Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.Sechstes Buch. Neuntes Capitel. von Anfang an bestimmt. Die erste habe Daniel wenig-stens mit einem Thiere verglichen, doch nicht die letzte: dieses letzte vierte Ungeheuer habe wegen seiner blutdür- stigen Tyrannei seines Gleichen nicht auf Erden. Aber schon sey auch dessen Zeit gekommen; an seinem Erkrachen höre man bereits wie nahe sein Fall sey; alle sein Reich- thum solle den treuen Hausgenossen zur Beute werden. 1 Sie hielten dafür, daß man diesen Moment ergreifen Die Einwendung, daß Christi Reich nicht von dieser 1 Rothmann von tydliker und irdischer Gewalt: handschrift- lich in Münster; excerpirt in Jochmus Geschichte der Wiedertäufer, p. 188. Es ist übrigens merkwürdig, welch eine auffallende Aehn- lichkeit diese Gedanken mit den Ideen habe, welche Robespierre pro- clamirte, nachdem er den Atheismus niedergekämpft zu haben glaubte. Man vergl. seine Rede am Fest des höchsten Wesens 8. Juni 1794. "L'auteur de la nature avait lie les mortels par une chaine im- mense d'amour et de felicite; perissent les tyrans, qui ont ose la briser. Francais republicains c'est a vous de purifier la terre qu'ils ont souillee et d'y appeller la justice, qu'ils en ont banni. Buchez et Roux histoire parlementaire XXXIII, p. 179. Der Unterschied liegt nur in den überkommenen Religionsbegriffen; die Intention, einen ursprünglichen Glückszustand herzustellen, ist ganz dieselbe. 2 Eine Probe ihrer Exegese gewährt das Bekenntniß des ehe-
maligen Pfarrers Diest: Christus spreckt, myn rike ist nicht van die- ser werlt, heft dusen Verstand: Christus rick ist ein rick der Gerech- ticheit und der Wairheit, dat rike avers duser werlt ist ein rieke der bosheit und ungerechtigkeit. Sechstes Buch. Neuntes Capitel. von Anfang an beſtimmt. Die erſte habe Daniel wenig-ſtens mit einem Thiere verglichen, doch nicht die letzte: dieſes letzte vierte Ungeheuer habe wegen ſeiner blutdür- ſtigen Tyrannei ſeines Gleichen nicht auf Erden. Aber ſchon ſey auch deſſen Zeit gekommen; an ſeinem Erkrachen höre man bereits wie nahe ſein Fall ſey; alle ſein Reich- thum ſolle den treuen Hausgenoſſen zur Beute werden. 1 Sie hielten dafür, daß man dieſen Moment ergreifen Die Einwendung, daß Chriſti Reich nicht von dieſer 1 Rothmann von tydliker und irdiſcher Gewalt: handſchrift- lich in Muͤnſter; excerpirt in Jochmus Geſchichte der Wiedertaͤufer, p. 188. Es iſt uͤbrigens merkwuͤrdig, welch eine auffallende Aehn- lichkeit dieſe Gedanken mit den Ideen habe, welche Robespierre pro- clamirte, nachdem er den Atheismus niedergekaͤmpft zu haben glaubte. Man vergl. ſeine Rede am Feſt des hoͤchſten Weſens 8. Juni 1794. „L’auteur de la nature avait lié les mortels par une chaine im- mense d’amour et de felicité; perissent les tyrans, qui ont osé la briser. Français republicains c’est à vous de purifier la terre qu’ils ont souillée et d’y appeller la justice, qu’ils en ont banni. Buchez et Roux histoire parlementaire XXXIII, p. 179. Der Unterſchied liegt nur in den uͤberkommenen Religionsbegriffen; die Intention, einen urſpruͤnglichen Gluͤckszuſtand herzuſtellen, iſt ganz dieſelbe. 2 Eine Probe ihrer Exegeſe gewaͤhrt das Bekenntniß des ehe-
maligen Pfarrers Dieſt: Chriſtus ſpreckt, myn rike iſt nicht van die- ſer werlt, heft duſen Verſtand: Chriſtus rick iſt ein rick der Gerech- ticheit und der Wairheit, dat rike avers duſer werlt iſt ein rieke der bosheit und ungerechtigkeit. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0554" n="538"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Sechstes Buch. Neuntes Capitel</hi>.</fw><lb/> von Anfang an beſtimmt. Die erſte habe Daniel wenig-<lb/> ſtens mit einem Thiere verglichen, doch nicht die letzte:<lb/> dieſes letzte vierte Ungeheuer habe wegen ſeiner blutdür-<lb/> ſtigen Tyrannei ſeines Gleichen nicht auf Erden. Aber<lb/> ſchon ſey auch deſſen Zeit gekommen; an ſeinem Erkrachen<lb/> höre man bereits wie nahe ſein Fall ſey; alle ſein Reich-<lb/> thum ſolle den treuen Hausgenoſſen zur Beute werden. <note place="foot" n="1">Rothmann von tydliker und irdiſcher Gewalt: handſchrift-<lb/> lich in Muͤnſter; excerpirt in Jochmus Geſchichte der Wiedertaͤufer,<lb/><hi rendition="#aq">p.