Sie waren jetzt in Münster zum ersten Mal in der Welt zu einem gesetzlich anerkannten Daseyn gelangt. Von allen Seiten strömten die Gleichgesinnten daselbst zusam- men; Männer ohne ihre Frauen, Frauen ohne ihre Män- ner; auch ganze Familien; Rottmann hatte jeden, der sich einfinden würde, zehnfältigen Ersatz alles dessen, was er verlassen, versprochen.
So rasch war der Umschwung, daß, als es am 21. Februar zu einer neuen Rathswahl kam, die Wiedertäufer die Oberhand gewannen. Schon die Wahlherren wur- den nicht mehr nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist gewählt; es waren lauter erleuchtete Handwerker. Diese besetzten nun, wie sich versteht, alle öffentlichen Stellen mit ihren Glaubensgenossen. Knipperdolling ward zum Bürgermeister gewählt. Die ganze städtische Gewalt ging über in die Hände der Wiedertäufer.
Und diese waren nun nicht gemeint, ihre Gegner zu schonen, oder auch nur einen Augenblick neben sich zu dul- den. Am 27. Februar ward eine große Versammlung bewaffneter Wiedertäufer auf dem Rathhaus gehalten. Eine Zeitlang brachten sie im Gebete zu; der Prophet schien wie in Schlaf verfallen; plötzlich aber fuhr er auf, und erklärte, man müsse die Ungläubigen, wofern sie sich nicht bekehren, sofort verjagen, das sey der Wille Gottes. Er verbarg nicht, worauf es zunächst abgesehn war. "Hin- weg mit den Kindern Esaus" rief er, "die Erbschaft ge- hört den Kindern Jacobs." Mit dem Enthusiasmus ver- einigte sich die Habsucht. Hierauf erscholl das Geschrei "heraus ihr Gottlosen," furchtbar durch die Straßen.
Siege der Wiedertaͤufer.
Sie waren jetzt in Münſter zum erſten Mal in der Welt zu einem geſetzlich anerkannten Daſeyn gelangt. Von allen Seiten ſtrömten die Gleichgeſinnten daſelbſt zuſam- men; Männer ohne ihre Frauen, Frauen ohne ihre Män- ner; auch ganze Familien; Rottmann hatte jeden, der ſich einfinden würde, zehnfältigen Erſatz alles deſſen, was er verlaſſen, verſprochen.
So raſch war der Umſchwung, daß, als es am 21. Februar zu einer neuen Rathswahl kam, die Wiedertäufer die Oberhand gewannen. Schon die Wahlherren wur- den nicht mehr nach dem Fleiſch, ſondern nach dem Geiſt gewählt; es waren lauter erleuchtete Handwerker. Dieſe beſetzten nun, wie ſich verſteht, alle öffentlichen Stellen mit ihren Glaubensgenoſſen. Knipperdolling ward zum Bürgermeiſter gewählt. Die ganze ſtädtiſche Gewalt ging über in die Hände der Wiedertäufer.
Und dieſe waren nun nicht gemeint, ihre Gegner zu ſchonen, oder auch nur einen Augenblick neben ſich zu dul- den. Am 27. Februar ward eine große Verſammlung bewaffneter Wiedertäufer auf dem Rathhaus gehalten. Eine Zeitlang brachten ſie im Gebete zu; der Prophet ſchien wie in Schlaf verfallen; plötzlich aber fuhr er auf, und erklärte, man müſſe die Ungläubigen, wofern ſie ſich nicht bekehren, ſofort verjagen, das ſey der Wille Gottes. Er verbarg nicht, worauf es zunächſt abgeſehn war. „Hin- weg mit den Kindern Eſaus“ rief er, „die Erbſchaft ge- hört den Kindern Jacobs.“ Mit dem Enthuſiasmus ver- einigte ſich die Habſucht. Hierauf erſcholl das Geſchrei „heraus ihr Gottloſen,“ furchtbar durch die Straßen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0541"n="525"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Siege der Wiedertaͤufer</hi>.</fw><lb/><p>Sie waren jetzt in Münſter zum erſten Mal in der<lb/>
Welt zu einem geſetzlich anerkannten Daſeyn gelangt. Von<lb/>
