Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Viertes Buch. Zweites Capitel.
wollte die Fasten, den Beichtzwang ermäßigen, die Privat-
messe abstellen, bei Taufe und Abendmahl lateinische und
deutsche Sprache vereinigen; zwar von den übrigen Sacra-
menten nicht abstehen, aber sie umsonst geben. In Hin-
sicht der Predigt ward die Formel von 1523 wiederholt,
Gottes Wort solle nach rechtem wahren Verstand, nach
Auslegung der von der christlichen Kirche angenommenen
Lehrer gepredigt werden, jedoch mit dem Zusatz, der noch
eine stärkere Hinneigung zur Reform und dem Sinne Lu-
thers ausspricht: Schrift müsse man immer mit Schrift
erklären. 1

Zu diesem Vorschlag vereinigte sich eine aus geistli-
chen und weltlichen Mitgliedern gleichmäßig zusammenge-
setzte Commission. Man sieht, wenn früher das Regiment
eine der Reform günstige Haltung genommen, so war es
nicht Willkühr gewesen: die Nothwendigkeit dieser Schritte
entsprang aus der Lage der Dinge und dem Inhalt der all-
gemeinen Überzeugung, der sich kein Mensch entziehen kann.

Nach so vielen Fehlgriffen und Erschütterungen zeigte
sich der Nation noch einmal die Möglichkeit, in der wich-
tigsten Angelegenheit, welche die menschliche Seele beschäf-
tigen kann, ihre Einheit zu bewahren.

Am 1sten August ward ein Ausschuß aus allen Stän-
den niedergesetzt, um nun diesen Entwurf in definitive Be-
rathung zu ziehen. Eine Berathung, die von dem größten

ments unter einer oder beiderlei Gestalten eines Jeden Gewissen und
freiem Willen heimgesetzt wurde, -- daß mitlerzeit gegen den eheli-
chen Priestern von keyner Uberkeyt geistlichs oder weltlichs Standes
etwas Streflichs werd fürgenommen.
1 Rathschlag der Acht Verordneten im Dresdner Archiv.

Viertes Buch. Zweites Capitel.
wollte die Faſten, den Beichtzwang ermäßigen, die Privat-
meſſe abſtellen, bei Taufe und Abendmahl lateiniſche und
deutſche Sprache vereinigen; zwar von den übrigen Sacra-
menten nicht abſtehen, aber ſie umſonſt geben. In Hin-
ſicht der Predigt ward die Formel von 1523 wiederholt,
Gottes Wort ſolle nach rechtem wahren Verſtand, nach
Auslegung der von der chriſtlichen Kirche angenommenen
Lehrer gepredigt werden, jedoch mit dem Zuſatz, der noch
eine ſtärkere Hinneigung zur Reform und dem Sinne Lu-
thers ausſpricht: Schrift müſſe man immer mit Schrift
erklären. 1

Zu dieſem Vorſchlag vereinigte ſich eine aus geiſtli-
chen und weltlichen Mitgliedern gleichmäßig zuſammenge-
ſetzte Commiſſion. Man ſieht, wenn früher das Regiment
eine der Reform günſtige Haltung genommen, ſo war es
nicht Willkühr geweſen: die Nothwendigkeit dieſer Schritte
entſprang aus der Lage der Dinge und dem Inhalt der all-
gemeinen Überzeugung, der ſich kein Menſch entziehen kann.

Nach ſo vielen Fehlgriffen und Erſchütterungen zeigte
ſich der Nation noch einmal die Möglichkeit, in der wich-
tigſten Angelegenheit, welche die menſchliche Seele beſchäf-
tigen kann, ihre Einheit zu bewahren.

Am 1ſten Auguſt ward ein Ausſchuß aus allen Stän-
den niedergeſetzt, um nun dieſen Entwurf in definitive Be-
rathung zu ziehen. Eine Berathung, die von dem größten

