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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Beschlüsse der Majorität.
Prediger zu setzen oder abzusetzen, an sie zurückkam. 1 Wie
hätte man dabei einen Augenblick länger bestehen können?

Noch waren die Veränderungen in vielen Städten in
bestem Gange. Einige hatten mit dem letzten Schritte ge-
zögert, weil sie von dem Reichstage noch irgend ein neues
ausdrückliches Zugeständniß, z. B. die Erlaubniß beider
Gestalt erwartet hatten. Sie waren jetzt verurtheilt, bei
dem Hergebrachten unbedingt und auf immer festzuhalten.

Endlich wurden die Anhänger Zwingli's von dem Frie-
den des Reiches geradezu ausgeschlossen.

Genug, wenn die Abgewichenen in dem Reichsab-
schiede auch nicht ausdrücklich angewiesen wurden, in den
Schooß der verlassenen Kirche zurückzukehren, so ist doch un-
läugbar, daß, wenn sie ihn annahmen, die noch in den An-
fängen ihrer Bildung begriffene evangelische Welt dadurch
in Kurzem wieder zu Grunde gehen mußte.

Da war nun die Frage, ob man sich dieß gefallen
lassen müsse, ob ein Beschluß der Mehrheit der Reichs-
stände auch im gegenwärtigen Falle verbindlich sey.

Die Frage hat einen ganz allgemeinen Inhalt. Wenn
auf gesetzlichem Wege eine Gründung vollzogen, ein lebendi-
ges Daseyn gepflanzt worden ist, darf alsdann die gesetzliche
Gewalt, in einem oder dem andern Momente anders consti-

1 Fürstenberg Mitwoch nach Quasimodogeniti 7. April: "Es
werden in dem allerlei Wörtlin ingeschlichen, die den Städten als
den man ufsetzig und gefer ist nit treglich noch leidlich seyn; mit Na-
men daß man niemand an seiner Oberkeyt und Herkommen vergwel-
tigen soll, damit wird den Geistlichen, so solcher Artikel angenom-
men und verwilligt wird, erfolgen, die Prädicanten zu setzen und zu
entsetzen, alle Mißbrauch wieder zu erheben und andere wieder an-
zurichten. Frankf. Acten.

Beſchluͤſſe der Majoritaͤt.
Prediger zu ſetzen oder abzuſetzen, an ſie zurückkam. 1 Wie
hätte man dabei einen Augenblick länger beſtehen können?

Noch waren die Veränderungen in vielen Städten in
beſtem Gange. Einige hatten mit dem letzten Schritte ge-
zögert, weil ſie von dem Reichstage noch irgend ein neues
ausdrückliches Zugeſtändniß, z. B. die Erlaubniß beider
Geſtalt erwartet hatten. Sie waren jetzt verurtheilt, bei
dem Hergebrachten unbedingt und auf immer feſtzuhalten.

Endlich wurden die Anhänger Zwingli’s von dem Frie-
den des Reiches geradezu ausgeſchloſſen.

Genug, wenn die Abgewichenen in dem Reichsab-
ſchiede auch nicht ausdrücklich angewieſen wurden, in den
Schooß der verlaſſenen Kirche zurückzukehren, ſo iſt doch un-
läugbar, daß, wenn ſie ihn annahmen, die noch in den An-
fängen ihrer Bildung begriffene evangeliſche Welt dadurch
in Kurzem wieder zu Grunde gehen mußte.

Da war nun die Frage, ob man ſich dieß gefallen
laſſen müſſe, ob ein Beſchluß der Mehrheit der Reichs-
ſtände auch im gegenwärtigen Falle verbindlich ſey.

Die Frage hat einen ganz allgemeinen Inhalt. Wenn
auf geſetzlichem Wege eine Gründung vollzogen, ein lebendi-
ges Daſeyn gepflanzt worden iſt, darf alsdann die geſetzliche
Gewalt, in einem oder dem andern Momente anders conſti-

1 Fuͤrſtenberg Mitwoch nach Quaſimodogeniti 7. April: „Es
werden in dem allerlei Woͤrtlin ingeſchlichen, die den Staͤdten als
den man ufſetzig und gefer iſt nit treglich noch leidlich ſeyn; mit Na-
men daß man niemand an ſeiner Oberkeyt und Herkommen vergwel-
tigen ſoll, damit wird den Geiſtlichen, ſo ſolcher Artikel angenom-
men und verwilligt wird, erfolgen, die Praͤdicanten zu ſetzen und zu
entſetzen, alle Mißbrauch wieder zu erheben und andere wieder an-
zurichten. Frankf. Acten.
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[149/0165] Beſchluͤſſe der Majoritaͤt. Prediger zu ſetzen oder abzuſetzen, an ſie zurückkam. 1 Wie hätte man dabei einen Augenblick länger beſtehen können? Noch waren die Veränderungen in vielen Städten in beſtem Gange. Einige hatten mit dem letzten Schritte ge- zögert, weil ſie von dem Reichstage noch irgend ein neues ausdrückliches Zugeſtändniß, z. B. die Erlaubniß beider Geſtalt erwartet hatten. Sie waren jetzt verurtheilt, bei dem Hergebrachten unbedingt und auf immer feſtzuhalten. Endlich wurden die Anhänger Zwingli’s von dem Frie- den des Reiches geradezu ausgeſchloſſen. Genug, wenn die Abgewichenen in dem Reichsab- ſchiede auch nicht ausdrücklich angewieſen wurden, in den Schooß der verlaſſenen Kirche zurückzukehren, ſo iſt doch un- läugbar, daß, wenn ſie ihn annahmen, die noch in den An- fängen ihrer Bildung begriffene evangeliſche Welt dadurch in Kurzem wieder zu Grunde gehen mußte. Da war nun die Frage, ob man ſich dieß gefallen laſſen müſſe, ob ein Beſchluß der Mehrheit der Reichs- ſtände auch im gegenwärtigen Falle verbindlich ſey. Die Frage hat einen ganz allgemeinen Inhalt. Wenn auf geſetzlichem Wege eine Gründung vollzogen, ein lebendi- ges Daſeyn gepflanzt worden iſt, darf alsdann die geſetzliche Gewalt, in einem oder dem andern Momente anders conſti- 1 Fuͤrſtenberg Mitwoch nach Quaſimodogeniti 7. April: „Es werden in dem allerlei Woͤrtlin ingeſchlichen, die den Staͤdten als den man ufſetzig und gefer iſt nit treglich noch leidlich ſeyn; mit Na- men daß man niemand an ſeiner Oberkeyt und Herkommen vergwel- tigen ſoll, damit wird den Geiſtlichen, ſo ſolcher Artikel angenom- men und verwilligt wird, erfolgen, die Praͤdicanten zu ſetzen und zu entſetzen, alle Mißbrauch wieder zu erheben und andere wieder an- zurichten. Frankf. Acten.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/165>, abgerufen am 25.11.2024.