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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Sechstes Buch. Fünftes Capitel.
wiederherzustellen gedachte, ward derselbe in einer der wich-
tigsten Städte des Nordens abgeschafft. Wohl blieb das zu
Augsburg nicht unbemerkt. Der Kaiser befahl durch ein
Pönalmandat den Vier und sechzig auf das ernstlichste, "ih-
res Thuns abzustehn," und wies den Rath, falls das nicht
geschehe, auf die Hülfe einiger benachbarten Fürsten an.
Es läßt sich aber denken, welche Wirkung diese Drohun-
gen einer entfernten Gewalt in der gährenden Stadt haben
mußten. Die Bewegung erhob sich mit doppeltem Ungestüm;
sie wuchs so gewaltig an, daß der Rath sich in der Nothwen-
digkeit sah, die Vier und sechszig selbst um Beibehaltung
ihrer Functionen zu ersuchen, ja ihre Verstärkung durch einen
neuen Zusatz von 100 Bürgern gutzuheißen. 1 Dann ward
Doctor Johann Bugenhagen auch nach Lübeck berufen, um
mit einer Commission aus Rath und Bürgerschaft die neue
Kirche einzurichten. Die Klöster wurden in Schulen und
Krankenhäuser verwandelt; die Klosterjungfern zu St. Jo-
hannis, die man bestehen ließ, zum Unterricht der Jugend
verpflichtet; in allen Kirchspielkirchen wurden Pfarrer und
Caplane angestellt, die sich zur augsburgischen Confession
hielten, und denen ein Superintendent, Hermannus Bou-
nus vorstand.

Es liegt in der Natur der Sache, daß die Vier und
Sechzig, deren Ursprung politisch-religiöser Natur war, sich
2

1 In der Antwort der verordneten Bürger bei Regkmann 139
heißt es, daß dieß vom Rath vorgeschlagen worden sey "um vieler
ungestümheit willen, müh und verdrieß zuvorzukommen."
2 Notizen bei Grautoff II, 159. Der bedeutende Einfluß, der
bei G. einer milden Partei im Rath zugeschrieben wird, müßte wohl
noch näher bewiesen werden.

Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel.
wiederherzuſtellen gedachte, ward derſelbe in einer der wich-
tigſten Städte des Nordens abgeſchafft. Wohl blieb das zu
Augsburg nicht unbemerkt. Der Kaiſer befahl durch ein
Pönalmandat den Vier und ſechzig auf das ernſtlichſte, „ih-
res Thuns abzuſtehn,“ und wies den Rath, falls das nicht
geſchehe, auf die Hülfe einiger benachbarten Fürſten an.
Es läßt ſich aber denken, welche Wirkung dieſe Drohun-
gen einer entfernten Gewalt in der gährenden Stadt haben
mußten. Die Bewegung erhob ſich mit doppeltem Ungeſtüm;
ſie wuchs ſo gewaltig an, daß der Rath ſich in der Nothwen-
digkeit ſah, die Vier und ſechszig ſelbſt um Beibehaltung
ihrer Functionen zu erſuchen, ja ihre Verſtärkung durch einen
neuen Zuſatz von 100 Bürgern gutzuheißen. 1 Dann ward
Doctor Johann Bugenhagen auch nach Lübeck berufen, um
mit einer Commiſſion aus Rath und Bürgerſchaft die neue
Kirche einzurichten. Die Klöſter wurden in Schulen und
Krankenhäuſer verwandelt; die Kloſterjungfern zu St. Jo-
hannis, die man beſtehen ließ, zum Unterricht der Jugend
verpflichtet; in allen Kirchſpielkirchen wurden Pfarrer und
Caplane angeſtellt, die ſich zur augsburgiſchen Confeſſion
hielten, und denen ein Superintendent, Hermannus Bou-
nus vorſtand.

Es liegt in der Natur der Sache, daß die Vier und
Sechzig, deren Urſprung politiſch-religiöſer Natur war, ſich
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1 In der Antwort der verordneten Buͤrger bei Regkmann 139
heißt es, daß dieß vom Rath vorgeſchlagen worden ſey „um vieler
ungeſtuͤmheit willen, muͤh und verdrieß zuvorzukommen.“
2 Notizen bei Grautoff II, 159. Der bedeutende Einfluß, der
bei G. einer milden Partei im Rath zugeſchrieben wird, muͤßte wohl
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[386/0402] Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel. wiederherzuſtellen gedachte, ward derſelbe in einer der wich- tigſten Städte des Nordens abgeſchafft. Wohl blieb das zu Augsburg nicht unbemerkt. Der Kaiſer befahl durch ein Pönalmandat den Vier und ſechzig auf das ernſtlichſte, „ih- res Thuns abzuſtehn,“ und wies den Rath, falls das nicht geſchehe, auf die Hülfe einiger benachbarten Fürſten an. Es läßt ſich aber denken, welche Wirkung dieſe Drohun- gen einer entfernten Gewalt in der gährenden Stadt haben mußten. Die Bewegung erhob ſich mit doppeltem Ungeſtüm; ſie wuchs ſo gewaltig an, daß der Rath ſich in der Nothwen- digkeit ſah, die Vier und ſechszig ſelbſt um Beibehaltung ihrer Functionen zu erſuchen, ja ihre Verſtärkung durch einen neuen Zuſatz von 100 Bürgern gutzuheißen. 1 Dann ward Doctor Johann Bugenhagen auch nach Lübeck berufen, um mit einer Commiſſion aus Rath und Bürgerſchaft die neue Kirche einzurichten. Die Klöſter wurden in Schulen und Krankenhäuſer verwandelt; die Kloſterjungfern zu St. Jo- hannis, die man beſtehen ließ, zum Unterricht der Jugend verpflichtet; in allen Kirchſpielkirchen wurden Pfarrer und Caplane angeſtellt, die ſich zur augsburgiſchen Confeſſion hielten, und denen ein Superintendent, Hermannus Bou- nus vorſtand. Es liegt in der Natur der Sache, daß die Vier und Sechzig, deren Urſprung politiſch-religiöſer Natur war, ſich 2 1 In der Antwort der verordneten Buͤrger bei Regkmann 139 heißt es, daß dieß vom Rath vorgeſchlagen worden ſey „um vieler ungeſtuͤmheit willen, muͤh und verdrieß zuvorzukommen.“ 2 Notizen bei Grautoff II, 159. Der bedeutende Einfluß, der bei G. einer milden Partei im Rath zugeſchrieben wird, muͤßte wohl noch naͤher bewieſen werden.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/402>, abgerufen am 24.11.2024.