schwang, daß die beiden Henker ihm nicht ankommen konnten. Alles das Werk eines Momentes, in welchem zugleich die mit Mühe zurückgedrängte Sympathie des Volkes zum Aus- bruch kam. Der Magistrat gebot den Henkern abzustehn; die Menge führte den Schlachtorp, der das eroberte Schwert in den Händen hielt, triumphirend nach Hause. Hier starb er zwar, in Folge des Blutverlustes, der Wunde und der Anstrengung, am andern Tage; aber nie hatte man ein Leichenbegängniß erlebt, wie das seine. Männer und Wei- ber, Alt und Jung, Evangelisch- und Päpstlichgesinnte wa- ren in der Begleitung; Jedermann wollte das Richtschwert sehn, das auf dem Sarge lag. Man kann sich denken, wie sehr hiedurch die Gährung der Gemüther, der Wider- wille gegen den Rath anwachsen mußte; bei jeder Gelegen- heit sah derselbe den Aufruhr drohen, und hielt zuletzt für das Beste die Stadt zu verlassen (Juli 1533). Dann trat ein neuer Rath ein, und die evangelische Organisation ward vollständig vollzogen.
Auch die Ereignisse von Paderborn führen uns an ein Hochgericht, obwohl sie sich nicht so grauenvoll entwickelten. Auch hier nemlich hatte sich die Gemeine, nicht ohne Auflauf, die Freiheit der Predigt ertrotzt, und schon ein paar Kirchen an protestantische Prädicanten über- liefert; keine Unterhandlung des Landdrosten, keine Verord- nung des Landtags hatten sie davon zurückzubringen ver- mocht; als endlich der neugewählte Administrator des Stif- tes, Hermann von Cöln, mit den Vornehmsten des Lan- des und bewaffnetem Gefolge daselbst einritt, um die Hul- digung anzunehmen. Hermann war von Natur kein Ei-
Reform. in Weſtfalen. Paderborn.
ſchwang, daß die beiden Henker ihm nicht ankommen konnten. Alles das Werk eines Momentes, in welchem zugleich die mit Mühe zurückgedrängte Sympathie des Volkes zum Aus- bruch kam. Der Magiſtrat gebot den Henkern abzuſtehn; die Menge führte den Schlachtorp, der das eroberte Schwert in den Händen hielt, triumphirend nach Hauſe. Hier ſtarb er zwar, in Folge des Blutverluſtes, der Wunde und der Anſtrengung, am andern Tage; aber nie hatte man ein Leichenbegängniß erlebt, wie das ſeine. Männer und Wei- ber, Alt und Jung, Evangeliſch- und Päpſtlichgeſinnte wa- ren in der Begleitung; Jedermann wollte das Richtſchwert ſehn, das auf dem Sarge lag. Man kann ſich denken, wie ſehr hiedurch die Gährung der Gemüther, der Wider- wille gegen den Rath anwachſen mußte; bei jeder Gelegen- heit ſah derſelbe den Aufruhr drohen, und hielt zuletzt für das Beſte die Stadt zu verlaſſen (Juli 1533). Dann trat ein neuer Rath ein, und die evangeliſche Organiſation ward vollſtändig vollzogen.
Auch die Ereigniſſe von Paderborn führen uns an ein Hochgericht, obwohl ſie ſich nicht ſo grauenvoll entwickelten. Auch hier nemlich hatte ſich die Gemeine, nicht ohne Auflauf, die Freiheit der Predigt ertrotzt, und ſchon ein paar Kirchen an proteſtantiſche Prädicanten über- liefert; keine Unterhandlung des Landdroſten, keine Verord- nung des Landtags hatten ſie davon zurückzubringen ver- mocht; als endlich der neugewählte Adminiſtrator des Stif- tes, Hermann von Cöln, mit den Vornehmſten des Lan- des und bewaffnetem Gefolge daſelbſt einritt, um die Hul- digung anzunehmen. Hermann war von Natur kein Ei-
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Reform. in Weſtfalen. Paderborn.
ſchwang, daß die beiden Henker ihm nicht ankommen konnten.
Alles das Werk eines Momentes, in welchem zugleich die
mit Mühe zurückgedrängte Sympathie des Volkes zum Aus-
bruch kam. Der Magiſtrat gebot den Henkern abzuſtehn;
die Menge führte den Schlachtorp, der das eroberte Schwert
in den Händen hielt, triumphirend nach Hauſe. Hier ſtarb
er zwar, in Folge des Blutverluſtes, der Wunde und der
Anſtrengung, am andern Tage; aber nie hatte man ein
Leichenbegängniß erlebt, wie das ſeine. Männer und Wei-
ber, Alt und Jung, Evangeliſch- und Päpſtlichgeſinnte wa-
ren in der Begleitung; Jedermann wollte das Richtſchwert
ſehn, das auf dem Sarge lag. Man kann ſich denken,
wie ſehr hiedurch die Gährung der Gemüther, der Wider-
wille gegen den Rath anwachſen mußte; bei jeder Gelegen-
heit ſah derſelbe den Aufruhr drohen, und hielt zuletzt für
das Beſte die Stadt zu verlaſſen (Juli 1533). Dann trat
ein neuer Rath ein, und die evangeliſche Organiſation ward
vollſtändig vollzogen.
Auch die Ereigniſſe von Paderborn führen uns an
ein Hochgericht, obwohl ſie ſich nicht ſo grauenvoll
entwickelten. Auch hier nemlich hatte ſich die Gemeine,
nicht ohne Auflauf, die Freiheit der Predigt ertrotzt, und
ſchon ein paar Kirchen an proteſtantiſche Prädicanten über-
liefert; keine Unterhandlung des Landdroſten, keine Verord-
nung des Landtags hatten ſie davon zurückzubringen ver-
mocht; als endlich der neugewählte Adminiſtrator des Stif-
tes, Hermann von Cöln, mit den Vornehmſten des Lan-
des und bewaffnetem Gefolge daſelbſt einritt, um die Hul-
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 495. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/511>, abgerufen am 23.06.2024.
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