Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Verschiedene Secten der Wiedertäufer.
genseitiger Unterstützung stehen. Die Einen sonderten sich
so vollkommen wie möglich ab, und hielten es selbst für
unchristlich, den Sonntag zu feiern; die Andern erklärten
es für unerlaubt, so vielen Besonderheiten nachzugehn. Bei
Sebastian Frank, der sie sehr wohl kannte, und selbst zu
ihnen gerechnet ward, findet sich ein langes Verzeichniß
von Abweichungen, die er unter ihnen wahrgenommen. 1

Da konnte nicht fehlen, daß sie nicht auf mancher-
lei Weise mit dem Staat in Widerspruch gerathen wären.

Zuerst fallen uns Diejenigen auf, welche Kriegs-
dienst und Eid verweigerten. Zu tödten hielten sie in je-
dem Fall für ein Verbrechen, zu schwören für unerlaubt
und sündlich. Unmöglich konnte man sich das in den Städ-
ten gefallen lassen, wo man noch immer auf Vertheidigung
durch die eignen Arme der Bürger angewiesen war, oder
wo sich wie in Strasburg der ganze Gehorsam an den
Bürgereid knüpfte, welcher an dem jährlichen Schwörtag
geleistet werden mußte.

Weiter nehmen wir Andere wahr, die sich etwa für
berufen hielten, die Ehe zu reformiren, denn nur eine solche
sey gültig, die im Geist geschlossen worden. Der Kürsch-
ner Claus Frei hatte sein Eheweib verlassen und zog mit
einer andern durch die Welt, welche er "seine einzige rechte
geistliche Eheschwester" nannte. 2

Alle fanden das Kirchenregiment, welches durch Ma-
gistrate und Prediger vereinigt aufgerichtet worden, uner-

1 Die dritt Chronika Von den Päpsten und geistlichen Hän-
deln p. 165.
2 Röhrich II, 93, 101.

Verſchiedene Secten der Wiedertaͤufer.
genſeitiger Unterſtützung ſtehen. Die Einen ſonderten ſich
ſo vollkommen wie möglich ab, und hielten es ſelbſt für
unchriſtlich, den Sonntag zu feiern; die Andern erklärten
es für unerlaubt, ſo vielen Beſonderheiten nachzugehn. Bei
Sebaſtian Frank, der ſie ſehr wohl kannte, und ſelbſt zu
ihnen gerechnet ward, findet ſich ein langes Verzeichniß
von Abweichungen, die er unter ihnen wahrgenommen. 1

Da konnte nicht fehlen, daß ſie nicht auf mancher-
lei Weiſe mit dem Staat in Widerſpruch gerathen wären.

Zuerſt fallen uns Diejenigen auf, welche Kriegs-
dienſt und Eid verweigerten. Zu tödten hielten ſie in je-
dem Fall für ein Verbrechen, zu ſchwören für unerlaubt
und ſündlich. Unmöglich konnte man ſich das in den Städ-
ten gefallen laſſen, wo man noch immer auf Vertheidigung
durch die eignen Arme der Bürger angewieſen war, oder
wo ſich wie in Strasburg der ganze Gehorſam an den
Bürgereid knüpfte, welcher an dem jährlichen Schwörtag
geleiſtet werden mußte.

Weiter nehmen wir Andere wahr, die ſich etwa für
berufen hielten, die Ehe zu reformiren, denn nur eine ſolche
ſey gültig, die im Geiſt geſchloſſen worden. Der Kürſch-
ner Claus Frei hatte ſein Eheweib verlaſſen und zog mit
einer andern durch die Welt, welche er „ſeine einzige rechte
geiſtliche Eheſchweſter“ nannte. 2

Alle fanden das Kirchenregiment, welches durch Ma-
giſtrate und Prediger vereinigt aufgerichtet worden, uner-

