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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Fünftes Buch. Achtes Capitel.

Und so war jeder Versuch der Annäherung mißlun-
gen; die Minorität war entschlossen ihren Standpunkt voll-
ständig zu behaupten, und es darauf ankommen zu lassen
was man wider sie unternehmen würde. So mußte man
auseinandergehn.

Es wäre sehr falsch zu glauben, dem Churfürsten von
Sachsen habe politisch daran gelegen, dem Kaiser Oppo-
sition machen zu können. Es that ihm von Herzen leid,
sich von seinem Kaiser und Herrn so trennen zu müssen:
aber es konnte nun nicht anders seyn. Endlich war der
Moment gekommen, wo er im Begriffe abzureisen, an ihn
herantrat, um sich von ihm zu beurlauben. "Oheim,
Oheim," sagte der Kaiser, "das hätte ich mich zu Ew.
Liebden nicht versehen." Der Churfürst erwiederte nichts
darauf: die Augen füllten sich ihm mit hellen Thränen;
Worte vermochte er nicht zu finden. So verließ er den
Pallast und gleich darauf die Stadt. 1

Es war eine vollkommene Trennung zwischen den Für-
sten des Reiches eingetreten. In Speier waren es nur die
Fürsten allein, jetzt war auch der Kaiser zugegen und
darin verflochten.

Der Zwiespalt, den bisher die Aussicht einer Versöh-
nung noch verhüllt, lag nun ganz offen zu Tage.

Schon hatte die Entzweiung auch die Städte ergriffen.

Wie zuerst Reutlingen, so hatten sich allmählig auch
Kempten, Heilbronn, Windsheim, Weißenburg im Nord-
gau an Nürnberg angeschlossen.


1 Erzählung der sächsischen Apologia in Förstemanns Archiv
p. 206. Granvella erinnerte 1542 an diesen Zug, als an ein Zeichen
der Gutherzigkeit und Liebe des Churfürsten gegen kais. Majestät.
Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

Und ſo war jeder Verſuch der Annäherung mißlun-
gen; die Minorität war entſchloſſen ihren Standpunkt voll-
ſtändig zu behaupten, und es darauf ankommen zu laſſen
was man wider ſie unternehmen würde. So mußte man
auseinandergehn.

Es wäre ſehr falſch zu glauben, dem Churfürſten von
Sachſen habe politiſch daran gelegen, dem Kaiſer Oppo-
ſition machen zu können. Es that ihm von Herzen leid,
ſich von ſeinem Kaiſer und Herrn ſo trennen zu müſſen:
aber es konnte nun nicht anders ſeyn. Endlich war der
Moment gekommen, wo er im Begriffe abzureiſen, an ihn
herantrat, um ſich von ihm zu beurlauben. „Oheim,
Oheim,“ ſagte der Kaiſer, „das hätte ich mich zu Ew.
Liebden nicht verſehen.“ Der Churfürſt erwiederte nichts
darauf: die Augen füllten ſich ihm mit hellen Thränen;
Worte vermochte er nicht zu finden. So verließ er den
Pallaſt und gleich darauf die Stadt. 1

Es war eine vollkommene Trennung zwiſchen den Für-
ſten des Reiches eingetreten. In Speier waren es nur die
Fürſten allein, jetzt war auch der Kaiſer zugegen und
darin verflochten.

Der Zwieſpalt, den bisher die Ausſicht einer Verſöh-
nung noch verhüllt, lag nun ganz offen zu Tage.

Schon hatte die Entzweiung auch die Städte ergriffen.

Wie zuerſt Reutlingen, ſo hatten ſich allmählig auch
Kempten, Heilbronn, Windsheim, Weißenburg im Nord-
gau an Nürnberg angeſchloſſen.


1 Erzaͤhlung der ſaͤchſiſchen Apologia in Foͤrſtemanns Archiv
p. 206. Granvella erinnerte 1542 an dieſen Zug, als an ein Zeichen
der Gutherzigkeit und Liebe des Churfuͤrſten gegen kaiſ. Majeſtaͤt.
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[288/0304] Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel. Und ſo war jeder Verſuch der Annäherung mißlun- gen; die Minorität war entſchloſſen ihren Standpunkt voll- ſtändig zu behaupten, und es darauf ankommen zu laſſen was man wider ſie unternehmen würde. So mußte man auseinandergehn. Es wäre ſehr falſch zu glauben, dem Churfürſten von Sachſen habe politiſch daran gelegen, dem Kaiſer Oppo- ſition machen zu können. Es that ihm von Herzen leid, ſich von ſeinem Kaiſer und Herrn ſo trennen zu müſſen: aber es konnte nun nicht anders ſeyn. Endlich war der Moment gekommen, wo er im Begriffe abzureiſen, an ihn herantrat, um ſich von ihm zu beurlauben. „Oheim, Oheim,“ ſagte der Kaiſer, „das hätte ich mich zu Ew. Liebden nicht verſehen.“ Der Churfürſt erwiederte nichts darauf: die Augen füllten ſich ihm mit hellen Thränen; Worte vermochte er nicht zu finden. So verließ er den Pallaſt und gleich darauf die Stadt. 1 Es war eine vollkommene Trennung zwiſchen den Für- ſten des Reiches eingetreten. In Speier waren es nur die Fürſten allein, jetzt war auch der Kaiſer zugegen und darin verflochten. Der Zwieſpalt, den bisher die Ausſicht einer Verſöh- nung noch verhüllt, lag nun ganz offen zu Tage. Schon hatte die Entzweiung auch die Städte ergriffen. Wie zuerſt Reutlingen, ſo hatten ſich allmählig auch Kempten, Heilbronn, Windsheim, Weißenburg im Nord- gau an Nürnberg angeſchloſſen. 1 Erzaͤhlung der ſaͤchſiſchen Apologia in Foͤrſtemanns Archiv p. 206. Granvella erinnerte 1542 an dieſen Zug, als an ein Zeichen der Gutherzigkeit und Liebe des Churfuͤrſten gegen kaiſ. Majeſtaͤt.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/304>, abgerufen am 22.11.2024.