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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
Das hatte aber nur wieder die Folge, daß Rottmann
durch eine auffallend strenge Haltung, seinen Ruf wieder-
herzustellen suchte. Er fing an von dem Verderben der
Welt, der Nothwendigkeit der Werke der Barmherzigkeit
zu reden, und zeigte sich nicht zufrieden mit dem durch die
lutherische Reform hervorgebrachten Zustand. Auch in
Hinsicht des Dogmas wich er immer weiter ab; war es
nun Einfluß der heimlich umherziehenden Wiedertäufer,
oder kam er von selbst darauf: nachdem er den Ritus des
Abendmahls verändert, 1 begann er, wie berührt, die Recht-
mäßigkeit der Kindertaufe zu bestreiten. So wie die Wie-
dertäufer zahlreicher wurden, schloß er sich ihnen offen an.
Rottmann und seine Amtsgenossen waren so eben mit dem
Rath in bittere Streitigkeiten gerathen. Sie hatten für's
erste nachgeben, sich zurückziehen müssen. Welch bessere
Verbündete aber konnten sie finden, als die neuen Pro-
pheten, deren Verheißungen und Doctrinen sich überall
einen so mächtigen Einfluß verschafften? Das lutherische
System sprach der weltlichen Gewalt, auch den städtischen
Magistraten eine große Macht zu. Denn in der Anerken-
nung der Selbstständigkeit des weltlichen Elements lag eben
sein Wesen. Die wiedertäuferische Doctrin dagegen war
demselben entschieden feindselig; sie strebte selbst nach einer

1 Dorpius wahrhafftige Historie wie das Evangelium zu Mün-
ster angefangen, Bog. C. Brach semel in ein große breite schüssel,
gos wein darauff und nachdem er die Wort des Herrn vom nachtmal
dazu gesprochen hatt, hies er die so des Sacraments begerten zu-
greiffen und essen: davon ist er Stuten Bernhard genannt worden,
denn semel heißt auf ire sprach stuten.

Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
Das hatte aber nur wieder die Folge, daß Rottmann
durch eine auffallend ſtrenge Haltung, ſeinen Ruf wieder-
herzuſtellen ſuchte. Er fing an von dem Verderben der
Welt, der Nothwendigkeit der Werke der Barmherzigkeit
zu reden, und zeigte ſich nicht zufrieden mit dem durch die
lutheriſche Reform hervorgebrachten Zuſtand. Auch in
Hinſicht des Dogmas wich er immer weiter ab; war es
nun Einfluß der heimlich umherziehenden Wiedertäufer,
oder kam er von ſelbſt darauf: nachdem er den Ritus des
Abendmahls verändert, 1 begann er, wie berührt, die Recht-
mäßigkeit der Kindertaufe zu beſtreiten. So wie die Wie-
dertäufer zahlreicher wurden, ſchloß er ſich ihnen offen an.
Rottmann und ſeine Amtsgenoſſen waren ſo eben mit dem
Rath in bittere Streitigkeiten gerathen. Sie hatten für’s
erſte nachgeben, ſich zurückziehen müſſen. Welch beſſere
Verbündete aber konnten ſie finden, als die neuen Pro-
pheten, deren Verheißungen und Doctrinen ſich überall
einen ſo mächtigen Einfluß verſchafften? Das lutheriſche
Syſtem ſprach der weltlichen Gewalt, auch den ſtädtiſchen
Magiſtraten eine große Macht zu. Denn in der Anerken-
nung der Selbſtſtändigkeit des weltlichen Elements lag eben
ſein Weſen. Die wiedertäuferiſche Doctrin dagegen war
demſelben entſchieden feindſelig; ſie ſtrebte ſelbſt nach einer

1 Dorpius wahrhafftige Hiſtorie wie das Evangelium zu Muͤn-
ſter angefangen, Bog. C. Brach ſemel in ein große breite ſchuͤſſel,
gos wein darauff und nachdem er die Wort des Herrn vom nachtmal
dazu geſprochen hatt, hies er die ſo des Sacraments begerten zu-
greiffen und eſſen: davon iſt er Stuten Bernhard genannt worden,
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[520/0536] Sechstes Buch. Neuntes Capitel. Das hatte aber nur wieder die Folge, daß Rottmann durch eine auffallend ſtrenge Haltung, ſeinen Ruf wieder- herzuſtellen ſuchte. Er fing an von dem Verderben der Welt, der Nothwendigkeit der Werke der Barmherzigkeit zu reden, und zeigte ſich nicht zufrieden mit dem durch die lutheriſche Reform hervorgebrachten Zuſtand. Auch in Hinſicht des Dogmas wich er immer weiter ab; war es nun Einfluß der heimlich umherziehenden Wiedertäufer, oder kam er von ſelbſt darauf: nachdem er den Ritus des Abendmahls verändert, 1 begann er, wie berührt, die Recht- mäßigkeit der Kindertaufe zu beſtreiten. So wie die Wie- dertäufer zahlreicher wurden, ſchloß er ſich ihnen offen an. Rottmann und ſeine Amtsgenoſſen waren ſo eben mit dem Rath in bittere Streitigkeiten gerathen. Sie hatten für’s erſte nachgeben, ſich zurückziehen müſſen. Welch beſſere Verbündete aber konnten ſie finden, als die neuen Pro- pheten, deren Verheißungen und Doctrinen ſich überall einen ſo mächtigen Einfluß verſchafften? Das lutheriſche Syſtem ſprach der weltlichen Gewalt, auch den ſtädtiſchen Magiſtraten eine große Macht zu. Denn in der Anerken- nung der Selbſtſtändigkeit des weltlichen Elements lag eben ſein Weſen. Die wiedertäuferiſche Doctrin dagegen war demſelben entſchieden feindſelig; ſie ſtrebte ſelbſt nach einer 1 Dorpius wahrhafftige Hiſtorie wie das Evangelium zu Muͤn- ſter angefangen, Bog. C. Brach ſemel in ein große breite ſchuͤſſel, gos wein darauff und nachdem er die Wort des Herrn vom nachtmal dazu geſprochen hatt, hies er die ſo des Sacraments begerten zu- greiffen und eſſen: davon iſt er Stuten Bernhard genannt worden, denn ſemel heißt auf ire ſprach ſtuten.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/536>, abgerufen am 22.11.2024.