Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.Drittes Buch. Drittes Capitel. flüchtig geworden, sich hieher zurückzogen, wo ihnen keinegeistliche Gewalt zu nahe kommen konnte. Eberlin, Stie- fel, Strauß, Seehofer, Ibach aus Frankfurt, Bugenha- gen aus Pommern, Kauxdorf aus Magdeburg, Musteus aus Halberstadt, den man grausam verstümmelt hatte, 1 und wie viele andere aus allen Theilen von Deutschland sehen wir hier ankommen, eine Freistatt, vielleicht selbst auf ei- nige Zeit eine Anstellung finden, und dann durch den Um- gang mit Luther und Melanchthon in ihrer Überzeugung befestigt von hier wieder ausgehn. Wittenberg erschien als ein Mittelpunct der gesammten Bewegung. Dadurch ward es erst möglich, daß in den Tendenzen eine gewisse Einheit obwaltete, ein gemeinsamer Fortschritt darin zu bemerken ist; wir dürfen aber wohl hinzufügen, daß auch für die dor- tige Entwickelung der Zutritt der fremden Elemente von großem Werthe war. Namentlich erhielt die Universität den Character einer allgemein vaterländischen Vereinigung: ohne Zweifel der wahre Character einer großen deutschen hohen Schule: aus allen deutschen Landesarten kamen die Lehrer, die Zuhörer zusammen, wie sie von da wieder nach allen Seiten hin ausgiengen. Eine eben so wichtige Metropole bildete Wittenberg Erst mit diesen Bewegungen kam die deutsche popu- 1 Welche Greuel sind damals geschehen. Aliquot ministri
canonicorum capiunt D. Valentinum Mustaeum (er hatte mit Be- willigung des Bürgermeisters in der Neustadt das Evangelium ge- predigt) et vinctum manibus pedibusque injecto in ejus os freno deferunt per trabes in inferiores coenobii partes ibique in cella cerevisiaria eum castrant. (Hamelmann l. c. p. 880.) Drittes Buch. Drittes Capitel. flüchtig geworden, ſich hieher zurückzogen, wo ihnen keinegeiſtliche Gewalt zu nahe kommen konnte. Eberlin, Stie- fel, Strauß, Seehofer, Ibach aus Frankfurt, Bugenha- gen aus Pommern, Kauxdorf aus Magdeburg, Muſteus aus Halberſtadt, den man grauſam verſtümmelt hatte, 1 und wie viele andere aus allen Theilen von Deutſchland ſehen wir hier ankommen, eine Freiſtatt, vielleicht ſelbſt auf ei- nige Zeit eine Anſtellung finden, und dann durch den Um- gang mit Luther und Melanchthon in ihrer Überzeugung befeſtigt von hier wieder ausgehn. Wittenberg erſchien als ein Mittelpunct der geſammten Bewegung. Dadurch ward es erſt möglich, daß in den Tendenzen eine gewiſſe Einheit obwaltete, ein gemeinſamer Fortſchritt darin zu bemerken iſt; wir dürfen aber wohl hinzufügen, daß auch für die dor- tige Entwickelung der Zutritt der fremden Elemente von großem Werthe war. Namentlich erhielt die Univerſität den Character einer allgemein vaterländiſchen Vereinigung: ohne Zweifel der wahre Character einer großen deutſchen hohen Schule: aus allen deutſchen Landesarten kamen die Lehrer, die Zuhörer zuſammen, wie ſie von da wieder nach allen Seiten hin ausgiengen. Eine eben ſo wichtige Metropole bildete Wittenberg Erſt mit dieſen Bewegungen kam die deutſche popu- 1 Welche Greuel ſind damals geſchehen. Aliquot ministri
canonicorum capiunt D. Valentinum Mustaeum (er hatte mit Be- willigung des Buͤrgermeiſters in der Neuſtadt das Evangelium ge- predigt) et vinctum manibus pedibusque injecto in ejus os freno deferunt per trabes in inferiores coenobii partes ibique in cella cerevisiaria eum castrant. (Hamelmann l. c. p. 880.) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0088" n="78"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Drittes Buch. Drittes Capitel</hi>.