1 Die dritt Chronika Von den Paͤpſten und geiſtlichen Haͤn-
deln p. 165.
2 Roͤhrich II, 93, 101.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0527" n="511"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Ver&#x017F;chiedene Secten der Wiederta&#x0364;ufer</hi>.</fw><lb/>
gen&#x017F;eitiger Unter&#x017F;tützung &#x017F;tehen. Die Einen &#x017F;onderten &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;o vollkommen wie möglich ab, und hielten es &#x017F;elb&#x017F;t für<lb/>
unchri&#x017F;tlich, den Sonntag zu feiern; die Andern erklärten<lb/>
es für unerlaubt, &#x017F;o vielen Be&#x017F;onderheiten nachzugehn. Bei<lb/>
Seba&#x017F;tian Frank, der &#x017F;ie &#x017F;ehr wohl kannte, und &#x017F;elb&#x017F;t zu<lb/>
ihnen gerechnet ward, findet &#x017F;ich ein langes Verzeichniß<lb/>
von Abweichungen, die er unter ihnen wahrgenommen. <note place="foot" n="1">Die dritt Chronika Von den Pa&#x0364;p&#x017F;ten und gei&#x017F;tlichen Ha&#x0364;n-<lb/>
deln <hi rendition="#aq">p.</hi> 165.</note></p><lb/>
            <p>Da konnte nicht fehlen, daß &#x017F;ie nicht auf mancher-<lb/>
lei Wei&#x017F;e mit dem Staat in Wider&#x017F;pruch gerathen wären.</p><lb/>
            <p>Zuer&#x017F;t fallen uns Diejenigen auf, welche Kriegs-<lb/>
dien&#x017F;t und Eid verweigerten. Zu tödten hielten &#x017F;ie in je-<lb/>
dem Fall für ein Verbrechen, zu &#x017F;chwören für unerlaubt<lb/>
und &#x017F;ündlich. Unmöglich konnte man &#x017F;ich das in den Städ-<lb/>
ten gefallen la&#x017F;&#x017F;en, wo man noch immer auf Vertheidigung<lb/>
durch die eignen Arme der Bürger angewie&#x017F;en war, oder<lb/>
wo &#x017F;ich wie in Strasburg der ganze Gehor&#x017F;am an den<lb/>
Bürgereid knüpfte, welcher an dem jährlichen Schwörtag<lb/>
gelei&#x017F;tet werden mußte.</p><lb/>
            <p>Weiter nehmen wir Andere wahr, die &#x017F;ich etwa für<lb/>
berufen hielten, die Ehe zu reformiren, denn nur eine &#x017F;olche<lb/>
&#x017F;ey gültig, die im Gei&#x017F;t ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en worden. Der Kür&#x017F;ch-<lb/>
ner Claus Frei hatte &#x017F;ein Eheweib verla&#x017F;&#x017F;en und zog mit<lb/>
einer andern durch die Welt, welche er &#x201E;&#x017F;eine einzige rechte<lb/>
gei&#x017F;tliche Ehe&#x017F;chwe&#x017F;ter&#x201C; nannte. <note place="foot" n="2">Ro&#x0364;hrich <hi rendition="#aq">II,</hi> 93, 101.</note></p><lb/>
            <p>Alle fanden das Kirchenregiment, welches durch Ma-<lb/>
gi&#x017F;trate und Prediger vereinigt aufgerichtet worden, uner-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[511/0527] Verſchiedene Secten der Wiedertaͤufer. genſeitiger Unterſtützung ſtehen. Die Einen ſonderten ſich ſo vollkommen wie möglich ab, und hielten es ſelbſt für unchriſtlich, den Sonntag zu feiern; die Andern erklärten es für unerlaubt, ſo vielen Beſonderheiten nachzugehn. Bei Sebaſtian Frank, der ſie ſehr wohl kannte, und ſelbſt zu ihnen gerechnet ward, findet ſich ein langes Verzeichniß von Abweichungen, die er unter ihnen wahrgenommen. 1 Da konnte nicht fehlen, daß ſie nicht auf mancher- lei Weiſe mit dem Staat in Widerſpruch gerathen wären. Zuerſt fallen uns Diejenigen auf, welche Kriegs- dienſt und Eid verweigerten. Zu tödten hielten ſie in je- dem Fall für ein Verbrechen, zu ſchwören für unerlaubt und ſündlich. Unmöglich konnte man ſich das in den Städ- ten gefallen laſſen, wo man noch immer auf Vertheidigung durch die eignen Arme der Bürger angewieſen war, oder wo ſich wie in Strasburg der ganze Gehorſam an den Bürgereid knüpfte, welcher an dem jährlichen Schwörtag geleiſtet werden mußte. Weiter nehmen wir Andere wahr, die ſich etwa für berufen hielten, die Ehe zu reformiren, denn nur eine ſolche ſey gültig, die im Geiſt geſchloſſen worden. Der Kürſch- ner Claus Frei hatte ſein Eheweib verlaſſen und zog mit einer andern durch die Welt, welche er „ſeine einzige rechte geiſtliche Eheſchweſter“ nannte. 2 Alle fanden das Kirchenregiment, welches durch Ma- giſtrate und Prediger vereinigt aufgerichtet worden, uner- 1 Die dritt Chronika Von den Paͤpſten und geiſtlichen Haͤn- deln p. 165. 2 Roͤhrich II, 93, 101.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/527
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/527>, abgerufen am 22.11.2024.