig wirkten, ſein Streitroß auf dem rechten Flügel, als er um ſich ſah, und ſeine Leute in voller Flucht erblickte. „Mein Gott, was iſt das,“ rief er aus: er dachte wenigſtens die Schweizer zum Stehen zu bringen und eilte ihnen nach. Allein wie war das bei der nunmehr entſchiedenen Uberlegenheit des Feindes ſo ganz unmöglich. Auch er ward vielmehr in die rückgän- gige Bewegung fortgezogen. Er trug eine Stickerei an ſei- nem Ärmel, die ihm in guten Tagen in Frankreich, die Dame die er liebte, gegeben, der er dagegen gelobt hatte, unter keinen Umſtänden vor dem Feind zurückzuweichen. 1 Ritterlich geſinnt, wie er war, wich er wenigſtens ſo lang- ſam wie möglich, nicht ohne ſich unaufhörlich noch zur Wehr zu ſetzen: da erreichten ihn die nacheilenden Deut- ſchen. Nicolaus von Salm erſtach ihm das Pferd unter dem Leibe: der König ſtürzte und mußte ſich ergeben. In dieſem Moment kam der Vicekönig herbei, der ihn erkannte, ihm ehrfurchtsvoll die Hand reichte, und ihn als Gefan- genen annahm. Binnen anderthalb Stunden war das prächtigſte Heer das man ſehen konnte vernichtet; man rechnet 10,000 die geblieben oder auf der Flucht im Teſſin ertrunken wa- ren: viele Schweizer darunter, deren alter Ruhm von den burgundiſchen Kriegen her nunmehr zu Grunde gieng: die 1 L’heureux present, par lequel te promys point ne fuir devant mes ennemys. Epitre du roi.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/324
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/324>, abgerufen am 20.05.2024.