Tod die Ausgaben der Küche nicht mehr bestreiten. Alles gerieth in den tiefsten Verfall. Jedes Reich, heißt es in den Satzungen von Tolna vom Jahr 1518, bedarf zu sei- ner Erhaltung zweierlei Mittel, Waffen und Gesetze: in unsrem ungrischen Reich haben wir weder das eine noch das andre. 1
Unter diesen Umständen fanden es allmählich auch die Jagellonen rathsam, sich wieder an die nächste und mäch- tigste deutsche Familie, an das Haus Östreich anzuschlie- ßen. Dem Kaiser Maximilian, der wie er sagt, "seine und der deutschen Nation Gerechtigkeit" an Ungern und Böhmen keinen Augenblick aus dem Gesicht verlor, ward es endlich im Jahr 1515 so wohl, beide Könige Sigis- mund und Wladislaw bei sich zu sehen und den engsten Erbvertrag mit ihnen zu schließen. Wladislaw verlobte seinen Sohn und seine Tochter mit einem Enkel und einer Enkelin des Kaisers: Sigismund versprach, sich mit Bona Sforza zu vermählen, die ebenfalls zur östreichischen Ver- wandtschaft gehörte. Das Jahr darauf starb Wladislaw: Ludwig II gelangte nun unter der gemeinschaftlichen Vor- mundschaft Maximilians und Sigismunds auf den Thron. Allmählig setzte sich am Hofe ein deutsches Element fest, besonders nachdem sich Ludwig im Jahr 1521 mit jener Enkelin Maximilians, Maria von Östreich wirklich vermählt hatte. Noch war aber alles in der größten Unordnung. Her- berstein kann nicht Worte genug finden, um den wettei- fernden Übermuth der Großen, der geistlichen wie der welt-
1Ex Ludovici II decretis Tolnensis conventus bei Katona: Hist. crit. Vngariae XIX, p. 89
Viertes Buch. Viertes Capitel.
Tod die Ausgaben der Küche nicht mehr beſtreiten. Alles gerieth in den tiefſten Verfall. Jedes Reich, heißt es in den Satzungen von Tolna vom Jahr 1518, bedarf zu ſei- ner Erhaltung zweierlei Mittel, Waffen und Geſetze: in unſrem ungriſchen Reich haben wir weder das eine noch das andre. 1
Unter dieſen Umſtänden fanden es allmählich auch die Jagellonen rathſam, ſich wieder an die nächſte und mäch- tigſte deutſche Familie, an das Haus Öſtreich anzuſchlie- ßen. Dem Kaiſer Maximilian, der wie er ſagt, „ſeine und der deutſchen Nation Gerechtigkeit“ an Ungern und Böhmen keinen Augenblick aus dem Geſicht verlor, ward es endlich im Jahr 1515 ſo wohl, beide Könige Sigis- mund und Wladislaw bei ſich zu ſehen und den engſten Erbvertrag mit ihnen zu ſchließen. Wladislaw verlobte ſeinen Sohn und ſeine Tochter mit einem Enkel und einer Enkelin des Kaiſers: Sigismund verſprach, ſich mit Bona Sforza zu vermählen, die ebenfalls zur öſtreichiſchen Ver- wandtſchaft gehörte. Das Jahr darauf ſtarb Wladislaw: Ludwig II gelangte nun unter der gemeinſchaftlichen Vor- mundſchaft Maximilians und Sigismunds auf den Thron. Allmählig ſetzte ſich am Hofe ein deutſches Element feſt, beſonders nachdem ſich Ludwig im Jahr 1521 mit jener Enkelin Maximilians, Maria von Öſtreich wirklich vermählt hatte. Noch war aber alles in der größten Unordnung. Her- berſtein kann nicht Worte genug finden, um den wettei- fernden Übermuth der Großen, der geiſtlichen wie der welt-
1Ex Ludovici II decretis Tolnensis conventus bei Katona: Hist. crit. Vngariae XIX, p. 89
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Viertes Buch. Viertes Capitel.
Tod die Ausgaben der Küche nicht mehr beſtreiten. Alles
gerieth in den tiefſten Verfall. Jedes Reich, heißt es in
den Satzungen von Tolna vom Jahr 1518, bedarf zu ſei-
ner Erhaltung zweierlei Mittel, Waffen und Geſetze: in
unſrem ungriſchen Reich haben wir weder das eine noch
das andre. 1
Unter dieſen Umſtänden fanden es allmählich auch die
Jagellonen rathſam, ſich wieder an die nächſte und mäch-
tigſte deutſche Familie, an das Haus Öſtreich anzuſchlie-
ßen. Dem Kaiſer Maximilian, der wie er ſagt, „ſeine
und der deutſchen Nation Gerechtigkeit“ an Ungern und
Böhmen keinen Augenblick aus dem Geſicht verlor, ward
es endlich im Jahr 1515 ſo wohl, beide Könige Sigis-
mund und Wladislaw bei ſich zu ſehen und den engſten
Erbvertrag mit ihnen zu ſchließen. Wladislaw verlobte
ſeinen Sohn und ſeine Tochter mit einem Enkel und einer
Enkelin des Kaiſers: Sigismund verſprach, ſich mit Bona
Sforza zu vermählen, die ebenfalls zur öſtreichiſchen Ver-
wandtſchaft gehörte. Das Jahr darauf ſtarb Wladislaw:
Ludwig II gelangte nun unter der gemeinſchaftlichen Vor-
mundſchaft Maximilians und Sigismunds auf den Thron.
Allmählig ſetzte ſich am Hofe ein deutſches Element feſt,
beſonders nachdem ſich Ludwig im Jahr 1521 mit jener
Enkelin Maximilians, Maria von Öſtreich wirklich vermählt
hatte. Noch war aber alles in der größten Unordnung. Her-
berſtein kann nicht Worte genug finden, um den wettei-
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1 Ex Ludovici II decretis Tolnensis conventus bei Katona:
Hist. crit. Vngariae XIX, p. 89
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/414>, abgerufen am 27.11.2024.
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