ments unter einer oder beiderlei Geſtalten eines Jeden Gewiſſen und
freiem Willen heimgeſetzt wurde, — daß mitlerzeit gegen den eheli-
chen Prieſtern von keyner Uberkeyt geiſtlichs oder weltlichs Standes
etwas Streflichs werd fuͤrgenommen.
1 Rathſchlag der Acht Verordneten im Dresdner Archiv.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0370" n="360"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Viertes Buch. Zweites Capitel</hi>.</fw><lb/>
wollte die Fa&#x017F;ten, den Beichtzwang ermäßigen, die Privat-<lb/>
me&#x017F;&#x017F;e ab&#x017F;tellen, bei Taufe und Abendmahl lateini&#x017F;che und<lb/>
deut&#x017F;che Sprache vereinigen; zwar von den übrigen Sacra-<lb/>
menten nicht ab&#x017F;tehen, aber &#x017F;ie um&#x017F;on&#x017F;t geben. In Hin-<lb/>
&#x017F;icht der Predigt ward die Formel von 1523 wiederholt,<lb/>
Gottes Wort &#x017F;olle nach rechtem wahren Ver&#x017F;tand, nach<lb/>
Auslegung der von der chri&#x017F;tlichen Kirche angenommenen<lb/>
Lehrer gepredigt werden, jedoch mit dem Zu&#x017F;atz, der noch<lb/>
eine &#x017F;tärkere Hinneigung zur Reform und dem Sinne Lu-<lb/>
thers aus&#x017F;pricht: Schrift mü&#x017F;&#x017F;e man immer mit Schrift<lb/>
erklären. <note place="foot" n="1">Rath&#x017F;chlag der Acht Verordneten im Dresdner Archiv.</note></p><lb/>
          <p>Zu die&#x017F;em Vor&#x017F;chlag vereinigte &#x017F;ich eine aus gei&#x017F;tli-<lb/>
chen und weltlichen Mitgliedern gleichmäßig zu&#x017F;ammenge-<lb/>
&#x017F;etzte Commi&#x017F;&#x017F;ion. Man &#x017F;ieht, wenn früher das Regiment<lb/>
eine der Reform gün&#x017F;tige Haltung genommen, &#x017F;o war es<lb/>
nicht Willkühr gewe&#x017F;en: die Nothwendigkeit die&#x017F;er Schritte<lb/>
ent&#x017F;prang aus der Lage der Dinge und dem Inhalt der all-<lb/>
gemeinen Überzeugung, der &#x017F;ich kein Men&#x017F;ch entziehen kann.</p><lb/>
          <p>Nach &#x017F;o vielen Fehlgriffen und Er&#x017F;chütterungen zeigte<lb/>
&#x017F;ich der Nation noch einmal die Möglichkeit, in der wich-<lb/>
tig&#x017F;ten Angelegenheit, welche die men&#x017F;chliche Seele be&#x017F;chäf-<lb/>
tigen kann, ihre Einheit zu bewahren.</p><lb/>
          <p>Am 1&#x017F;ten Augu&#x017F;t ward ein Aus&#x017F;chuß aus allen Stän-<lb/>
den niederge&#x017F;etzt, um nun die&#x017F;en Entwurf in definitive Be-<lb/>
rathung zu ziehen. Eine Berathung, die von dem größten<lb/><note xml:id="seg2pn_35_2" prev="#seg2pn_35_1" place="foot" n="1">ments unter einer oder beiderlei Ge&#x017F;talten eines Jeden Gewi&#x017F;&#x017F;en und<lb/>
freiem Willen heimge&#x017F;etzt wurde, &#x2014; daß mitlerzeit gegen den eheli-<lb/>
chen Prie&#x017F;tern von keyner Uberkeyt gei&#x017F;tlichs oder weltlichs Standes<lb/>
etwas Streflichs werd fu&#x0364;rgenommen.</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[360/0370] Viertes Buch. Zweites Capitel. wollte die Faſten, den Beichtzwang ermäßigen, die Privat- meſſe abſtellen, bei Taufe und Abendmahl lateiniſche und deutſche Sprache vereinigen; zwar von den übrigen Sacra- menten nicht abſtehen, aber ſie umſonſt geben. In Hin- ſicht der Predigt ward die Formel von 1523 wiederholt, Gottes Wort ſolle nach rechtem wahren Verſtand, nach Auslegung der von der chriſtlichen Kirche angenommenen Lehrer gepredigt werden, jedoch mit dem Zuſatz, der noch eine ſtärkere Hinneigung zur Reform und dem Sinne Lu- thers ausſpricht: Schrift müſſe man immer mit Schrift erklären. 1 Zu dieſem Vorſchlag vereinigte ſich eine aus geiſtli- chen und weltlichen Mitgliedern gleichmäßig zuſammenge- ſetzte Commiſſion. Man ſieht, wenn früher das Regiment eine der Reform günſtige Haltung genommen, ſo war es nicht Willkühr geweſen: die Nothwendigkeit dieſer Schritte entſprang aus der Lage der Dinge und dem Inhalt der all- gemeinen Überzeugung, der ſich kein Menſch entziehen kann. Nach ſo vielen Fehlgriffen und Erſchütterungen zeigte ſich der Nation noch einmal die Möglichkeit, in der wich- tigſten Angelegenheit, welche die menſchliche Seele beſchäf- tigen kann, ihre Einheit zu bewahren. Am 1ſten Auguſt ward ein Ausſchuß aus allen Stän- den niedergeſetzt, um nun dieſen Entwurf in definitive Be- rathung zu ziehen. Eine Berathung, die von dem größten 1 1 Rathſchlag der Acht Verordneten im Dresdner Archiv. 1 ments unter einer oder beiderlei Geſtalten eines Jeden Gewiſſen und freiem Willen heimgeſetzt wurde, — daß mitlerzeit gegen den eheli- chen Prieſtern von keyner Uberkeyt geiſtlichs oder weltlichs Standes etwas Streflichs werd fuͤrgenommen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/370
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/370>, abgerufen am 20.05.2024.