So wie man sah, daß es mit der Absicht des Sul- tans Ernst sey, daß er wirklich daran denke, entweder so- gleich, oder nach kurzem Verzug den Weg nach der deut- schen Grenze einzuschlagen, mußte dieß der Gesichtspunkt werden, welcher die Politik der beiden Brüder beherrschte.
Es war ein Moment, wie im Anfang des zehnten Jahrhunderts, als die Ungarn zuerst ihre Sitze eingenom- men, und von da plündernd und zerstörend in das Abend- land eindrangen. Zwar war das Abendland unendlich vor- geschritten, bei weitem besser gerüstet, aber auch der Feind war ohne Vergleichung mächtiger und gefährlicher.
Ueberlegte man nun aber, wie demselben zu begeg- nen sey, so stellte sich die Entzweiung von Deutsch- land als die vornehmste Schwierigkeit vor Augen. Die Hülfe des Reichs, sagt Ferdinand in seinem ersten Schrei- ben, wird nur langsam erscheinen. Man muß für gewiß halten, daß die Anhänger Luthers, selbst wenn sie die Noth- wendigkeit der Hülfe einsehn und geneigt sind, sie zu lei- sten, doch damit an sich halten, weil sie fürchten, daß, wenn man die Türken besiegt hat, und der Frieden mit Frankreich, England und Italien fortdauert, man die Waf- fen gegen sie richten wird; sie denken, das Kriegsvolk werde sich nach einem glücklichen Schlachttag nicht mit dem ver- gossenen Blute begnügen, sondern noch Andere aufsuchen, um seine Lust zu büßen.
Wir wissen schon, wie viel die Rathschläge Ferdinands bei Carl V vermochten. Sie entspringen immer aus dem Moment: sie sind gut begründet und haben das Gepräge der Entschlossenheit und Raschheit. Jetzt trug Ferdinand
Sechstes Buch. Sechstes Capitel.
So wie man ſah, daß es mit der Abſicht des Sul- tans Ernſt ſey, daß er wirklich daran denke, entweder ſo- gleich, oder nach kurzem Verzug den Weg nach der deut- ſchen Grenze einzuſchlagen, mußte dieß der Geſichtspunkt werden, welcher die Politik der beiden Brüder beherrſchte.
Es war ein Moment, wie im Anfang des zehnten Jahrhunderts, als die Ungarn zuerſt ihre Sitze eingenom- men, und von da plündernd und zerſtörend in das Abend- land eindrangen. Zwar war das Abendland unendlich vor- geſchritten, bei weitem beſſer gerüſtet, aber auch der Feind war ohne Vergleichung mächtiger und gefährlicher.
Ueberlegte man nun aber, wie demſelben zu begeg- nen ſey, ſo ſtellte ſich die Entzweiung von Deutſch- land als die vornehmſte Schwierigkeit vor Augen. Die Hülfe des Reichs, ſagt Ferdinand in ſeinem erſten Schrei- ben, wird nur langſam erſcheinen. Man muß für gewiß halten, daß die Anhänger Luthers, ſelbſt wenn ſie die Noth- wendigkeit der Hülfe einſehn und geneigt ſind, ſie zu lei- ſten, doch damit an ſich halten, weil ſie fürchten, daß, wenn man die Türken beſiegt hat, und der Frieden mit Frankreich, England und Italien fortdauert, man die Waf- fen gegen ſie richten wird; ſie denken, das Kriegsvolk werde ſich nach einem glücklichen Schlachttag nicht mit dem ver- goſſenen Blute begnügen, ſondern noch Andere aufſuchen, um ſeine Luſt zu büßen.
