Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
Sechstes Buch. Erstes Capitel.

Hatten die Theologen den Fürsten gerathen, den Kai-
ser in ihren Ländern nach Belieben schalten, sie, die Predi-
ger selbst vorfordern zu lassen, so wandte man ihnen ein,
daß ein ähnliches Verfahren in keiner andern Sache Her-
kommens seyn würde, daß der Kaiser eine solche Gewalt
gar nicht besitze.

Allmählig brachen sich überhaupt neue Ideen über die
Natur der deutschen Verfassung Bahn. Man bemerkte,
wenn die Fürsten dem Kaiser gehuldigt, so habe auch die-
ser dagegen ihnen einen Eid geleistet, den er halten müsse:
die Fürsten seyen die Erbherrn, der Kaiser gewählt. Eine
Lehre, die noch lange brauchte um sich durchzuarbeiten, die
erst bei dem westfälischen Frieden in staatsrechtliche Gel-
tung kam, ward gleich damals aufgestellt: die Lehre, daß die
Verfassung des deutschen Reiches nicht monarchischer, son-
dern aristokratischer Natur sey. Das Verhältniß der Fürsten
sey nicht viel anders, als der altrömischen Senatoren zu
den Consuln, oder der venezianischen zu ihrem Dogen, oder
eines Capitels zu seinem Bischof. Niemals aber seyen die
Domherrn oder jene Senatoren zu eigentlichem Gehorsam
verpflichtet gewesen. "Die Stände regieren mit dem Kai-
ser, und der Kaiser ist kein Monarch." 1

Diesen Behauptungen wußten nun die Theologen nichts
mehr entgegenzusetzen. Ihren Satz aus der Schrift konn-
ten sie jetzt festhalten, und brauchten darum doch den Wi-
derstand gegen den Kaiser nicht zu verdammen. "Wir

1 Juristischer Rathschlag bei Hortleder Thl. II Buch II Cap.
VIII. Am Schluß.
Sechstes Buch. Erſtes Capitel.

Hatten die Theologen den Fürſten gerathen, den Kai-
ſer in ihren Ländern nach Belieben ſchalten, ſie, die Predi-
ger ſelbſt vorfordern zu laſſen, ſo wandte man ihnen ein,
daß ein ähnliches Verfahren in keiner andern Sache Her-
kommens ſeyn würde, daß der Kaiſer eine ſolche Gewalt
gar nicht beſitze.

Allmählig brachen ſich überhaupt neue Ideen über die
Natur der deutſchen Verfaſſung Bahn. Man bemerkte,
wenn die Fürſten dem Kaiſer gehuldigt, ſo habe auch die-
ſer dagegen ihnen einen Eid geleiſtet, den er halten müſſe:
die Fürſten ſeyen die Erbherrn, der Kaiſer gewählt. Eine
Lehre, die noch lange brauchte um ſich durchzuarbeiten, die
erſt bei dem weſtfäliſchen Frieden in ſtaatsrechtliche Gel-
tung kam, ward gleich damals aufgeſtellt: die Lehre, daß die
Verfaſſung des deutſchen Reiches nicht monarchiſcher, ſon-
dern ariſtokratiſcher Natur ſey. Das Verhältniß der Fürſten
ſey nicht viel anders, als der altrömiſchen Senatoren zu
den Conſuln, oder der venezianiſchen zu ihrem Dogen, oder
eines Capitels zu ſeinem Biſchof. Niemals aber ſeyen die
Domherrn oder jene Senatoren zu eigentlichem Gehorſam
verpflichtet geweſen. „Die Stände regieren mit dem Kai-
ſer, und der Kaiſer iſt kein Monarch.“ 1

Dieſen Behauptungen wußten nun die Theologen nichts
mehr entgegenzuſetzen. Ihren Satz aus der Schrift konn-
ten ſie jetzt feſthalten, und brauchten darum doch den Wi-
derſtand gegen den Kaiſer nicht zu verdammen. „Wir

