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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Viertes Buch. Zweites Capitel.

Es ist ein Moment in welchem alle allgemeinen und
deutschen Verhältnisse zusammengreifen, in welchem die frü-
here und die spätere deutsche Geschichte sich von einander
trennen, -- obwohl er äußerlich nicht bedeutend erschien, --
daß Erzherzog Ferdinand das Gutachten des Ausschusses an-
nahm, die Sendung der Botschaft billigte, die für sie ent-
worfene Instruction guthieß. In dem Reichsabschied setzte
man fest, bis zu der allgemeinen oder nationalen Kirchen-
versammlung, um welche man bitte, werde jeder Stand, in
Sachen die das Wormser Edict betreffe, "so leben, regie-
ren und es halten, wie er es gegen Gott und Kaiserliche
Maj. zu verantworten sich getraue." 1

Man verzeihe die Wiederholung dieser Worte, weil
sie so unendlich wichtig geworden sind. Sie enthalten die
gesetzliche Grundlage der Ausbildung der deutschen Landes-
kirchen; zugleich aber involviren sie, obwohl sie noch die
Möglichkeit dereinstiger Wiedervereinigung offen lassen, die
Trennung der Nation in religiöser Hinsicht. Es sind die
für die deutschen Geschicke entscheidenden Worte. Der Ka-
tholicismus würde sich nicht haben behaupten lassen, wenn
das Wormser Edict förmlich wäre zurückgenommen wor-

1 Demnach haben wir (die Commissarien) auch Churfürsten
Fürsten und Stände des Reichs und derselben Bottschafter uns jetzo
allhie auf diesem Reichstag einmüthiglich verglichen und vereiniget,
mittler Zeit des Concilii oder aber Nationalversammlung nichts desto
minder (d. i. ohne die Rückkunft der Gesandtschaft zu erwarten) mit
unsern Unterthanen ein jeglicher in Sachen so das Edict, durch Kais.
Mt auf dem Reichstag zu Worms gehalten ausgangen, belangen
möchten, für sich also zu leben, zu regieren und zu halten, wie ein
jeder solches gegen Gott und Kais. Mt hoffet und vertrauet zu ver-
antworten. (N. Samml. d. Reichsabsch. II, 274.)
Viertes Buch. Zweites Capitel.

Es iſt ein Moment in welchem alle allgemeinen und
deutſchen Verhältniſſe zuſammengreifen, in welchem die frü-
here und die ſpätere deutſche Geſchichte ſich von einander
trennen, — obwohl er äußerlich nicht bedeutend erſchien, —
daß Erzherzog Ferdinand das Gutachten des Ausſchuſſes an-
nahm, die Sendung der Botſchaft billigte, die für ſie ent-
worfene Inſtruction guthieß. In dem Reichsabſchied ſetzte
man feſt, bis zu der allgemeinen oder nationalen Kirchen-
verſammlung, um welche man bitte, werde jeder Stand, in
Sachen die das Wormſer Edict betreffe, „ſo leben, regie-
ren und es halten, wie er es gegen Gott und Kaiſerliche
Maj. zu verantworten ſich getraue.“ 1

Man verzeihe die Wiederholung dieſer Worte, weil
ſie ſo unendlich wichtig geworden ſind. Sie enthalten die
geſetzliche Grundlage der Ausbildung der deutſchen Landes-
kirchen; zugleich aber involviren ſie, obwohl ſie noch die
Möglichkeit dereinſtiger Wiedervereinigung offen laſſen, die
Trennung der Nation in religiöſer Hinſicht. Es ſind die
für die deutſchen Geſchicke entſcheidenden Worte. Der Ka-
tholicismus würde ſich nicht haben behaupten laſſen, wenn
das Wormſer Edict förmlich wäre zurückgenommen wor-

1 Demnach haben wir (die Commiſſarien) auch Churfuͤrſten
Fuͤrſten und Staͤnde des Reichs und derſelben Bottſchafter uns jetzo
allhie auf dieſem Reichstag einmuͤthiglich verglichen und vereiniget,
mittler Zeit des Concilii oder aber Nationalverſammlung nichts deſto
minder (d. i. ohne die Ruͤckkunft der Geſandtſchaft zu erwarten) mit
unſern Unterthanen ein jeglicher in Sachen ſo das Edict, durch Kaiſ.
Mt auf dem Reichstag zu Worms gehalten ausgangen, belangen
moͤchten, fuͤr ſich alſo zu leben, zu regieren und zu halten, wie ein
jeder ſolches gegen Gott und Kaiſ. Mt hoffet und vertrauet zu ver-
antworten. (N. Samml. d. Reichsabſch. II, 274.)
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[370/0380] Viertes Buch. Zweites Capitel. Es iſt ein Moment in welchem alle allgemeinen und deutſchen Verhältniſſe zuſammengreifen, in welchem die frü- here und die ſpätere deutſche Geſchichte ſich von einander trennen, — obwohl er äußerlich nicht bedeutend erſchien, — daß Erzherzog Ferdinand das Gutachten des Ausſchuſſes an- nahm, die Sendung der Botſchaft billigte, die für ſie ent- worfene Inſtruction guthieß. In dem Reichsabſchied ſetzte man feſt, bis zu der allgemeinen oder nationalen Kirchen- verſammlung, um welche man bitte, werde jeder Stand, in Sachen die das Wormſer Edict betreffe, „ſo leben, regie- ren und es halten, wie er es gegen Gott und Kaiſerliche Maj. zu verantworten ſich getraue.“ 1 Man verzeihe die Wiederholung dieſer Worte, weil ſie ſo unendlich wichtig geworden ſind. Sie enthalten die geſetzliche Grundlage der Ausbildung der deutſchen Landes- kirchen; zugleich aber involviren ſie, obwohl ſie noch die Möglichkeit dereinſtiger Wiedervereinigung offen laſſen, die Trennung der Nation in religiöſer Hinſicht. Es ſind die für die deutſchen Geſchicke entſcheidenden Worte. Der Ka- tholicismus würde ſich nicht haben behaupten laſſen, wenn das Wormſer Edict förmlich wäre zurückgenommen wor- 1 Demnach haben wir (die Commiſſarien) auch Churfuͤrſten Fuͤrſten und Staͤnde des Reichs und derſelben Bottſchafter uns jetzo allhie auf dieſem Reichstag einmuͤthiglich verglichen und vereiniget, mittler Zeit des Concilii oder aber Nationalverſammlung nichts deſto minder (d. i. ohne die Ruͤckkunft der Geſandtſchaft zu erwarten) mit unſern Unterthanen ein jeglicher in Sachen ſo das Edict, durch Kaiſ. Mt auf dem Reichstag zu Worms gehalten ausgangen, belangen moͤchten, fuͤr ſich alſo zu leben, zu regieren und zu halten, wie ein jeder ſolches gegen Gott und Kaiſ. Mt hoffet und vertrauet zu ver- antworten. (N. Samml. d. Reichsabſch. II, 274.)

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/380>, abgerufen am 27.11.2024.