Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Sechstes Buch. Viertes Capitel.
Zwingli fand nun aber, daß das Verhältniß seitdem noch
unerträglicher geworden. Dadurch nemlich, daß sich zu den
vier andern Waldcantonen auch Zug gesellt, hatte sich eine
Majorität gebildet, die über alle Geschäfte der Tagsatzungen
entschied, und gegen die kein gesetzliches Mittel anzuwen-
den war. Zwingli urtheilte, daß dieser Vortheil, der so
ruchlos gemißbraucht werde, auch höchst ungerecht sey. Die
Leitung der Eidgenossenschaft gebühre vielmehr den beiden
Städten Zürich und Bern, die doch immer das Beste ge-
than und die Stärkern gewesen; die müßten die Eidgenos-
senschaft führen, wie zwei Zugthiere den Wagen. Man
müsse den fünf Orten den Bund zurückgeben, und sie bei
einer neuen Einrichtung entweder aus den gemeinschaftlichen
Vogteien, wenigstens diesseit des Gebirges, geradezu aus-
schließen, eine neue Theilung machen, oder auf jeden Fall
ihre Mehrheit abstellen. 1

Wir sehen: Zwingli wollte der Verfassung einen ganz
andern Schwerpunkt geben, und ihre Einheit auf das Ueber-
gewicht der factischen Macht begründen. In dem gesamm-
ten Gebiete würden dann die nemlichen religiös-politischen
Grundsätze herrschend geworden seyn.

Pläne dieser Art lassen sich natürlich nicht ausfüh-
ren, ohne ein energisches Zusammenwirken aller Kräfte in
dem günstigen Augenblick. Es fragte sich erst, ob Meister
Ulrich Zwingli, so mächtig und angesehn er auch war, dieß
in einem Grade seyn würde, um seine eigne Partei zu ei-
ner Unternehmung dieser Art zu vereinigen.

Selbst in Zürich aber hatte Zwingli noch mit entge-

1 Was Zürich und Bern Not zu betrachten sey in dem fünf-
ortischen Handel; bei Hottinger II, 487.

Sechstes Buch. Viertes Capitel.
Zwingli fand nun aber, daß das Verhältniß ſeitdem noch
unerträglicher geworden. Dadurch nemlich, daß ſich zu den
vier andern Waldcantonen auch Zug geſellt, hatte ſich eine
Majorität gebildet, die über alle Geſchäfte der Tagſatzungen
entſchied, und gegen die kein geſetzliches Mittel anzuwen-
den war. Zwingli urtheilte, daß dieſer Vortheil, der ſo
ruchlos gemißbraucht werde, auch höchſt ungerecht ſey. Die
Leitung der Eidgenoſſenſchaft gebühre vielmehr den beiden
Städten Zürich und Bern, die doch immer das Beſte ge-
than und die Stärkern geweſen; die müßten die Eidgenoſ-
ſenſchaft führen, wie zwei Zugthiere den Wagen. Man
müſſe den fünf Orten den Bund zurückgeben, und ſie bei
einer neuen Einrichtung entweder aus den gemeinſchaftlichen
Vogteien, wenigſtens dieſſeit des Gebirges, geradezu aus-
ſchließen, eine neue Theilung machen, oder auf jeden Fall
ihre Mehrheit abſtellen. 1

Wir ſehen: Zwingli wollte der Verfaſſung einen ganz
andern Schwerpunkt geben, und ihre Einheit auf das Ueber-
gewicht der factiſchen Macht begründen. In dem geſamm-
ten Gebiete würden dann die nemlichen religiös-politiſchen
Grundſätze herrſchend geworden ſeyn.

Pläne dieſer Art laſſen ſich natürlich nicht ausfüh-
ren, ohne ein energiſches Zuſammenwirken aller Kräfte in
dem günſtigen Augenblick. Es fragte ſich erſt, ob Meiſter
Ulrich Zwingli, ſo mächtig und angeſehn er auch war, dieß
in einem Grade ſeyn würde, um ſeine eigne Partei zu ei-
ner Unternehmung dieſer Art zu vereinigen.