</fw><lb/> flüchtig geworden, ſich hieher zurückzogen, wo ihnen keine<lb/> geiſtliche Gewalt zu nahe kommen konnte. Eberlin, Stie-<lb/> fel, Strauß, Seehofer, Ibach aus Frankfurt, Bugenha-<lb/> gen aus Pommern, Kauxdorf aus Magdeburg, Muſteus<lb/> aus Halberſtadt, den man grauſam verſtümmelt hatte, <note place="foot" n="1">Welche Greuel ſind damals geſchehen. <hi rendition="#aq">Aliquot ministri<lb/> canonicorum capiunt D. Valentinum Mustaeum</hi> (er hatte mit Be-<lb/> willigung des Buͤrgermeiſters in der Neuſtadt das Evangelium ge-<lb/> predigt) <hi rendition="#aq">et vinctum manibus pedibusque injecto in ejus os freno<lb/> deferunt per trabes in inferiores coenobii partes ibique in cella<lb/> cerevisiaria eum castrant. (Hamelmann l. c. p. 880.)</hi></note> und<lb/> wie viele andere aus allen Theilen von Deutſchland ſehen<lb/> wir hier ankommen, eine Freiſtatt, vielleicht ſelbſt auf ei-<lb/> nige Zeit eine Anſtellung finden, und dann durch den Um-<lb/> gang mit Luther und Melanchthon in ihrer Überzeugung<lb/> befeſtigt von hier wieder ausgehn. Wittenberg erſchien als<lb/> ein Mittelpunct der geſammten Bewegung. Dadurch ward<lb/> es erſt möglich, daß in den Tendenzen eine gewiſſe Einheit<lb/> obwaltete, ein gemeinſamer Fortſchritt darin zu bemerken iſt;<lb/> wir dürfen aber wohl hinzufügen, daß auch für die dor-<lb/> tige Entwickelung der Zutritt der fremden Elemente von<lb/> großem Werthe war. Namentlich erhielt die Univerſität<lb/> den Character einer allgemein vaterländiſchen Vereinigung:<lb/> ohne Zweifel der wahre Character einer großen deutſchen<lb/> hohen Schule: aus allen deutſchen Landesarten kamen die<lb/> Lehrer, die Zuhörer zuſammen, wie ſie von da wieder nach<lb/> allen Seiten hin ausgiengen.</p><lb/> <p>Eine eben ſo wichtige Metropole bildete Wittenberg<lb/> für die Literatur.</p><lb/> <p>Erſt mit dieſen Bewegungen kam die deutſche popu-<lb/> läre Literatur zu allgemeiner Aufnahme und Wirkſamkeit.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [78/0088]
Drittes Buch. Drittes Capitel.
flüchtig geworden, ſich hieher zurückzogen, wo ihnen keine
geiſtliche Gewalt zu nahe kommen konnte. Eberlin, Stie-
fel, Strauß, Seehofer, Ibach aus Frankfurt, Bugenha-
gen aus Pommern, Kauxdorf aus Magdeburg, Muſteus
aus Halberſtadt, den man grauſam verſtümmelt hatte, 1 und
wie viele andere aus allen Theilen von Deutſchland ſehen
wir hier ankommen, eine Freiſtatt, vielleicht ſelbſt auf ei-
nige Zeit eine Anſtellung finden, und dann durch den Um-
gang mit Luther und Melanchthon in ihrer Überzeugung
befeſtigt von hier wieder ausgehn. Wittenberg erſchien als
ein Mittelpunct der geſammten Bewegung. Dadurch ward
es erſt möglich, daß in den Tendenzen eine gewiſſe Einheit
obwaltete, ein gemeinſamer Fortſchritt darin zu bemerken iſt;
wir dürfen aber wohl hinzufügen, daß auch für die dor-
tige Entwickelung der Zutritt der fremden Elemente von
großem Werthe war. Namentlich erhielt die Univerſität
den Character einer allgemein vaterländiſchen Vereinigung:
ohne Zweifel der wahre Character einer großen deutſchen
hohen Schule: aus allen deutſchen Landesarten kamen die
Lehrer, die Zuhörer zuſammen, wie ſie von da wieder nach
allen Seiten hin ausgiengen.
Eine eben ſo wichtige Metropole bildete Wittenberg
für die Literatur.
Erſt mit dieſen Bewegungen kam die deutſche popu-
läre Literatur zu allgemeiner Aufnahme und Wirkſamkeit.
1 Welche Greuel ſind damals geſchehen. Aliquot ministri
canonicorum capiunt D. Valentinum Mustaeum (er hatte mit Be-
willigung des Buͤrgermeiſters in der Neuſtadt das Evangelium ge-
predigt) et vinctum manibus pedibusque injecto in ejus os freno
deferunt per trabes in inferiores coenobii partes ibique in cella
cerevisiaria eum castrant. (Hamelmann l. c. p. 880.)
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