Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.Sechstes Buch. Neuntes Capitel. Es war ein stürmischer Tag des späten Winters. DerSchnee, der noch sehr hoch lag, fing eben an zu schmel- zen: ein heftiger Wind jagte Regen und Schnee durch die untere Atmosphäre. Die Häuser wurden mit Gewalt eröffnet, und Alle von ihrem Heerde verjagt, die ihre Taufe nicht verleugnen wollten. Ein Augenzeuge hat den klägli- chen Anblick geschildert, wie die Mütter, ihre halbnackten Kinder auf den Armen nichts weiter mit sich nehmen durften als eben diese; wie die kleinen Knaben neben ihren Eltern in bloßen Füßen durch den Schnee wateten, wie man den alten Männern, die an ihrem Stabe die Stadt ver- ließen, unter dem Thor noch den letzten Zehrpfennig ab- nahm, den elenden Rest von dem Erwerbe eines langen arbeitsamen Lebens. 1 So wurden die Wiedertäufer nicht allein die Herren Und nun würden wohl die Wiedertäufer sofort dazu 1 Kersenbroik Historia anabaptistica MS. denn es bleibt
immer nothwendig mit der deutschen Uebersetzung dieses Werkes 1771 das Original zu vergleichen. Der Abdruck bei Mencken umfaßt kaum ein Drittheil des Originals, und zwar fehlen eben die Hauptsachen. Sechstes Buch. Neuntes Capitel. Es war ein ſtürmiſcher Tag des ſpäten Winters. DerSchnee, der noch ſehr hoch lag, fing eben an zu ſchmel- zen: ein heftiger Wind jagte Regen und Schnee durch die untere Atmoſphäre. Die Häuſer wurden mit Gewalt eröffnet, und Alle von ihrem Heerde verjagt, die ihre Taufe nicht verleugnen wollten. Ein Augenzeuge hat den klägli- chen Anblick geſchildert, wie die Mütter, ihre halbnackten Kinder auf den Armen nichts weiter mit ſich nehmen durften als eben dieſe; wie die kleinen Knaben neben ihren Eltern in bloßen Füßen durch den Schnee wateten, wie man den alten Männern, die an ihrem Stabe die Stadt ver- ließen, unter dem Thor noch den letzten Zehrpfennig ab- nahm, den elenden Reſt von dem Erwerbe eines langen arbeitſamen Lebens. 1 So wurden die Wiedertäufer nicht allein die Herren Und nun würden wohl die Wiedertäufer ſofort dazu 1 Kersenbroik Historia anabaptistica MS. denn es bleibt
immer nothwendig mit der deutſchen Ueberſetzung dieſes Werkes 1771 das Original zu vergleichen. Der Abdruck bei Mencken umfaßt kaum ein Drittheil des Originals, und zwar fehlen eben die Hauptſachen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0542" n="526"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Sechstes Buch. Neuntes Capitel</hi>.</fw><lb/> Es war ein ſtürmiſcher Tag des ſpäten Winters. Der<lb/> Schnee, der noch ſehr hoch lag, fing eben an zu ſchmel-<lb/> zen: ein heftiger Wind jagte Regen und Schnee durch<lb/> die untere Atmoſphäre. Die Häuſer wurden mit Gewalt<lb/> eröffnet, und Alle von ihrem Heerde verjagt, die ihre Taufe<lb/> nicht verleugnen wollten. Ein Augenzeuge hat den klägli-<lb/> chen Anblick geſchildert, wie die Mütter, ihre halbnackten<lb/> Kinder auf den Armen nichts weiter mit ſich nehmen durften<lb/> als eben dieſe; wie die kleinen Knaben neben ihren Eltern<lb/> in bloßen Füßen durch den Schnee wateten, wie man<lb/> den alten Männern, die an ihrem Stabe die Stadt ver-<lb/> ließen, unter dem Thor noch den letzten Zehrpfennig ab-<lb/> nahm, den elenden Reſt von dem Erwerbe eines langen<lb/> arbeitſamen Lebens. <note place="foot" n="1"><hi rendition="#aq">Kersenbroik Historia anabaptistica MS.</hi> denn es bleibt<lb/> immer nothwendig mit der deutſchen Ueberſetzung dieſes Werkes 1771<lb/> das Original zu vergleichen. Der Abdruck bei Mencken umfaßt kaum<lb/> ein Drittheil des Originals, und zwar fehlen eben die Hauptſachen.</note></p><lb/> <p>So wurden die Wiedertäufer nicht allein die Herren<lb/> in der Stadt, ſondern auch ihre alleinigen Inhaber. Was<lb/> ihre Gegner an ihnen zu thun ſich geſcheut, vollzogen ſie<lb/> nun an dieſen mit fanatiſcher Begier. Sie theilten die<lb/> Stadt unter ſich aus. Die verſchiedenen Landsmannſchaf-<lb/> ten nahmen die geiſtlichen Gebäude ein. Die fahrende<lb/> Habe der Vertriebenen ward auf die Canzlei zuſammenge-<lb/> bracht; Matthys bezeichnete ſieben Diaconen, welche die-<lb/> ſelben den Gläubigen, einem jeden nach ſeinem Bedürfniß,<lb/> nach und nach vertheilen ſollten.</p><lb/> <p>Und nun würden wohl die Wiedertäufer ſofort dazu<lb/> geſchritten ſeyn, ihre Herrſchaft auch nach außen auszu-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [526/0542]
Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
Es war ein ſtürmiſcher Tag des ſpäten Winters. Der
Schnee, der noch ſehr hoch lag, fing eben an zu ſchmel-
zen: ein heftiger Wind jagte Regen und Schnee durch
die untere Atmoſphäre. Die Häuſer wurden mit Gewalt
eröffnet, und Alle von ihrem Heerde verjagt, die ihre Taufe
nicht verleugnen wollten. Ein Augenzeuge hat den klägli-
chen Anblick geſchildert, wie die Mütter, ihre halbnackten
Kinder auf den Armen nichts weiter mit ſich nehmen durften
als eben dieſe; wie die kleinen Knaben neben ihren Eltern
in bloßen Füßen durch den Schnee wateten, wie man
den alten Männern, die an ihrem Stabe die Stadt ver-
ließen, unter dem Thor noch den letzten Zehrpfennig ab-
nahm, den elenden Reſt von dem Erwerbe eines langen
arbeitſamen Lebens. 1
So wurden die Wiedertäufer nicht allein die Herren
in der Stadt, ſondern auch ihre alleinigen Inhaber. Was
ihre Gegner an ihnen zu thun ſich geſcheut, vollzogen ſie
nun an dieſen mit fanatiſcher Begier. Sie theilten die
Stadt unter ſich aus. Die verſchiedenen Landsmannſchaf-
ten nahmen die geiſtlichen Gebäude ein. Die fahrende
Habe der Vertriebenen ward auf die Canzlei zuſammenge-
bracht; Matthys bezeichnete ſieben Diaconen, welche die-
ſelben den Gläubigen, einem jeden nach ſeinem Bedürfniß,
nach und nach vertheilen ſollten.
Und nun würden wohl die Wiedertäufer ſofort dazu
geſchritten ſeyn, ihre Herrſchaft auch nach außen auszu-
1 Kersenbroik Historia anabaptistica MS. denn es bleibt
immer nothwendig mit der deutſchen Ueberſetzung dieſes Werkes 1771
das Original zu vergleichen. Der Abdruck bei Mencken umfaßt kaum
ein Drittheil des Originals, und zwar fehlen eben die Hauptſachen.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |