Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.Sechstes Buch. Achtes Capitel. ferer, wir werden ihm noch auf ganz andern Wegen begeg-nen, aber die Vorstellungen der Domherren und des Ra- thes, so wie einige Nichtachtung seiner Oberherrlichkeit, die er erfahren, bewogen ihn jetzt zu einem gewaltsamen Schritte. Noch einmal, und zwar, wie er sagte, um einen gnädigen Abschied zu nehmen, berief er die Bürgerschaft nach dem Garten des Abdinkhovischen Klosters: als sie aber hier zusammengekommen, sah sie sich von bewaffneten Mann- schaften umgeben; die Anführer der evangelischen Partei wurden ergriffen und ins Gefängniß geworfen. Man be- züchtigte sie des Vorhabens, die Stadt an den Landgrafen von Hessen zu überliefern, unterwarf sie der Tortur, und sprach ihnen endlich vor versammeltem Volk, im Angesicht des Schaffotes, das schon mit dem Sand bestreut war, der ihr Blut trinken sollte, das Todesurtheil. Allein hier ging es nicht wie in Soest. Der erste Scharfrichter er- klärte, die Leute seyen unschuldig, er wolle lieber selber ster- ben, als sie hinrichten; aus der Menge hörte man ei- nen alten Mann, der deshalb an seinem Stabe herbeige- schlichen, ausrufen, er sey so schuldig wie die Verurtheilten, er fordere mit ihnen hingerichtet zu werden, und in dem traten aus einem nahen Hause die Frauen und Jungfrauen der Stadt hervor, jene mit offener Brust, diese mit zer- streuten Haaren, und flehten um Gnade für die Gefange- nen. 1 Dem Churfürsten Hermann, einem geborenen Wied, der, wie erwähnt, Gewaltsamkeiten dieser Art nicht liebte, traten die Thränen in die Augen; da er auch seine weltlichen Großen erschüttert sah, schenkte er den Verurtheilten das 1 Hamelmann hist. renov. evangelii 1328, hier m. Hauptquelle.
Sechstes Buch. Achtes Capitel. ferer, wir werden ihm noch auf ganz andern Wegen begeg-nen, aber die Vorſtellungen der Domherren und des Ra- thes, ſo wie einige Nichtachtung ſeiner Oberherrlichkeit, die er erfahren, bewogen ihn jetzt zu einem gewaltſamen Schritte. Noch einmal, und zwar, wie er ſagte, um einen gnädigen Abſchied zu nehmen, berief er die Bürgerſchaft nach dem Garten des Abdinkhoviſchen Kloſters: als ſie aber hier zuſammengekommen, ſah ſie ſich von bewaffneten Mann- ſchaften umgeben; die Anführer der evangeliſchen Partei wurden ergriffen und ins Gefängniß geworfen. Man be- züchtigte ſie des Vorhabens, die Stadt an den Landgrafen von Heſſen zu überliefern, unterwarf ſie der Tortur, und ſprach ihnen endlich vor verſammeltem Volk, im Angeſicht des Schaffotes, das ſchon mit dem Sand beſtreut war, der ihr Blut trinken ſollte, das Todesurtheil. Allein hier ging es nicht wie in Soeſt. Der erſte Scharfrichter er- klärte, die Leute ſeyen unſchuldig, er wolle lieber ſelber ſter- ben, als ſie hinrichten; aus der Menge hörte man ei- nen alten Mann, der deshalb an ſeinem Stabe herbeige- ſchlichen, ausrufen, er ſey ſo ſchuldig wie die Verurtheilten, er fordere mit ihnen hingerichtet zu werden, und in dem traten aus einem nahen Hauſe die Frauen und Jungfrauen der Stadt hervor, jene mit offener Bruſt, dieſe mit zer- ſtreuten Haaren, und flehten um Gnade für die Gefange- nen. 1 Dem Churfürſten Hermann, einem geborenen Wied, der, wie erwähnt, Gewaltſamkeiten dieſer Art nicht liebte, traten die Thränen in die Augen; da er auch ſeine weltlichen Großen erſchüttert ſah, ſchenkte er den Verurtheilten das 1 Hamelmann hist. renov. evangelii 1328, hier m. Hauptquelle.
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Sechstes Buch. Achtes Capitel.
ferer, wir werden ihm noch auf ganz andern Wegen begeg-
nen, aber die Vorſtellungen der Domherren und des Ra-
thes, ſo wie einige Nichtachtung ſeiner Oberherrlichkeit, die
er erfahren, bewogen ihn jetzt zu einem gewaltſamen
Schritte. Noch einmal, und zwar, wie er ſagte, um einen
gnädigen Abſchied zu nehmen, berief er die Bürgerſchaft
nach dem Garten des Abdinkhoviſchen Kloſters: als ſie aber
hier zuſammengekommen, ſah ſie ſich von bewaffneten Mann-
ſchaften umgeben; die Anführer der evangeliſchen Partei
wurden ergriffen und ins Gefängniß geworfen. Man be-
züchtigte ſie des Vorhabens, die Stadt an den Landgrafen
von Heſſen zu überliefern, unterwarf ſie der Tortur, und
ſprach ihnen endlich vor verſammeltem Volk, im Angeſicht
des Schaffotes, das ſchon mit dem Sand beſtreut war,
der ihr Blut trinken ſollte, das Todesurtheil. Allein hier
ging es nicht wie in Soeſt. Der erſte Scharfrichter er-
klärte, die Leute ſeyen unſchuldig, er wolle lieber ſelber ſter-
ben, als ſie hinrichten; aus der Menge hörte man ei-
nen alten Mann, der deshalb an ſeinem Stabe herbeige-
ſchlichen, ausrufen, er ſey ſo ſchuldig wie die Verurtheilten,
er fordere mit ihnen hingerichtet zu werden, und in dem
traten aus einem nahen Hauſe die Frauen und Jungfrauen
der Stadt hervor, jene mit offener Bruſt, dieſe mit zer-
ſtreuten Haaren, und flehten um Gnade für die Gefange-
nen. 1 Dem Churfürſten Hermann, einem geborenen Wied,
der, wie erwähnt, Gewaltſamkeiten dieſer Art nicht liebte,
traten die Thränen in die Augen; da er auch ſeine weltlichen
Großen erſchüttert ſah, ſchenkte er den Verurtheilten das
1 Hamelmann hist. renov. evangelii 1328, hier m. Hauptquelle.
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