1 Juriſtiſcher Rathſchlag bei Hortleder Thl. II Buch II Cap.
VIII. Am Schluß.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0328" n="312"/>
          <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Sechstes Buch. Er&#x017F;tes Capitel</hi>.</fw><lb/>
          <p>Hatten die Theologen den Für&#x017F;ten gerathen, den Kai-<lb/>
&#x017F;er in ihren Ländern nach Belieben &#x017F;chalten, &#x017F;ie, die Predi-<lb/>
ger &#x017F;elb&#x017F;t vorfordern zu la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o wandte man ihnen ein,<lb/>
daß ein ähnliches Verfahren in keiner andern Sache Her-<lb/>
kommens &#x017F;eyn würde, daß der Kai&#x017F;er eine &#x017F;olche Gewalt<lb/>
gar nicht be&#x017F;itze.</p><lb/>
          <p>Allmählig brachen &#x017F;ich überhaupt neue Ideen über die<lb/>
Natur der deut&#x017F;chen Verfa&#x017F;&#x017F;ung Bahn. Man bemerkte,<lb/>
wenn die Für&#x017F;ten dem Kai&#x017F;er gehuldigt, &#x017F;o habe auch die-<lb/>
&#x017F;er dagegen ihnen einen Eid gelei&#x017F;tet, den er halten mü&#x017F;&#x017F;e:<lb/>
die Für&#x017F;ten &#x017F;eyen die Erbherrn, der Kai&#x017F;er gewählt. Eine<lb/>
Lehre, die noch lange brauchte um &#x017F;ich durchzuarbeiten, die<lb/>
er&#x017F;t bei dem we&#x017F;tfäli&#x017F;chen Frieden in &#x017F;taatsrechtliche Gel-<lb/>
tung kam, ward gleich damals aufge&#x017F;tellt: die Lehre, daß die<lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;ung des deut&#x017F;chen Reiches nicht monarchi&#x017F;cher, &#x017F;on-<lb/>
dern ari&#x017F;tokrati&#x017F;cher Natur &#x017F;ey. Das Verhältniß der Für&#x017F;ten<lb/>
&#x017F;ey nicht viel anders, als der altrömi&#x017F;chen Senatoren zu<lb/>
den Con&#x017F;uln, oder der veneziani&#x017F;chen zu ihrem Dogen, oder<lb/>
eines Capitels zu &#x017F;einem Bi&#x017F;chof. Niemals aber &#x017F;eyen die<lb/>
Domherrn oder jene Senatoren zu eigentlichem Gehor&#x017F;am<lb/>
verpflichtet gewe&#x017F;en. &#x201E;Die Stände regieren mit dem Kai-<lb/>
&#x017F;er, und der Kai&#x017F;er i&#x017F;t kein Monarch.&#x201C; <note place="foot" n="1">Juri&#x017F;ti&#x017F;cher Rath&#x017F;chlag bei Hortleder Thl. <hi rendition="#aq">II</hi> Buch <hi rendition="#aq">II</hi> Cap.<lb/><hi rendition="#aq">VIII.</hi> Am Schluß.</note></p><lb/>
          <p>Die&#x017F;en Behauptungen wußten nun die Theologen nichts<lb/>
mehr entgegenzu&#x017F;etzen. Ihren Satz aus der Schrift konn-<lb/>
ten &#x017F;ie jetzt fe&#x017F;thalten, und brauchten darum doch den Wi-<lb/>
der&#x017F;tand gegen den Kai&#x017F;er nicht zu verdammen. &#x201E;Wir<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[312/0328] Sechstes Buch. Erſtes Capitel. Hatten die Theologen den Fürſten gerathen, den Kai- ſer in ihren Ländern nach Belieben ſchalten, ſie, die Predi- ger ſelbſt vorfordern zu laſſen, ſo wandte man ihnen ein, daß ein ähnliches Verfahren in keiner andern Sache Her- kommens ſeyn würde, daß der Kaiſer eine ſolche Gewalt gar nicht beſitze. Allmählig brachen ſich überhaupt neue Ideen über die Natur der deutſchen Verfaſſung Bahn. Man bemerkte, wenn die Fürſten dem Kaiſer gehuldigt, ſo habe auch die- ſer dagegen ihnen einen Eid geleiſtet, den er halten müſſe: die Fürſten ſeyen die Erbherrn, der Kaiſer gewählt. Eine Lehre, die noch lange brauchte um ſich durchzuarbeiten, die erſt bei dem weſtfäliſchen Frieden in ſtaatsrechtliche Gel- tung kam, ward gleich damals aufgeſtellt: die Lehre, daß die Verfaſſung des deutſchen Reiches nicht monarchiſcher, ſon- dern ariſtokratiſcher Natur ſey. Das Verhältniß der Fürſten ſey nicht viel anders, als der altrömiſchen Senatoren zu den Conſuln, oder der venezianiſchen zu ihrem Dogen, oder eines Capitels zu ſeinem Biſchof. Niemals aber ſeyen die Domherrn oder jene Senatoren zu eigentlichem Gehorſam verpflichtet geweſen. „Die Stände regieren mit dem Kai- ſer, und der Kaiſer iſt kein Monarch.“ 1 Dieſen Behauptungen wußten nun die Theologen nichts mehr entgegenzuſetzen. Ihren Satz aus der Schrift konn- ten ſie jetzt feſthalten, und brauchten darum doch den Wi- derſtand gegen den Kaiſer nicht zu verdammen. „Wir 1 Juriſtiſcher Rathſchlag bei Hortleder Thl. II Buch II Cap. VIII. Am Schluß.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/328
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/328>, abgerufen am 01.06.2024.