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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
tigen Aposteln, bald der einen bald der andern Secte,
durchzogen; man wußte nicht von wo sie kamen, wohin
sie gingen. Ihr erster Gruß war der Friede des Herrn,
an welchen sie die Lehre von der Nothwendigkeit brüderli-
cher Gemeinschaft in allen Dingen knüpften. Dann ka-
men sie auf das Verderben der Welt zu reden, die Gott
jedoch nun im Begriff sey zu züchtigen, wie denn in der
Gewalt, die er den Türken verstatte, schon der Anfang
solcher Züchtigung eingetreten. Sie wandten sich an die
damals sehr weit verbreitete Erwartung von einer bevorste-
henden mystischen Umwandlung aller Dinge. Von Osten
her verkündigte man die unter Zeichen und Wundern von
allerlei Art zu Babylon bereits geschehene Geburt des An-
tichrists, der jetzt sogar schon erwachsen sey und als ein
Gott verehrt werde. 1 In dem Westen hatte hie und da
das Glück Kaiser Carls V die ausschweifendsten Hoffnun-
gen erregt. Er werde Jerusalem erobern und das Ge-
bot ausgehn lassen, einen Jeden auf Erden zu tödten, der
das Kreuz nicht anbete; dann werde er von einem Engel
Gottes gekrönt werden, und in den Armen Christi ster-
ben. 2 Hie und da erwartete man allen Ernstes das
Ende der Welt, wofür man Tag und Stunde festsetzte.
An Träume dieser Art knüpften nun auch die Wieder-

1 Ein von den Rhodisern im Jahr 1532 verbreiteter Brief
in Corrodi Geschichte des Chiliasmus III, p. 20. Seine Mutter
hieß Rachuma (die Erbarmerin). Als er geboren ward (5. März)
erschien die Sonne bei Nacht -- verschwand darauf am folgenden
Tage. Es regnete Perlen, was das Volk bedeutet, das sich eidlich
verpflichtet ihm zu folgen.
2 Antonius Pontus, Hariadenus Barbarossa bei Matthaei Ana-
lecta veteris aevi I, p.
1. nennt es "ut vulgatissimum ita anti-
quissimum verbum divinum."

Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
tigen Apoſteln, bald der einen bald der andern Secte,
durchzogen; man wußte nicht von wo ſie kamen, wohin
ſie gingen. Ihr erſter Gruß war der Friede des Herrn,
an welchen ſie die Lehre von der Nothwendigkeit brüderli-
cher Gemeinſchaft in allen Dingen knüpften. Dann ka-
men ſie auf das Verderben der Welt zu reden, die Gott
jedoch nun im Begriff ſey zu züchtigen, wie denn in der
Gewalt, die er den Türken verſtatte, ſchon der Anfang
ſolcher Züchtigung eingetreten. Sie wandten ſich an die
damals ſehr weit verbreitete Erwartung von einer bevorſte-
henden myſtiſchen Umwandlung aller Dinge. Von Oſten
her verkündigte man die unter Zeichen und Wundern von
allerlei Art zu Babylon bereits geſchehene Geburt des An-
tichriſts, der jetzt ſogar ſchon erwachſen ſey und als ein
Gott verehrt werde. 1 In dem Weſten hatte hie und da
das Glück Kaiſer Carls V die ausſchweifendſten Hoffnun-
gen erregt. Er werde Jeruſalem erobern und das Ge-
bot ausgehn laſſen, einen Jeden auf Erden zu tödten, der
das Kreuz nicht anbete; dann werde er von einem Engel
Gottes gekrönt werden, und in den Armen Chriſti ſter-
ben. 2 Hie und da erwartete man allen Ernſtes das
Ende der Welt, wofür man Tag und Stunde feſtſetzte.
An Träume dieſer Art knüpften nun auch die Wieder-

1 Ein von den Rhodiſern im Jahr 1532 verbreiteter Brief
in Corrodi Geſchichte des Chiliasmus III, p. 20. Seine Mutter
hieß Rachuma (die Erbarmerin). Als er geboren ward (5. Maͤrz)
erſchien die Sonne bei Nacht — verſchwand darauf am folgenden
Tage. Es regnete Perlen, was das Volk bedeutet, das ſich eidlich
verpflichtet ihm zu folgen.
2 Antonius Pontus, Hariadenus Barbarossa bei Matthaei Ana-
lecta veteris aevi I, p.
1. nennt es „ut vulgatissimum ita anti-
quissimum verbum divinum.“
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[514/0530] Sechstes Buch. Neuntes Capitel. tigen Apoſteln, bald der einen bald der andern Secte, durchzogen; man wußte nicht von wo ſie kamen, wohin ſie gingen. Ihr erſter Gruß war der Friede des Herrn, an welchen ſie die Lehre von der Nothwendigkeit brüderli- cher Gemeinſchaft in allen Dingen knüpften. Dann ka- men ſie auf das Verderben der Welt zu reden, die Gott jedoch nun im Begriff ſey zu züchtigen, wie denn in der Gewalt, die er den Türken verſtatte, ſchon der Anfang ſolcher Züchtigung eingetreten. Sie wandten ſich an die damals ſehr weit verbreitete Erwartung von einer bevorſte- henden myſtiſchen Umwandlung aller Dinge. Von Oſten her verkündigte man die unter Zeichen und Wundern von allerlei Art zu Babylon bereits geſchehene Geburt des An- tichriſts, der jetzt ſogar ſchon erwachſen ſey und als ein Gott verehrt werde. 1 In dem Weſten hatte hie und da das Glück Kaiſer Carls V die ausſchweifendſten Hoffnun- gen erregt. Er werde Jeruſalem erobern und das Ge- bot ausgehn laſſen, einen Jeden auf Erden zu tödten, der das Kreuz nicht anbete; dann werde er von einem Engel Gottes gekrönt werden, und in den Armen Chriſti ſter- ben. 2 Hie und da erwartete man allen Ernſtes das Ende der Welt, wofür man Tag und Stunde feſtſetzte. An Träume dieſer Art knüpften nun auch die Wieder- 1 Ein von den Rhodiſern im Jahr 1532 verbreiteter Brief in Corrodi Geſchichte des Chiliasmus III, p. 20. Seine Mutter hieß Rachuma (die Erbarmerin). Als er geboren ward (5. Maͤrz) erſchien die Sonne bei Nacht — verſchwand darauf am folgenden Tage. Es regnete Perlen, was das Volk bedeutet, das ſich eidlich verpflichtet ihm zu folgen. 2 Antonius Pontus, Hariadenus Barbarossa bei Matthaei Ana- lecta veteris aevi I, p. 1. nennt es „ut vulgatissimum ita anti- quissimum verbum divinum.“

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 514. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/530>, abgerufen am 22.11.2024.