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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Fünftes Buch. Drittes Capitel.
len, nicht irren könne. Schrieb er ihr nun schon eine so
hohe Autorität in Glaubensstreitigkeiten zu, wie viel mehr
mußte er das in Hinsicht der Verfassung thun! Das Recht
der Gesammtheit sah er aber nicht minder kirchlich als po-
litisch in dem großen Rathe repräsentirt. Sein Verfahren
war, wie er einmal ausdrücklich erläutert, jede Frage zu-
erst durch die Predigt so lange zu verhandeln, bis Jeder-
mann von der Sache überzeugt worden: alsdann sie erst
vor den großen Rath zu bringen; der treffe darnach im Ver-
ständniß mit den Dienern der Kirche die Einrichtung, welche
nothwendig sey. Der Rath, sagt er, hat die höchste Ge-
walt anstatt der Gemeinde. 1

Man sieht leicht, welch eine ganz andere Grundlage
einer neu zu errichtenden kirchlichen Genossenschaft dieß gab,
als die war, auf die man in Deutschland baute. Factisch
ist der Unterschied am Ende so groß nicht. Dort vereini-
gen sich die Prediger mit der fürstlichen Gewalt im Lande,
hier mit der städtischen Behörde in einer Stadt; aber daß
man dort auf die Reichsabschiede angewiesen ist, hier da-
gegen die Souveränetät schon durch die That besitzt und sie
auch kirchlich geltend macht, bildet für die Theorie und die
fernere Entwickelung einen ungemeinen Unterschied.

Es konnte nun nichts mehr helfen, daß der Bischof
die Meinung, ein Christ sey nicht gehalten nach menschli-

1 Ante omnia multitudinem de quaestione probe docere
ita factum est, ut quicquid diacosii
(der gr. Rath) cum verbi
ministris ordinarent, jam dudum in animis fidelium ordinatum
esset. Denique senatum diacosion adivimus; ut ecclesiae totius
nomine, quod usus postularet, fieri juberent. Diacosion senatus
summa est potestas ecclesiae vice. Subsidium de eucharistia
Opp. III,
339.

Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
len, nicht irren könne. Schrieb er ihr nun ſchon eine ſo
hohe Autorität in Glaubensſtreitigkeiten zu, wie viel mehr
mußte er das in Hinſicht der Verfaſſung thun! Das Recht
der Geſammtheit ſah er aber nicht minder kirchlich als po-
litiſch in dem großen Rathe repräſentirt. Sein Verfahren
war, wie er einmal ausdrücklich erläutert, jede Frage zu-
erſt durch die Predigt ſo lange zu verhandeln, bis Jeder-
mann von der Sache überzeugt worden: alsdann ſie erſt
vor den großen Rath zu bringen; der treffe darnach im Ver-
ſtändniß mit den Dienern der Kirche die Einrichtung, welche
nothwendig ſey. Der Rath, ſagt er, hat die höchſte Ge-
walt anſtatt der Gemeinde. 1

Man ſieht leicht, welch eine ganz andere Grundlage
einer neu zu errichtenden kirchlichen Genoſſenſchaft dieß gab,
als die war, auf die man in Deutſchland baute. Factiſch
iſt der Unterſchied am Ende ſo groß nicht. Dort vereini-
gen ſich die Prediger mit der fürſtlichen Gewalt im Lande,
hier mit der ſtädtiſchen Behörde in einer Stadt; aber daß
man dort auf die Reichsabſchiede angewieſen iſt, hier da-
gegen die Souveränetät ſchon durch die That beſitzt und ſie
auch kirchlich geltend macht, bildet für die Theorie und die
fernere Entwickelung einen ungemeinen Unterſchied.

Es konnte nun nichts mehr helfen, daß der Biſchof
die Meinung, ein Chriſt ſey nicht gehalten nach menſchli-

1 Ante omnia multitudinem de quaestione probe docere
ita factum est, ut quicquid diacosii
(der gr. Rath) cum verbi
ministris ordinarent, jam dudum in animis fidelium ordinatum
esset. Denique senatum diacosion adivimus; ut ecclesiae totius
nomine, quod usus postularet, fieri juberent. Diacosion senatus
summa est potestas ecclesiae vice. Subsidium de eucharistia
Opp. III,
339.
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[72/0088] Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel. len, nicht irren könne. Schrieb er ihr nun ſchon eine ſo hohe Autorität in Glaubensſtreitigkeiten zu, wie viel mehr mußte er das in Hinſicht der Verfaſſung thun! Das Recht der Geſammtheit ſah er aber nicht minder kirchlich als po- litiſch in dem großen Rathe repräſentirt. Sein Verfahren war, wie er einmal ausdrücklich erläutert, jede Frage zu- erſt durch die Predigt ſo lange zu verhandeln, bis Jeder- mann von der Sache überzeugt worden: alsdann ſie erſt vor den großen Rath zu bringen; der treffe darnach im Ver- ſtändniß mit den Dienern der Kirche die Einrichtung, welche nothwendig ſey. Der Rath, ſagt er, hat die höchſte Ge- walt anſtatt der Gemeinde. 1 Man ſieht leicht, welch eine ganz andere Grundlage einer neu zu errichtenden kirchlichen Genoſſenſchaft dieß gab, als die war, auf die man in Deutſchland baute. Factiſch iſt der Unterſchied am Ende ſo groß nicht. Dort vereini- gen ſich die Prediger mit der fürſtlichen Gewalt im Lande, hier mit der ſtädtiſchen Behörde in einer Stadt; aber daß man dort auf die Reichsabſchiede angewieſen iſt, hier da- gegen die Souveränetät ſchon durch die That beſitzt und ſie auch kirchlich geltend macht, bildet für die Theorie und die fernere Entwickelung einen ungemeinen Unterſchied. Es konnte nun nichts mehr helfen, daß der Biſchof die Meinung, ein Chriſt ſey nicht gehalten nach menſchli- 1 Ante omnia multitudinem de quaestione probe docere ita factum est, ut quicquid diacosii (der gr. Rath) cum verbi ministris ordinarent, jam dudum in animis fidelium ordinatum esset. Denique senatum diacosion adivimus; ut ecclesiae totius nomine, quod usus postularet, fieri juberent. Diacosion senatus summa est potestas ecclesiae vice. Subsidium de eucharistia Opp. III, 339.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/88>, abgerufen am 24.11.2024.