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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
die noch in unzähligen andern Dingen abwich und in sich
selbst die mannichfaltigsten Verschiedenheiten entwickelte.

Es wäre wohl der Mühe werth, diesen excentrischen
Bildungen weiter nachzuforschen, die seltenen Schriften, in
denen sie sich ausgesprochen haben, zusammenzusuchen, ih-
rem innern Zusammenhang nachzuspüren.

So weit ich die Sache übersehen kann, finde ich in
Hinsicht der Lehre zwei, obwohl von demselben Punkte aus-
gehende, doch ganz verschiedene Directionen der Meinung.

Das Dogma von der Rechtfertigung beschäftigte die
Wiedertäufer so gut, wie die andern Zeitgenossen; sie schrit-
ten davon weiter fort zu den Fragen über die Naturen in
Christus und die Kräfte der Seele. Sie blieben wohl sämmt-
lich von der Freiheit des Willens überzeugt, und wider-
setzten sich in dieser Hinsicht den Lehren Luthers; allein sie
zogen daraus verschiedene Schlüsse.

Die Einen meinten, die Sache sey überaus einfach.
Der Mensch könne durch gutes Verhalten und eignes Wir-
ken allerdings die Seligkeit verdienen; Christus sey nicht so-
wohl unser Genugthuer, als unser Lehrer und Vater. Be
sonders hat Hans Denk, ein übrigens ausgezeichneter jun-
ger Mann, gelehrt, bieder, auch bescheiden -- er bekannte
wenigstens, was beinahe kein Anderer aus diesem Kreise
zugestehen wollte, daß er auch irren könne, -- diese Mei-
nung ausgebildet. Er ging davon aus, daß Gott die
Liebe sey, welche Fleisch und Blut nicht begreifen würden,
wenn er sie nicht in einigen Menschen darstellte, die man
göttliche Menschen, Gottes Kinder, nenne. In Einem aber
habe sich die Liebe am höchsten bewiesen, Jesu von Naza-

Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
die noch in unzähligen andern Dingen abwich und in ſich
ſelbſt die mannichfaltigſten Verſchiedenheiten entwickelte.

Es wäre wohl der Mühe werth, dieſen excentriſchen
Bildungen weiter nachzuforſchen, die ſeltenen Schriften, in
denen ſie ſich ausgeſprochen haben, zuſammenzuſuchen, ih-
rem innern Zuſammenhang nachzuſpüren.

So weit ich die Sache überſehen kann, finde ich in
Hinſicht der Lehre zwei, obwohl von demſelben Punkte aus-
gehende, doch ganz verſchiedene Directionen der Meinung.

Das Dogma von der Rechtfertigung beſchäftigte die
Wiedertäufer ſo gut, wie die andern Zeitgenoſſen; ſie ſchrit-
ten davon weiter fort zu den Fragen über die Naturen in
Chriſtus und die Kräfte der Seele. Sie blieben wohl ſämmt-
lich von der Freiheit des Willens überzeugt, und wider-
ſetzten ſich in dieſer Hinſicht den Lehren Luthers; allein ſie
zogen daraus verſchiedene Schlüſſe.

Die Einen meinten, die Sache ſey überaus einfach.
Der Menſch könne durch gutes Verhalten und eignes Wir-
ken allerdings die Seligkeit verdienen; Chriſtus ſey nicht ſo-
wohl unſer Genugthuer, als unſer Lehrer und Vater. Be
ſonders hat Hans Denk, ein übrigens ausgezeichneter jun-
ger Mann, gelehrt, bieder, auch beſcheiden — er bekannte
wenigſtens, was beinahe kein Anderer aus dieſem Kreiſe
zugeſtehen wollte, daß er auch irren könne, — dieſe Mei-
nung ausgebildet. Er ging davon aus, daß Gott die
Liebe ſey, welche Fleiſch und Blut nicht begreifen würden,
wenn er ſie nicht in einigen Menſchen darſtellte, die man
göttliche Menſchen, Gottes Kinder, nenne. In Einem aber
habe ſich die Liebe am höchſten bewieſen, Jeſu von Naza-

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[506/0522] Sechstes Buch. Neuntes Capitel. die noch in unzähligen andern Dingen abwich und in ſich ſelbſt die mannichfaltigſten Verſchiedenheiten entwickelte. Es wäre wohl der Mühe werth, dieſen excentriſchen Bildungen weiter nachzuforſchen, die ſeltenen Schriften, in denen ſie ſich ausgeſprochen haben, zuſammenzuſuchen, ih- rem innern Zuſammenhang nachzuſpüren. So weit ich die Sache überſehen kann, finde ich in Hinſicht der Lehre zwei, obwohl von demſelben Punkte aus- gehende, doch ganz verſchiedene Directionen der Meinung. Das Dogma von der Rechtfertigung beſchäftigte die Wiedertäufer ſo gut, wie die andern Zeitgenoſſen; ſie ſchrit- ten davon weiter fort zu den Fragen über die Naturen in Chriſtus und die Kräfte der Seele. Sie blieben wohl ſämmt- lich von der Freiheit des Willens überzeugt, und wider- ſetzten ſich in dieſer Hinſicht den Lehren Luthers; allein ſie zogen daraus verſchiedene Schlüſſe. Die Einen meinten, die Sache ſey überaus einfach. Der Menſch könne durch gutes Verhalten und eignes Wir- ken allerdings die Seligkeit verdienen; Chriſtus ſey nicht ſo- wohl unſer Genugthuer, als unſer Lehrer und Vater. Be ſonders hat Hans Denk, ein übrigens ausgezeichneter jun- ger Mann, gelehrt, bieder, auch beſcheiden — er bekannte wenigſtens, was beinahe kein Anderer aus dieſem Kreiſe zugeſtehen wollte, daß er auch irren könne, — dieſe Mei- nung ausgebildet. Er ging davon aus, daß Gott die Liebe ſey, welche Fleiſch und Blut nicht begreifen würden, wenn er ſie nicht in einigen Menſchen darſtellte, die man göttliche Menſchen, Gottes Kinder, nenne. In Einem aber habe ſich die Liebe am höchſten bewieſen, Jeſu von Naza-

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 506. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/522>, abgerufen am 22.11.2024.