Wir wiſſen ſchon, wie viel die Rathſchläge Ferdinands bei Carl V vermochten. Sie entſpringen immer aus dem Moment: ſie ſind gut begründet und haben das Gepräge der Entſchloſſenheit und Raſchheit. Jetzt trug Ferdinand
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0420"n="404"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Sechstes Buch. Sechstes Capitel</hi>.</fw><lb/><p>So wie man ſah, daß es mit der Abſicht des Sul-<lb/>
tans Ernſt ſey, daß er wirklich daran denke, entweder ſo-<lb/>
gleich, oder nach kurzem Verzug den Weg nach der deut-<lb/>ſchen Grenze einzuſchlagen, mußte dieß der Geſichtspunkt<lb/>
werden, welcher die Politik der beiden Brüder beherrſchte.</p><lb/><p>Es war ein Moment, wie im Anfang des zehnten<lb/>
Jahrhunderts, als die Ungarn zuerſt ihre Sitze eingenom-<lb/>
men, und von da plündernd und zerſtörend in das Abend-<lb/>
land eindrangen. Zwar war das Abendland unendlich vor-<lb/>
geſchritten, bei weitem beſſer gerüſtet, aber auch der Feind<lb/>
war ohne Vergleichung mächtiger und gefährlicher.</p><lb/><p>Ueberlegte man nun aber, wie demſelben zu begeg-<lb/>
nen ſey, ſo ſtellte ſich die Entzweiung von Deutſch-<lb/>
land als die vornehmſte Schwierigkeit vor Augen. Die<lb/>
Hülfe des Reichs, ſagt Ferdinand in ſeinem erſten Schrei-<lb/>
ben, wird nur langſam erſcheinen. Man muß für gewiß<lb/>
halten, daß die Anhänger Luthers, ſelbſt wenn ſie die Noth-<lb/>
wendigkeit der Hülfe einſehn und geneigt ſind, ſie zu lei-<lb/>ſten, doch damit an ſich halten, weil ſie fürchten, daß,<lb/>
wenn man die Türken beſiegt hat, und der Frieden mit<lb/>
Frankreich, England und Italien fortdauert, man die Waf-<lb/>
fen gegen ſie richten wird; ſie denken, das Kriegsvolk werde<lb/>ſich nach einem glücklichen Schlachttag nicht mit dem ver-<lb/>
goſſenen Blute begnügen, ſondern noch Andere aufſuchen,<lb/>
um ſeine Luſt zu büßen.</p><lb/><p>Wir wiſſen ſchon, wie viel die Rathſchläge Ferdinands<lb/>
bei Carl <hirendition="#aq">V</hi> vermochten. Sie entſpringen immer aus dem<lb/>
Moment: ſie ſind gut begründet und haben das Gepräge<lb/>
der Entſchloſſenheit und Raſchheit. Jetzt trug Ferdinand<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[404/0420]
Sechstes Buch. Sechstes Capitel.
So wie man ſah, daß es mit der Abſicht des Sul-
tans Ernſt ſey, daß er wirklich daran denke, entweder ſo-
gleich, oder nach kurzem Verzug den Weg nach der deut-
ſchen Grenze einzuſchlagen, mußte dieß der Geſichtspunkt
werden, welcher die Politik der beiden Brüder beherrſchte.
Es war ein Moment, wie im Anfang des zehnten
Jahrhunderts, als die Ungarn zuerſt ihre Sitze eingenom-
men, und von da plündernd und zerſtörend in das Abend-
land eindrangen. Zwar war das Abendland unendlich vor-
geſchritten, bei weitem beſſer gerüſtet, aber auch der Feind
war ohne Vergleichung mächtiger und gefährlicher.
Ueberlegte man nun aber, wie demſelben zu begeg-
nen ſey, ſo ſtellte ſich die Entzweiung von Deutſch-
land als die vornehmſte Schwierigkeit vor Augen. Die
Hülfe des Reichs, ſagt Ferdinand in ſeinem erſten Schrei-
ben, wird nur langſam erſcheinen. Man muß für gewiß
halten, daß die Anhänger Luthers, ſelbſt wenn ſie die Noth-
wendigkeit der Hülfe einſehn und geneigt ſind, ſie zu lei-
ſten, doch damit an ſich halten, weil ſie fürchten, daß,
wenn man die Türken beſiegt hat, und der Frieden mit
Frankreich, England und Italien fortdauert, man die Waf-
fen gegen ſie richten wird; ſie denken, das Kriegsvolk werde
ſich nach einem glücklichen Schlachttag nicht mit dem ver-
goſſenen Blute begnügen, ſondern noch Andere aufſuchen,
um ſeine Luſt zu büßen.
Wir wiſſen ſchon, wie viel die Rathſchläge Ferdinands
bei Carl V vermochten. Sie entſpringen immer aus dem
Moment: ſie ſind gut begründet und haben das Gepräge
der Entſchloſſenheit und Raſchheit. Jetzt trug Ferdinand
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/420>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.