</hi> 188. Es iſt uͤbrigens merkwuͤrdig, welch eine auffallende Aehn-<lb/> lichkeit dieſe Gedanken mit den Ideen habe, welche Robespierre pro-<lb/> clamirte, nachdem er den Atheismus niedergekaͤmpft zu haben glaubte.<lb/> Man vergl. ſeine Rede am Feſt des hoͤchſten Weſens 8. Juni 1794.<lb/><hi rendition="#aq">„L’auteur de la nature avait lié les mortels par une chaine im-<lb/> mense d’amour et de felicité; perissent les tyrans, qui ont osé<lb/> la briser. Français republicains c’est à vous de purifier la terre<lb/> qu’ils ont souillée et d’y appeller la justice, qu’ils en ont<lb/> banni. Buchez et Roux histoire parlementaire XXXIII, p.</hi> 179.<lb/> Der Unterſchied liegt nur in den uͤberkommenen Religionsbegriffen;<lb/> die Intention, einen urſpruͤnglichen Gluͤckszuſtand herzuſtellen, iſt<lb/> ganz dieſelbe.</note></p><lb/> <p>Sie hielten dafür, daß man dieſen Moment ergreifen<lb/> müſſe, damit es nicht auch den Chriſten gehe, wie einſt<lb/> den Juden, welche die Zeit ihrer Heimſuchung nicht wahr-<lb/> genommen.</p><lb/> <p>Die Einwendung, daß Chriſti Reich nicht von dieſer<lb/> Welt ſey, wußten ſie auf ihre Weiſe zu beſeitigen. <note place="foot" n="2">Eine Probe ihrer Exegeſe gewaͤhrt das Bekenntniß des ehe-<lb/> maligen Pfarrers Dieſt: Chriſtus ſpreckt, myn rike iſt nicht van die-<lb/> ſer werlt, heft duſen Verſtand: Chriſtus rick iſt ein rick der Gerech-<lb/> ticheit und der Wairheit, dat rike avers duſer werlt iſt ein rieke der<lb/> bosheit und ungerechtigkeit.</note> Sie<lb/> unterſchieden ein geiſtliches Reich, das in die Zeit des Lei-<lb/> dens gehöre, und ein leibliches Reich der Glorie und Herr-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [538/0554]
Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
von Anfang an beſtimmt. Die erſte habe Daniel wenig-
ſtens mit einem Thiere verglichen, doch nicht die letzte:
dieſes letzte vierte Ungeheuer habe wegen ſeiner blutdür-
ſtigen Tyrannei ſeines Gleichen nicht auf Erden. Aber
ſchon ſey auch deſſen Zeit gekommen; an ſeinem Erkrachen
höre man bereits wie nahe ſein Fall ſey; alle ſein Reich-
thum ſolle den treuen Hausgenoſſen zur Beute werden. 1
Sie hielten dafür, daß man dieſen Moment ergreifen
müſſe, damit es nicht auch den Chriſten gehe, wie einſt
den Juden, welche die Zeit ihrer Heimſuchung nicht wahr-
genommen.
Die Einwendung, daß Chriſti Reich nicht von dieſer
Welt ſey, wußten ſie auf ihre Weiſe zu beſeitigen. 2 Sie
unterſchieden ein geiſtliches Reich, das in die Zeit des Lei-
dens gehöre, und ein leibliches Reich der Glorie und Herr-
1 Rothmann von tydliker und irdiſcher Gewalt: handſchrift-
lich in Muͤnſter; excerpirt in Jochmus Geſchichte der Wiedertaͤufer,
p. 188. Es iſt uͤbrigens merkwuͤrdig, welch eine auffallende Aehn-
lichkeit dieſe Gedanken mit den Ideen habe, welche Robespierre pro-
clamirte, nachdem er den Atheismus niedergekaͤmpft zu haben glaubte.
Man vergl. ſeine Rede am Feſt des hoͤchſten Weſens 8. Juni 1794.
„L’auteur de la nature avait lié les mortels par une chaine im-
mense d’amour et de felicité; perissent les tyrans, qui ont osé
la briser. Français republicains c’est à vous de purifier la terre
qu’ils ont souillée et d’y appeller la justice, qu’ils en ont
banni. Buchez et Roux histoire parlementaire XXXIII, p. 179.
Der Unterſchied liegt nur in den uͤberkommenen Religionsbegriffen;
die Intention, einen urſpruͤnglichen Gluͤckszuſtand herzuſtellen, iſt
ganz dieſelbe.
2 Eine Probe ihrer Exegeſe gewaͤhrt das Bekenntniß des ehe-
maligen Pfarrers Dieſt: Chriſtus ſpreckt, myn rike iſt nicht van die-
ſer werlt, heft duſen Verſtand: Chriſtus rick iſt ein rick der Gerech-
ticheit und der Wairheit, dat rike avers duſer werlt iſt ein rieke der
bosheit und ungerechtigkeit.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |