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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Sechstes Buch. Achtes Capitel.
gern, die noch zum Theil katholisch waren, die Waffen an.
Wir sind genöthigt, das Schlachtopfer auf das Schaffot
zu begleiten Als er dahin kam, wendete er sich noch ein-
mal an die Menge der evangelisch gesinnten Bürger, die
sich überaus zahlreich aber unbewaffnet versammelt hatten,
und indem er betheuerte, daß er nur um der Religion wil-
len sterben müsse, stimmte er das Lied an, "mit Fried und
Freud fahr ich dahin"; die ganze Menge fiel ein. Man
wußte wohl, daß dem armen Manne Gewalt geschehe, aber
der Rath hatte nun einmal das Recht des Schwerts; man
hielt sich nicht für befugt, in dasselbe einzugreifen. Der
Henker fragte, wer von den Verurtheilten zuerst sterben
wolle. Schlachtorp forderte diese Ehre für sich, saß auf
dem Armensünderstuhl nieder, ließ sein Hemd abstreifen und
und bot seinen Nacken dem Streiche dar. Da wollte nun
das Glück, daß der Henker denselben nicht richtig führte,
nicht den Hals traf, sondern den Rücken, so daß Schlacht-
orp mit dem Stuhl umschlug, eine furchtbare Wunde em-
pfangen hatte, aber noch lebte. Der andere Henker kam
herbei, hob ihn auf, und richtete ihm schon den Hals zu
dem wiederholten Schlag auf. Indem aber hatte Schlacht-
orp sein Bewußtseyn wiederbekommen; er meinte, dem
Rechte sein Recht gethan zu haben und zu nichts weiter
verpflichtet zu seyn; mit rascher Wendung, obwohl ihm die
Hände gebunden waren, entriß er dem Henker das schon
wieder gezückte Richtschwert, und hielt es mit einer durch
die Todesnoth verdoppelten Kraft fest, so lange bis er den
Strick um seine Hände mit den Zähnen zerrissen hatte, worauf
er die mit eignem Blut gefärbte Waffe so gewaltig um sich

Sechstes Buch. Achtes Capitel.
gern, die noch zum Theil katholiſch waren, die Waffen an.
Wir ſind genöthigt, das Schlachtopfer auf das Schaffot
zu begleiten Als er dahin kam, wendete er ſich noch ein-
mal an die Menge der evangeliſch geſinnten Bürger, die
ſich überaus zahlreich aber unbewaffnet verſammelt hatten,
und indem er betheuerte, daß er nur um der Religion wil-
len ſterben müſſe, ſtimmte er das Lied an, „mit Fried und
Freud fahr ich dahin“; die ganze Menge fiel ein. Man
wußte wohl, daß dem armen Manne Gewalt geſchehe, aber
der Rath hatte nun einmal das Recht des Schwerts; man
hielt ſich nicht für befugt, in daſſelbe einzugreifen. Der
Henker fragte, wer von den Verurtheilten zuerſt ſterben
wolle. Schlachtorp forderte dieſe Ehre für ſich, ſaß auf
dem Armenſünderſtuhl nieder, ließ ſein Hemd abſtreifen und
und bot ſeinen Nacken dem Streiche dar. Da wollte nun
das Glück, daß der Henker denſelben nicht richtig führte,
nicht den Hals traf, ſondern den Rücken, ſo daß Schlacht-
orp mit dem Stuhl umſchlug, eine furchtbare Wunde em-
pfangen hatte, aber noch lebte. Der andere Henker kam
herbei, hob ihn auf, und richtete ihm ſchon den Hals zu
dem wiederholten Schlag auf. Indem aber hatte Schlacht-
orp ſein Bewußtſeyn wiederbekommen; er meinte, dem
Rechte ſein Recht gethan zu haben und zu nichts weiter
verpflichtet zu ſeyn; mit raſcher Wendung, obwohl ihm die
Hände gebunden waren, entriß er dem Henker das ſchon
wieder gezückte Richtſchwert, und hielt es mit einer durch
die Todesnoth verdoppelten Kraft feſt, ſo lange bis er den
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er die mit eignem Blut gefärbte Waffe ſo gewaltig um ſich

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[494/0510] Sechstes Buch. Achtes Capitel. gern, die noch zum Theil katholiſch waren, die Waffen an. Wir ſind genöthigt, das Schlachtopfer auf das Schaffot zu begleiten Als er dahin kam, wendete er ſich noch ein- mal an die Menge der evangeliſch geſinnten Bürger, die ſich überaus zahlreich aber unbewaffnet verſammelt hatten, und indem er betheuerte, daß er nur um der Religion wil- len ſterben müſſe, ſtimmte er das Lied an, „mit Fried und Freud fahr ich dahin“; die ganze Menge fiel ein. Man wußte wohl, daß dem armen Manne Gewalt geſchehe, aber der Rath hatte nun einmal das Recht des Schwerts; man hielt ſich nicht für befugt, in daſſelbe einzugreifen. Der Henker fragte, wer von den Verurtheilten zuerſt ſterben wolle. Schlachtorp forderte dieſe Ehre für ſich, ſaß auf dem Armenſünderſtuhl nieder, ließ ſein Hemd abſtreifen und und bot ſeinen Nacken dem Streiche dar. Da wollte nun das Glück, daß der Henker denſelben nicht richtig führte, nicht den Hals traf, ſondern den Rücken, ſo daß Schlacht- orp mit dem Stuhl umſchlug, eine furchtbare Wunde em- pfangen hatte, aber noch lebte. Der andere Henker kam herbei, hob ihn auf, und richtete ihm ſchon den Hals zu dem wiederholten Schlag auf. Indem aber hatte Schlacht- orp ſein Bewußtſeyn wiederbekommen; er meinte, dem Rechte ſein Recht gethan zu haben und zu nichts weiter verpflichtet zu ſeyn; mit raſcher Wendung, obwohl ihm die Hände gebunden waren, entriß er dem Henker das ſchon wieder gezückte Richtſchwert, und hielt es mit einer durch die Todesnoth verdoppelten Kraft feſt, ſo lange bis er den Strick um ſeine Hände mit den Zähnen zerriſſen hatte, worauf er die mit eignem Blut gefärbte Waffe ſo gewaltig um ſich

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/510>, abgerufen am 22.11.2024.