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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Drittes Buch. Drittes Capitel.
gab der Literatur den Character den sie seitdem behalten,
der Forschung, des Tiefsinnes und des Krieges. Er be-
gann das große Gespräch das die seitdem verflossenen
Jahrhunderte daher auf dem deutschen Boden Statt ge-
funden hat, leider nur zu oft unterbrochen durch Gewalt-
thaten und Einwirkungen fremder Politik. Anfangs war
er allein: allmählig aber, besonders seit 1521 erscheinen
seine Jünger, Freunde und Nebenbuhler: im Jahre 1523
gehören außer seinen eignen noch 215 Schriften von An-
dern der Neuerung an, mehr als vier Fünftheile der gan-
zen Hervorbringung; entschieden katholische Schriften las-
sen sich wohl nur 20 zählen. Es war das erste Mal,
daß der nationale Geist, ohne Rücksicht auf fremde Mu-
ster, nur wie er sich unter den Einwirkungen der Welt-
schicksale gebildet, zu einem allgemeinen Ausdruck gelangte;
und zwar in der wichtigsten Angelegenheit die den Menschen
überhaupt beschäftigen kann; er durchdrang sich in seinem
Werden, dem Momente seiner Geburt, mit den Ideen der
religiösen Befreiung.

Ein großes Schicksal war es, daß der Nation in
diesem Augenblick des vollen geistigen Erwachens die hei-
ligen Schriften wie des neuen so nun auch des alten
Testamentes dargeboten wurden. Man kannte die Bi-
bel: vorlängst gab es Übersetzungen; man muß sich aber
einmal die Mühe nehmen sie anzusehn, um inne zu wer-
den, wie voller Irrthümer, roh im Ausdruck, und un-
verständlich sie sind. Luther dagegen ließ sich keine Mühe
dauern, den Sinn unverfälscht zu begreifen, und verstand
es, sie deutsch reden zu lassen: mit aller Reinheit und Ge-

walt

Drittes Buch. Drittes Capitel.
gab der Literatur den Character den ſie ſeitdem behalten,
der Forſchung, des Tiefſinnes und des Krieges. Er be-
gann das große Geſpräch das die ſeitdem verfloſſenen
Jahrhunderte daher auf dem deutſchen Boden Statt ge-
funden hat, leider nur zu oft unterbrochen durch Gewalt-
thaten und Einwirkungen fremder Politik. Anfangs war
er allein: allmählig aber, beſonders ſeit 1521 erſcheinen
ſeine Jünger, Freunde und Nebenbuhler: im Jahre 1523
gehören außer ſeinen eignen noch 215 Schriften von An-
dern der Neuerung an, mehr als vier Fünftheile der gan-
zen Hervorbringung; entſchieden katholiſche Schriften laſ-
ſen ſich wohl nur 20 zählen. Es war das erſte Mal,
daß der nationale Geiſt, ohne Rückſicht auf fremde Mu-
ſter, nur wie er ſich unter den Einwirkungen der Welt-
ſchickſale gebildet, zu einem allgemeinen Ausdruck gelangte;
und zwar in der wichtigſten Angelegenheit die den Menſchen
überhaupt beſchäftigen kann; er durchdrang ſich in ſeinem
Werden, dem Momente ſeiner Geburt, mit den Ideen der
religiöſen Befreiung.

Ein großes Schickſal war es, daß der Nation in
dieſem Augenblick des vollen geiſtigen Erwachens die hei-
ligen Schriften wie des neuen ſo nun auch des alten
Teſtamentes dargeboten wurden. Man kannte die Bi-
bel: vorlängſt gab es Überſetzungen; man muß ſich aber
einmal die Mühe nehmen ſie anzuſehn, um inne zu wer-
den, wie voller Irrthümer, roh im Ausdruck, und un-
verſtändlich ſie ſind. Luther dagegen ließ ſich keine Mühe
dauern, den Sinn unverfälſcht zu begreifen, und verſtand
es, ſie deutſch reden zu laſſen: mit aller Reinheit und Ge-

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[80/0090] Drittes Buch. Drittes Capitel. gab der Literatur den Character den ſie ſeitdem behalten, der Forſchung, des Tiefſinnes und des Krieges. Er be- gann das große Geſpräch das die ſeitdem verfloſſenen Jahrhunderte daher auf dem deutſchen Boden Statt ge- funden hat, leider nur zu oft unterbrochen durch Gewalt- thaten und Einwirkungen fremder Politik. Anfangs war er allein: allmählig aber, beſonders ſeit 1521 erſcheinen ſeine Jünger, Freunde und Nebenbuhler: im Jahre 1523 gehören außer ſeinen eignen noch 215 Schriften von An- dern der Neuerung an, mehr als vier Fünftheile der gan- zen Hervorbringung; entſchieden katholiſche Schriften laſ- ſen ſich wohl nur 20 zählen. Es war das erſte Mal, daß der nationale Geiſt, ohne Rückſicht auf fremde Mu- ſter, nur wie er ſich unter den Einwirkungen der Welt- ſchickſale gebildet, zu einem allgemeinen Ausdruck gelangte; und zwar in der wichtigſten Angelegenheit die den Menſchen überhaupt beſchäftigen kann; er durchdrang ſich in ſeinem Werden, dem Momente ſeiner Geburt, mit den Ideen der religiöſen Befreiung. Ein großes Schickſal war es, daß der Nation in dieſem Augenblick des vollen geiſtigen Erwachens die hei- ligen Schriften wie des neuen ſo nun auch des alten Teſtamentes dargeboten wurden. Man kannte die Bi- bel: vorlängſt gab es Überſetzungen; man muß ſich aber einmal die Mühe nehmen ſie anzuſehn, um inne zu wer- den, wie voller Irrthümer, roh im Ausdruck, und un- verſtändlich ſie ſind. Luther dagegen ließ ſich keine Mühe dauern, den Sinn unverfälſcht zu begreifen, und verſtand es, ſie deutſch reden zu laſſen: mit aller Reinheit und Ge- walt

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/90>, abgerufen am 24.11.2024.