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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
bei der Geburt von seiner Mutter nichts angenommen; in
ihm sey das reine Wort Fleisch geworden; denn Adams
Fleisch sey verflucht. Sehr verbreitet waren auch diese An-
sichten: wir finden wiedertäuferische Kirchenlieder, in denen
sie unumwunden ausgesprochen sind. 1 Nicht unwahrschein-
lich, daß Caspar Schwenkfeld, der ebenfalls die consti-
tuirte Kirche und die Kindertaufe verwarf, und die Crea-
türlichkeit des Leibes Christi leugnete, auf ihre Entwickelung
vielen Einfluß hatte. 2 Wohl nicht ohne Anstoß von ihm
hat sich Melchior Hoffmann so viel damit zu schaffen gemacht.
Hoffmann erklärte sich anfangs für die unbedingte Gnaden-
wahl; später behauptete er dagegen, ein Jeder könne der
Gnade theilhaftig werden; verloren sey nur ohne Erbarmen
Der, wer einmal erleuchtet, alsdann wieder abweiche. Alle
die, an welchen sich eine Spur der Gnade zeige, dachte
er durch die Wiedertaufe zu Einer Gemeinde zu vereinigen. 3

Noch viel mannichfaltigere Verschiedenheiten zeigten
sich nun aber unter den Wiedertäufern in Hinsicht des Le-
bens und der Gebräuche.

Die Einen hielten die Kindertaufe nur für unnütz, die
Andern für einen Gräuel. Die Einen forderten die strengste
Gütergemeinschaft, die Andern blieben bei der Pflicht ge-

1 Das Lied z. B., das in den münsterschen Geschichten und
Sagen p. 291 mitgetheilt ist. Der Gefangene wird da gefragt, ob
Christus von Mariä Fleisch und Blut sey.
"Das hab ich nie gelesen, hab ich vor ihnen bekannt,
"Wie soll der von Erde wesen, den Gott uns hat gesandt."
2 Bullinger an Vadian: sagt von Schwenkfeld: Hoffmanni
dogma de carne Christi coelitus delata primus invenit etsi jam
dissimulat.
Butzer giebt ihm die ganze Wiedertäuferei Schuld Epp.
Ref. p.
112.
3 Auszug aus seiner Auslegung des 12. Capitels Danielis bei
Krohn: Geschichte der Wiedertäufer (nur Melch. Hoffmanns) p. 90.

Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
bei der Geburt von ſeiner Mutter nichts angenommen; in
ihm ſey das reine Wort Fleiſch geworden; denn Adams
Fleiſch ſey verflucht. Sehr verbreitet waren auch dieſe An-
ſichten: wir finden wiedertäuferiſche Kirchenlieder, in denen
ſie unumwunden ausgeſprochen ſind. 1 Nicht unwahrſchein-
lich, daß Caspar Schwenkfeld, der ebenfalls die conſti-
tuirte Kirche und die Kindertaufe verwarf, und die Crea-
türlichkeit des Leibes Chriſti leugnete, auf ihre Entwickelung
vielen Einfluß hatte. 2 Wohl nicht ohne Anſtoß von ihm
hat ſich Melchior Hoffmann ſo viel damit zu ſchaffen gemacht.
Hoffmann erklärte ſich anfangs für die unbedingte Gnaden-
wahl; ſpäter behauptete er dagegen, ein Jeder könne der
Gnade theilhaftig werden; verloren ſey nur ohne Erbarmen
Der, wer einmal erleuchtet, alsdann wieder abweiche. Alle
die, an welchen ſich eine Spur der Gnade zeige, dachte
er durch die Wiedertaufe zu Einer Gemeinde zu vereinigen. 3

Noch viel mannichfaltigere Verſchiedenheiten zeigten
ſich nun aber unter den Wiedertäufern in Hinſicht des Le-
bens und der Gebräuche.

Die Einen hielten die Kindertaufe nur für unnütz, die
Andern für einen Gräuel. Die Einen forderten die ſtrengſte
Gütergemeinſchaft, die Andern blieben bei der Pflicht ge-

1 Das Lied z. B., das in den muͤnſterſchen Geſchichten und
Sagen p. 291 mitgetheilt iſt. Der Gefangene wird da gefragt, ob
Chriſtus von Mariaͤ Fleiſch und Blut ſey.
„Das hab ich nie geleſen, hab ich vor ihnen bekannt,
„Wie ſoll der von Erde weſen, den Gott uns hat geſandt.“
2 Bullinger an Vadian: ſagt von Schwenkfeld: Hoffmanni
dogma de carne Christi coelitus delata primus invenit etsi jam
dissimulat.
Butzer giebt ihm die ganze Wiedertaͤuferei Schuld Epp.
Ref. p.
112.
3 Auszug aus ſeiner Auslegung des 12. Capitels Danielis bei
Krohn: Geſchichte der Wiedertaͤufer (nur Melch. Hoffmanns) p. 90.
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[510/0526] Sechstes Buch. Neuntes Capitel. bei der Geburt von ſeiner Mutter nichts angenommen; in ihm ſey das reine Wort Fleiſch geworden; denn Adams Fleiſch ſey verflucht. Sehr verbreitet waren auch dieſe An- ſichten: wir finden wiedertäuferiſche Kirchenlieder, in denen ſie unumwunden ausgeſprochen ſind. 1 Nicht unwahrſchein- lich, daß Caspar Schwenkfeld, der ebenfalls die conſti- tuirte Kirche und die Kindertaufe verwarf, und die Crea- türlichkeit des Leibes Chriſti leugnete, auf ihre Entwickelung vielen Einfluß hatte. 2 Wohl nicht ohne Anſtoß von ihm hat ſich Melchior Hoffmann ſo viel damit zu ſchaffen gemacht. Hoffmann erklärte ſich anfangs für die unbedingte Gnaden- wahl; ſpäter behauptete er dagegen, ein Jeder könne der Gnade theilhaftig werden; verloren ſey nur ohne Erbarmen Der, wer einmal erleuchtet, alsdann wieder abweiche. Alle die, an welchen ſich eine Spur der Gnade zeige, dachte er durch die Wiedertaufe zu Einer Gemeinde zu vereinigen. 3 Noch viel mannichfaltigere Verſchiedenheiten zeigten ſich nun aber unter den Wiedertäufern in Hinſicht des Le- bens und der Gebräuche. Die Einen hielten die Kindertaufe nur für unnütz, die Andern für einen Gräuel. Die Einen forderten die ſtrengſte Gütergemeinſchaft, die Andern blieben bei der Pflicht ge- 1 Das Lied z. B., das in den muͤnſterſchen Geſchichten und Sagen p. 291 mitgetheilt iſt. Der Gefangene wird da gefragt, ob Chriſtus von Mariaͤ Fleiſch und Blut ſey. „Das hab ich nie geleſen, hab ich vor ihnen bekannt, „Wie ſoll der von Erde weſen, den Gott uns hat geſandt.“ 2 Bullinger an Vadian: ſagt von Schwenkfeld: Hoffmanni dogma de carne Christi coelitus delata primus invenit etsi jam dissimulat. Butzer giebt ihm die ganze Wiedertaͤuferei Schuld Epp. Ref. p. 112. 3 Auszug aus ſeiner Auslegung des 12. Capitels Danielis bei Krohn: Geſchichte der Wiedertaͤufer (nur Melch. Hoffmanns) p. 90.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 510. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/526>, abgerufen am 22.11.2024.