Selbſt in Zürich aber hatte Zwingli noch mit entge-

1 Was Zuͤrich und Bern Not zu betrachten ſey in dem fuͤnf-
ortiſchen Handel; bei Hottinger II, 487.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0370" n="354"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Sechstes Buch. Viertes Capitel</hi>.</fw><lb/>
Zwingli fand nun aber, daß das Verhältniß &#x017F;eitdem noch<lb/>
unerträglicher geworden. Dadurch nemlich, daß &#x017F;ich zu den<lb/>
vier andern Waldcantonen auch Zug ge&#x017F;ellt, hatte &#x017F;ich eine<lb/>
Majorität gebildet, die über alle Ge&#x017F;chäfte der Tag&#x017F;atzungen<lb/>
ent&#x017F;chied, und gegen die kein ge&#x017F;etzliches Mittel anzuwen-<lb/>
den war. Zwingli urtheilte, daß die&#x017F;er Vortheil, der &#x017F;o<lb/>
ruchlos gemißbraucht werde, auch höch&#x017F;t ungerecht &#x017F;ey. Die<lb/>
Leitung der Eidgeno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft gebühre vielmehr den beiden<lb/>
Städten Zürich und Bern, die doch immer das Be&#x017F;te ge-<lb/>
than und die Stärkern gewe&#x017F;en; die müßten die Eidgeno&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en&#x017F;chaft führen, wie zwei Zugthiere den Wagen. Man<lb/>&#x017F;&#x017F;e den fünf Orten den Bund zurückgeben, und &#x017F;ie bei<lb/>
einer neuen Einrichtung entweder aus den gemein&#x017F;chaftlichen<lb/>
Vogteien, wenig&#x017F;tens die&#x017F;&#x017F;eit des Gebirges, geradezu aus-<lb/>
&#x017F;chließen, eine neue Theilung machen, oder auf jeden Fall<lb/>
ihre Mehrheit ab&#x017F;tellen. <note place="foot" n="1">Was Zu&#x0364;rich und Bern Not zu betrachten &#x017F;ey in dem fu&#x0364;nf-<lb/>
orti&#x017F;chen Handel; bei Hottinger <hi rendition="#aq">II,</hi> 487.</note></p><lb/>
          <p>Wir &#x017F;ehen: Zwingli wollte der Verfa&#x017F;&#x017F;ung einen ganz<lb/>
andern Schwerpunkt geben, und ihre Einheit auf das Ueber-<lb/>
gewicht der facti&#x017F;chen Macht begründen. In dem ge&#x017F;amm-<lb/>
ten Gebiete würden dann die nemlichen religiös-politi&#x017F;chen<lb/>
Grund&#x017F;ätze herr&#x017F;chend geworden &#x017F;eyn.</p><lb/>
          <p>Pläne die&#x017F;er Art la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich natürlich nicht ausfüh-<lb/>
ren, ohne ein energi&#x017F;ches Zu&#x017F;ammenwirken aller Kräfte in<lb/>
dem gün&#x017F;tigen Augenblick. Es fragte &#x017F;ich er&#x017F;t, ob Mei&#x017F;ter<lb/>
Ulrich Zwingli, &#x017F;o mächtig und ange&#x017F;ehn er auch war, dieß<lb/>
in einem Grade &#x017F;eyn würde, um &#x017F;eine eigne Partei zu ei-<lb/>
ner Unternehmung die&#x017F;er Art zu vereinigen.</p><lb/>
          <p>Selb&#x017F;t in Zürich aber hatte Zwingli noch mit entge-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[354/0370] Sechstes Buch. Viertes Capitel. Zwingli fand nun aber, daß das Verhältniß ſeitdem noch unerträglicher geworden. Dadurch nemlich, daß ſich zu den vier andern Waldcantonen auch Zug geſellt, hatte ſich eine Majorität gebildet, die über alle Geſchäfte der Tagſatzungen entſchied, und gegen die kein geſetzliches Mittel anzuwen- den war. Zwingli urtheilte, daß dieſer Vortheil, der ſo ruchlos gemißbraucht werde, auch höchſt ungerecht ſey. Die Leitung der Eidgenoſſenſchaft gebühre vielmehr den beiden Städten Zürich und Bern, die doch immer das Beſte ge- than und die Stärkern geweſen; die müßten die Eidgenoſ- ſenſchaft führen, wie zwei Zugthiere den Wagen. Man müſſe den fünf Orten den Bund zurückgeben, und ſie bei einer neuen Einrichtung entweder aus den gemeinſchaftlichen Vogteien, wenigſtens dieſſeit des Gebirges, geradezu aus- ſchließen, eine neue Theilung machen, oder auf jeden Fall ihre Mehrheit abſtellen. 1 Wir ſehen: Zwingli wollte der Verfaſſung einen ganz andern Schwerpunkt geben, und ihre Einheit auf das Ueber- gewicht der factiſchen Macht begründen. In dem geſamm- ten Gebiete würden dann die nemlichen religiös-politiſchen Grundſätze herrſchend geworden ſeyn. Pläne dieſer Art laſſen ſich natürlich nicht ausfüh- ren, ohne ein energiſches Zuſammenwirken aller Kräfte in dem günſtigen Augenblick. Es fragte ſich erſt, ob Meiſter Ulrich Zwingli, ſo mächtig und angeſehn er auch war, dieß in einem Grade ſeyn würde, um ſeine eigne Partei zu ei- ner Unternehmung dieſer Art zu vereinigen. Selbſt in Zürich aber hatte Zwingli noch mit entge- 1 Was Zuͤrich und Bern Not zu betrachten ſey in dem fuͤnf- ortiſchen Handel; bei Hottinger II, 487.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/370
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/370>, abgerufen am 24.11.2024.