allen Seiten ſtrömten die Gleichgeſinnten daſelbſt zuſam-<lb/>
men; Männer ohne ihre Frauen, Frauen ohne ihre Män-<lb/>
ner; auch ganze Familien; Rottmann hatte jeden, der<lb/>ſich einfinden würde, zehnfältigen Erſatz alles deſſen, was<lb/>
er verlaſſen, verſprochen.</p><lb/><p>So raſch war der Umſchwung, daß, als es am 21.<lb/>
Februar zu einer neuen Rathswahl kam, die Wiedertäufer<lb/>
die Oberhand gewannen. Schon die Wahlherren wur-<lb/>
den nicht mehr nach dem Fleiſch, ſondern nach dem Geiſt<lb/>
gewählt; es waren lauter erleuchtete Handwerker. Dieſe<lb/>
beſetzten nun, wie ſich verſteht, alle öffentlichen Stellen<lb/>
mit ihren Glaubensgenoſſen. Knipperdolling ward zum<lb/>
Bürgermeiſter gewählt. Die ganze ſtädtiſche Gewalt ging<lb/>
über in die Hände der Wiedertäufer.</p><lb/><p>Und dieſe waren nun nicht gemeint, ihre Gegner zu<lb/>ſchonen, oder auch nur einen Augenblick neben ſich zu dul-<lb/>
den. Am 27. Februar ward eine große Verſammlung<lb/>
bewaffneter Wiedertäufer auf dem Rathhaus gehalten.<lb/>
Eine Zeitlang brachten ſie im Gebete zu; der Prophet<lb/>ſchien wie in Schlaf verfallen; plötzlich aber fuhr er auf,<lb/>
und erklärte, man müſſe die Ungläubigen, wofern ſie ſich<lb/>
nicht bekehren, ſofort verjagen, das ſey der Wille Gottes.<lb/>
Er verbarg nicht, worauf es zunächſt abgeſehn war. „Hin-<lb/>
weg mit den Kindern Eſaus“ rief er, „die Erbſchaft ge-<lb/>
hört den Kindern Jacobs.“ Mit dem Enthuſiasmus ver-<lb/>
einigte ſich die Habſucht. Hierauf erſcholl das Geſchrei<lb/>„heraus ihr Gottloſen,“ furchtbar durch die Straßen.<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[525/0541]
Siege der Wiedertaͤufer.
Sie waren jetzt in Münſter zum erſten Mal in der
Welt zu einem geſetzlich anerkannten Daſeyn gelangt. Von
allen Seiten ſtrömten die Gleichgeſinnten daſelbſt zuſam-
men; Männer ohne ihre Frauen, Frauen ohne ihre Män-
ner; auch ganze Familien; Rottmann hatte jeden, der
ſich einfinden würde, zehnfältigen Erſatz alles deſſen, was
er verlaſſen, verſprochen.
So raſch war der Umſchwung, daß, als es am 21.
Februar zu einer neuen Rathswahl kam, die Wiedertäufer
die Oberhand gewannen. Schon die Wahlherren wur-
den nicht mehr nach dem Fleiſch, ſondern nach dem Geiſt
gewählt; es waren lauter erleuchtete Handwerker. Dieſe
beſetzten nun, wie ſich verſteht, alle öffentlichen Stellen
mit ihren Glaubensgenoſſen. Knipperdolling ward zum
Bürgermeiſter gewählt. Die ganze ſtädtiſche Gewalt ging
über in die Hände der Wiedertäufer.
Und dieſe waren nun nicht gemeint, ihre Gegner zu
ſchonen, oder auch nur einen Augenblick neben ſich zu dul-
den. Am 27. Februar ward eine große Verſammlung
bewaffneter Wiedertäufer auf dem Rathhaus gehalten.
Eine Zeitlang brachten ſie im Gebete zu; der Prophet
ſchien wie in Schlaf verfallen; plötzlich aber fuhr er auf,
und erklärte, man müſſe die Ungläubigen, wofern ſie ſich
nicht bekehren, ſofort verjagen, das ſey der Wille Gottes.
Er verbarg nicht, worauf es zunächſt abgeſehn war. „Hin-
weg mit den Kindern Eſaus“ rief er, „die Erbſchaft ge-
hört den Kindern Jacobs.“ Mit dem Enthuſiasmus ver-
einigte ſich die Habſucht. Hierauf erſcholl das Geſchrei
„heraus ihr Gottloſen,“ furchtbar durch die Straßen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 525. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/541>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.