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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Sechstes Buch. Zehntes Capitel.
nehmung nach dem Sund beiwohnte, berichtet mit Un-
muth, wie wenig Ernst dabei bewiesen worden.

Wie schlecht aber auch immer, so ging der Krieg doch
fort; zuweilen knüpften sich sogar neue, weitaussehende
Plane daran.

Wenn man das Verhör Wullenwebers liest, so sollte
man für unläugbar halten, daß er selber noch einmal daran
gedacht habe, seine Sache wiederaufzunehmen. Es standen
damals einige Haufen Landsknechte unter dem Obersten
Uebelacker, im Namen des Grafen von Oldenburg zu-
sammengebracht, im Lande Hadeln. Zu denen machte
sich Wullenweber auf den Weg. In seinem Verhör hat
er ausgesagt, seine Absicht sey gewesen, diese Truppen bei
Boitzenburg über die Elbe und unverweilt vor die Mauern
von Lübeck zu führen; seine Anhänger würden ihm das
Mohlenthor eröffnet, er würde den Rath gestürzt, und das
entschiedenste demokratische Regiment, ja die Wiedertaufe
eingerichtet haben. Schon in dem Verhör erscheinen je-
doch diese Pläne als noch nicht völlig gereifte Gedanken; 1
vor seinem Tode hat sie Wullenweber vollends abgeleug-
net; namentlich hat er alle persönliche Anschuldigungen
vor Mitwissenschaft, welche man ihm abgepreßt hatte, zu-
rückgenommen. Es ist schwer, ein Bekenntniß zu verwer-
fen, das doch in seinem wesentlichen Theil ohne die Qual
der Tortur abgelegt worden, aber ganz unmöglich ist es sich
auf eine Aussage zu gründen, die der Angeklagte im Mo-
mente seines Todes widerrufen hat. Und so mögen diese

1 Artikel 31 sagt er: sie haben die Handlung des Widdertaufs
nit genzlich beschlossen, sonder eins würde das andre wol gebracht
haben.

Sechstes Buch. Zehntes Capitel.
nehmung nach dem Sund beiwohnte, berichtet mit Un-
muth, wie wenig Ernſt dabei bewieſen worden.

Wie ſchlecht aber auch immer, ſo ging der Krieg doch
fort; zuweilen knüpften ſich ſogar neue, weitausſehende
Plane daran.

Wenn man das Verhör Wullenwebers lieſt, ſo ſollte
man für unläugbar halten, daß er ſelber noch einmal daran
gedacht habe, ſeine Sache wiederaufzunehmen. Es ſtanden
damals einige Haufen Landsknechte unter dem Oberſten
Uebelacker, im Namen des Grafen von Oldenburg zu-
ſammengebracht, im Lande Hadeln. Zu denen machte
ſich Wullenweber auf den Weg. In ſeinem Verhör hat
er ausgeſagt, ſeine Abſicht ſey geweſen, dieſe Truppen bei
Boitzenburg über die Elbe und unverweilt vor die Mauern
von Lübeck zu führen; ſeine Anhänger würden ihm das
Mohlenthor eröffnet, er würde den Rath geſtürzt, und das
entſchiedenſte demokratiſche Regiment, ja die Wiedertaufe
eingerichtet haben. Schon in dem Verhör erſcheinen je-
doch dieſe Pläne als noch nicht völlig gereifte Gedanken; 1
vor ſeinem Tode hat ſie Wullenweber vollends abgeleug-
net; namentlich hat er alle perſönliche Anſchuldigungen
vor Mitwiſſenſchaft, welche man ihm abgepreßt hatte, zu-
rückgenommen. Es iſt ſchwer, ein Bekenntniß zu verwer-
fen, das doch in ſeinem weſentlichen Theil ohne die Qual
der Tortur abgelegt worden, aber ganz unmöglich iſt es ſich
auf eine Ausſage zu gründen, die der Angeklagte im Mo-
mente ſeines Todes widerrufen hat. Und ſo mögen dieſe

1 Artikel 31 ſagt er: ſie haben die Handlung des Widdertaufs
nit genzlich beſchloſſen, ſonder eins wuͤrde das andre wol gebracht
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[596/0612] Sechstes Buch. Zehntes Capitel. nehmung nach dem Sund beiwohnte, berichtet mit Un- muth, wie wenig Ernſt dabei bewieſen worden. Wie ſchlecht aber auch immer, ſo ging der Krieg doch fort; zuweilen knüpften ſich ſogar neue, weitausſehende Plane daran. Wenn man das Verhör Wullenwebers lieſt, ſo ſollte man für unläugbar halten, daß er ſelber noch einmal daran gedacht habe, ſeine Sache wiederaufzunehmen. Es ſtanden damals einige Haufen Landsknechte unter dem Oberſten Uebelacker, im Namen des Grafen von Oldenburg zu- ſammengebracht, im Lande Hadeln. Zu denen machte ſich Wullenweber auf den Weg. In ſeinem Verhör hat er ausgeſagt, ſeine Abſicht ſey geweſen, dieſe Truppen bei Boitzenburg über die Elbe und unverweilt vor die Mauern von Lübeck zu führen; ſeine Anhänger würden ihm das Mohlenthor eröffnet, er würde den Rath geſtürzt, und das entſchiedenſte demokratiſche Regiment, ja die Wiedertaufe eingerichtet haben. Schon in dem Verhör erſcheinen je- doch dieſe Pläne als noch nicht völlig gereifte Gedanken; 1 vor ſeinem Tode hat ſie Wullenweber vollends abgeleug- net; namentlich hat er alle perſönliche Anſchuldigungen vor Mitwiſſenſchaft, welche man ihm abgepreßt hatte, zu- rückgenommen. Es iſt ſchwer, ein Bekenntniß zu verwer- fen, das doch in ſeinem weſentlichen Theil ohne die Qual der Tortur abgelegt worden, aber ganz unmöglich iſt es ſich auf eine Ausſage zu gründen, die der Angeklagte im Mo- mente ſeines Todes widerrufen hat. Und ſo mögen dieſe 1 Artikel 31 ſagt er: ſie haben die Handlung des Widdertaufs nit genzlich beſchloſſen, ſonder eins wuͤrde das andre wol gebracht haben.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 596. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/612>, abgerufen am 24.11.2024.